Das 1×1 des Konzessionsrechts

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In der Theorie klingt es ganz simpel: Die Kommune vergibt i.d.R. alle 20 Jahre das Wegenutzungsrecht für Strom- und Gasnetze in einem öffentlichen Vergabeverfahren an den Bewerber, der sich am besten dafür eignet – nach objektiv überprüfbaren Kriterien. Dabei kann sich auch die Kommune selbst mit einem Eigenbetrieb um die Konzession bewerben. In der Realität sieht es leider anders aus. Nicht selten landen die Fälle vor Gericht, etwa weil der Altkonzessionär die Netzherausgabe verweigert. BBH-Partnerin Astrid Meyer-Hetling hat – immer entweder für die vergebende Kommune oder einen Bewerber – zahlreiche Konzessionsverfahren begleitet; einige davon mussten schließlich vor Gericht entschieden werden. Wir haben Frau Meyer-Hetling gebeten, uns einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Konzessionsbereich zu geben.

BBH-Blog: Die Novellierung des § 46 EnWG im Jahr 2017 sollte zu mehr Rechtssicherheit im Konzessionsrecht führen – ist das nach Ihrer Einschätzung gelungen?

Meyer-Hetling: Tatsächlich haben wir mehr Rechtssicherheit dadurch, dass Bewerber jetzt etwaige Rechtsfehler in den Mitteilungen der Kommune binnen kurzer Fristen rügen und ggf. gerichtlich geltend machen müssen; sie können nicht mehr abwarten, bis sie am Ende des Verfahrens verlieren und der neue Netzbetreiber das Netz von ihnen herausverlangt. Dadurch herrscht auch im Verfahren schneller Klarheit darüber, ob die von der Kommune aufgestellten Kriterien von allen Bietern „akzeptiert“ oder doch gerügt werden. Jede gesetzliche Neuerung wirft allerdings auch neue Fragen auf, die in der Folge von den Gerichten zu klären sind.

BBH-Blog: Was müssen Bewerber jetzt beachten?

Meyer-Hetling: Nach altem Recht war es üblich, insbesondere in Bezug auf die Auswahlkriterien oder Bewertungsmethode als Bieter nur Verständnisfragen zu stellen oder auf Unklarheiten hinzuweisen. Jetzt müssen Auswahlkriterien 15 Tage nach Empfang gegenüber der Kommune gerügt werden. Sobald die Kommune nicht abhilft, ist binnen 15 Tagen gerichtlicher Rechtsschutz zu suchen. Werden diese kurzen Fristen verpasst, können auch rechtswidrige Auswahlkriterien nicht mehr angegriffen werden. Insofern ist es wichtig, als Bewerber im Verfahren (insbesondere um die Bestandskonzession) frühzeitig die Rechtmäßigkeit der Auswahlkriterien abzuklären und zu entscheiden, ob man gegen die ausschreibende Kommune auch gerichtlich vorgehen möchte.

BBH-Blog: In 2020 gab es bereits drei neue Entscheidungen des BGH zum Konzessionsrecht. Wie lassen sich diese einordnen?

Meyer-Hetling: Dem BGH lagen jetzt nach langer Zeit drei Netzherausgabeklagen zur Entscheidung vor. Im Ergebnis hat der BGH die Rechte der Neukonzessionäre, also der Netzübernehmer, wieder gestärkt und offene Rechtsfragen, die in der Instanzenrechtsprechung sehr divergierend (oder nur zulasten der Übernehmer) entschieden wurden, einer positiven Klärung zugeführt und Rechtssicherheit in entscheidungserheblichen Fragen geschaffen.

BBH-Blog: Eine Entscheidung ist „Stromnetz Steinbach“ vom 28.1.2020.

Meyer-Hetling: Richtig. Hier bestätigt der BGH die bereits in seiner Entscheidung in Sachen Berkenthin von 2013 aufgestellten Voraussetzungen für eine sog. Präklusion. Wie es jetzt auch gesetzlich geregelt ist, darf der Altkonzessionär nicht untätig bleiben, will er dem Herausgabeverlangen des Neukonzessionärs etwaige Verfahrensfehler der Kommune im Konzessionierungsverfahren und damit die Unwirksamkeit des Konzessionsvertrages entgegenhalten.

Bleibt er gegenüber der Gemeinde untätig, kann er sich im Netzherausgabeprozess nicht mehr auf eine Nichtigkeit des bereits abgeschlossenen Konzessionsvertrags und damit eine fehlende Aktivlegitimation des Neukonzessionärs berufen. Beruft er sich gegenüber dem Neukonzessionär auf dessen fehlende Berechtigung zur Netzübernahme, obliegt es ihm, relevante Fehler des Konzessionierungsverfahrens darzulegen und zu beweisen.

BBH-Blog: In Sachen „Gasnetz Leipzig“ vom 28.1.2020 beschäftigt sich der BGH mit der Frage der Neutralität. Was sagt der BGH tatsächlich?

Meyer-Hetling: Der BGH hat entschieden, dass in Konzessionsverfahren für Strom- und Gasnetze die Mitwirkung von Personen, die bei einem Bewerber beschäftigt oder als Mitglied eines Organs tätig sind, nicht automatisch zu einer Nichtigkeit des Konzessionsvertrages führt. Damit bestätigt das Gericht zwar das von ihm entwickelte Gebot der Neutralität von Vergabestellen in Gemeinden, die sich selbst um Konzessionen bewerben, stellt aber zugleich fest, dass allein aus der Teilnahme von sog. Doppelmandatsträgern an dem abschließenden Beschluss des Gemeinderats keine unbillige Behinderung eines unterlegenen Bieters folgt. Das ist mit dem Recht auf kommunale Selbstverwaltung nicht vereinbar. Vielmehr muss der unterlegene Bieter im Einzelnen darlegen und beweisen, dass eine Beeinflussung der Entscheidung durch die Mitwirkung möglich war. Der böse Schein reicht nicht aus (so aber bisher die Instanzenrechtsprechung).

BBH-Blog: In der dritten Entscheidung vom 7.4.2020 befasst sich der BGH mit dem Umfang der nach § 46 EnWG herauszugebenden Anlagen. Was ist hier die Neuigkeit?

Meyer-Hetling: Der BGH hat seine Rechtsprechung i.S. „Homberg“ v. 3.6.2014 bestätigt und festgestellt, dass der Neukonzessionär auch einen Anspruch auf Übertragung von Hochspannungs- und Hochdruckleitungen haben kann. Hierzu ist erforderlich, dass die Anlagen nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Neukonzessionär seine Versorgungsaufgabe nicht wie der frühere Konzessionär erfüllen könne. Das gelte unabhängig davon, ob an diese Anlagen Letztverbraucher unmittelbar angeschlossen sind.

BBH-Blog: Erwarten Sie im Wasserbereich eine ähnliche Entwicklung bei Konzessionsverfahren und bei der Übernahme von Wasserversorgungsanlagen wie im Strom- und Gasbereich?

Meyer-Hetling: Ja, spätestens seit der Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 21.3.2018 hat die obergerichtliche Rechtsprechung klargestellt, dass sie die Wasserkonzessionsvergabe wie bei Strom und Gas ohne Bereichsausnahme kartellrechtlich beurteilt. Anders als bei Strom und Gas sind zwar in wenigen Einzelfällen noch Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht möglich, wie z.B. die Inhouse-Vergabe, im Übrigen aber entwickeln sich Anforderungen an Wasserkonzessionsverfahren mindestens ebenso komplex, wie wir sie aus dem Strom und Gas kennen. Voraussichtlich werden sich auch die meisten der aus Strom und Gas bekannten und bereits ausgestandenen Streitfälle und Probleme wiederholen, allerdings mit einem noch unklareren Rechtsrahmen. Wasserkonzessionsverfahren werden für Kommunen und sich bewerbende Wasserversorgungsunternehmen sehr aufwendig werden.

BBH-Blog: Sehr geehrte Frau Meyer-Hetling, herzlichen Dank für das Gespräch.

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