Mengen und Ressourcen belastbar planen – Mögliche Auswirkungen der Coronakrise auf die Erdgasumstellung

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Die Coronakrise führt dazu, dass viele Netzbetreiber ihre Prozesse dahingehend überprüfen, die Kundenkontakte zu minimieren. So wurden beispielsweise bundesweit geplante Zählerwechsel und Ableseprozesse gestoppt. Bei der Marktraumumstellung von L- auf H-Gas müssen insgesamt noch mehrere Millionen Gasgeräte erhoben und angepasst werden. Allein in 2020 sollen rd. 400.000 Geräte angepasst werden. Sollte die Anpassung gestoppt werden, hätte dies Auswirkungen auf die L-Gasverfügbarkeit und die privaten Kapazitäten auf dem Monteursmarkt.

Ist eine Gasmangellage zu erwarten?

Zwei Szenarien sind denkbar. So könnte eine temporäre Verschiebung von Anpassungszeitpunkten um wenige Wochen vom Netzbetreiber gewünscht sein. Die unmittelbare Folge ist eine kurzfristige Veränderung der L-Gasbezugssituation. L-Gas wird somit über einen längeren Zeitraum benötigt als ursprünglich geplant. Die dafür notwendigen L-Gasmengen dürften bei einer ersten Betrachtung nicht zu einer Engpasssituation führen.

Aktuell ist genügend Liquidität im System. Diese dürfte sich aufgrund der warmen Witterung und des Rückgangs im industriellen Verbrauch durch die Pandemie noch erhöht haben.

Ein anderes Szenario bzw. eine sich eventuell aus dem vorherigen Abschnitt ableitende Folge könnte darin bestehen, dass ein Großteil der Anpassungsmaßnahmen erst im nächsten Jahr erfolgt. Dies kann daraus resultieren, dass eine Vielzahl an Versorgern ihre Schalttermine initial verschieben möchten und/oder sich ein Dominoeffekt einstellt. Dieser startet dann, wenn durch die Verschiebung bei einem Netzbetreiber aufgrund der hydraulischen Leitungsführung auch alle nachfolgenden Netzgebiete zu einem späteren Zeitpunkt umgestellt werden. Somit fiele eine Vielzahl der für 2020 angedachten Maßnahmen in das Jahr 2021. Dies hätte dann einen deutlich höheren zusätzlichen L-Gasbedarf zur Folge als aktuell geplant.

Ob dann in 2021 alle Gasgeräte angepasst werden können, die für 2020 und 2021 geplant sind, kann sicher aufgrund der begrenzten Monteurskapazitäten bezweifelt werden. Folglich ergäbe sich eine Kettenreaktion mit dem Startschuss für eine grundsätzliche weitere Verschiebung aller nachfolgenden Projekte um ein halbes bzw. ein ganzes Jahr. Somit würden nicht nur zusätzliche Mengen an L-Gas für 2020 benötigt, sondern auch für alle darauffolgenden Jahre der Marktraumumstellung.

Generell könnten unterschiedliche Quellen herangezogen werden, um den zusätzlichen Bedarf an L-Gas zu decken. Nach aktueller Lage in den Niederlanden, soll die Erdgasförderung aus dem Groningen Gasfeld bereits im Jahr 2022 beendet werden. Eine Förderung nach 2022 bis zum Jahre 2026 soll nur im Falle sehr kalter Winter erfolgen. Eine Verschiebung aller Projekte um ein Jahr könnte auch eine Förderung aus dem Groningen Gasfeld nach 2022 rechtfertigen, dürfte jedoch aus politischen Gründen wenig Akzeptanz erhalten. Weitere Mengen können über Konvertierungsanlagen bereitgestellt werden. Große, leistungsstarke Konvertierungsanlagen befinden sich in den Niederlanden. Ob und inwieweit noch freie Kapazitäten für den deutschen L-Gasmarkt vorhanden sind, müsste genauer untersucht werden. Als weitere mögliche Quellen bieten sich die deutschen L-Gas Speicher an. Diese sind momentan zu etwa 50 Prozent befüllt und bieten eine gewisse temporäre Perspektive, um die Differenzen zu decken.

Wie sieht die Flexibilität auf dem Monteursmarkt aus?

Wenn die Gasgeräte, die in 2020 angepasst werden sollen, zusätzlich in 2021 umgestellt werden, müssten einmalig rd. 900.000 Geräte angefahren werden. In den darauffolgenden Jahren läge diese Anzahl wieder bei rd. 500.000 Geräten. Um diese einmalige Leistung zu realisieren, müssten deutlich mehr Fachkräfte für die Anpassung eingesetzt werden. Diese sind aktuell sicher nicht bei den zertifizierten Umstellungsdienstleistern vorhanden. Ob eine einmalige Abfederung über die Industrie und das örtliche Handwerk möglich ist, dürfte vor dem Hintergrund des hohen organisatorischen Aufwands schwierig sein. Bleibt bei einer realistischen Betrachtung nur die Möglichkeit einer ganz- bzw. halbjährigen Verschiebung. Die Dienstleister hätten somit ein weiteres Jahr Zeit gewonnen, die Kapazitäten insgesamt aufzubauen die nötig sind, um rd. 500.000 Geräte pro Jahr umzustellen. Eine halb- bis ganzjährige Verschiebung dürfte sicher auch die Umstellungsdienstleister vor hohe wirtschaftliche Herausforderungen stellen. Um ein Überleben zu sichern, müssten Überbrückungskredite zur Verfügung gestellt werden. Folglich müssten vor diesem Hintergrund die Umstellungsplanung insgesamt noch einmal kritisch betrachtet und im Zweifel zeitlich gestreckt werden. Die letzten Wochen haben aber auch gezeigt, wie labil und wie wenig flexibel das Gebilde ist. Es bedarf sicher zeitnah weiterer Instrumente, um zusätzlich Fachkräfte zielgerichtet in Umstellungsprojekten einsetzen zu können. Diese könnten aus der Industrie oder dem örtlichen Handwerk rekrutiert werden.

Vor diesem Hintergrund sollten die Ferngasleitungsnetzbetreiber aufgefordert werden, wie mit einer mindestens einjährigen Streckung des Prozesses im Gesamtverlauf umgegangen werden soll. Die Ergebnisse sollten sich im nächsten Netzentwicklungsplan wiederfinden.

Es müssen ferner Mittel und Verfahren auf dem Monteurs- und Dienstleistermarkt etabliert werden, die eine flexible Einbindung zusätzlicher Monteure aus Industrie und Handwerk möglich machen. Ein wesentlicher zu klärender Baustein in diesem Zusammenhang ist die Akzeptanz der damit verbundenen Kosten durch die Regulierungsbehörden. Über diese spannenden Fragestellungen werden wir im Rahmen der von der Arge EGU durchgeführten/organisierten Dienstleistungsinitiative, die voraussichtlich im September diesen Jahres (genauer Termin wird noch bekannt gegeben) stattfinden soll, diskutieren.

Ansprechpartner: Prof. Christian Held/Peter Bergmann/Christian Thole

 

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