Making „Europe Fit for the Digital Age“: Konsultation der KOM zu einem möglichen neuen Wettbewerbsinstrument

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Bereits Anfang Mai kündigte Margarethe Vestager ein neues Wettbewerbsinstrument als Teil eines zukünftigen Rechtsaktes für digitale Dienste (sog. Digital Services Act, DSA) an. Am 2.6.2020 war es nun so weit: Die Kommission leitete eine Konsultation zu einem möglichen neuen Wettbewerbsinstrument ein, das strukturellen Wettbewerbsproblemen frühzeitig und wirksam begegnen soll. Interessensträger können nun bis zum 30.6.2020 zur Folgenabschätzung Stellung nehmen. Die öffentlichen Konsultationen sind im September vorgesehen, ein Legislativvorschlag ist bereits für das 4. Quartal 2020 geplant.

In der Energiewirtschaft haben die geplanten Maßnahmen und Rechtsakte der Kommission zu digitalen Diensten unter anderem Bedeutung für Vermarktungs- oder Vergleichsplattformen (z.B. Verivox und Check24) und könnten dort die Position der Nutzer (Energieabnehmer wie Energieversorger) zukünftig verbessern.

Was ist das Problem? 

Die Digitalisierung hat die Wirtschaft über praktisch alle Bereiche hinweg in den letzten zwei Jahrzehnten stark verändert. Online-Plattformen oder Netzwerke sind im Wirtschaftsleben nicht mehr wegzudenken, zu viele Vorteile bringen sie mit sich. Gleichzeitig stellen sie die europäischen und nationalen Wettbewerbsbehörden vor Herausforderungen und bergen ein gewisses Gefahrenpotenzial für den freien Wettbewerb, da viele digitale Märkte hoch konzentriert und von wenigen großen Anbietern geprägt sind. Führende Plattformen (z.B. Verivox und Check24) sind wesentliche Anlaufstellen und Knotenpunkte für Geschäftsvorgänge aller Art und umfassen bspw. die Kommunikation, Werbung, Geschäftsvermittlung und den direkten Warenvertrieb. Die von Plattformen gesammelten und analysierten Nutzerdaten sowie der Zugriff auf Daten und Datenanalysetechniken stellen einen nicht zu unterschätzenden Mehrwert von wirtschaftlichem und finanziellem Interesse dar. In Deutschland hatte sich das Bundeskartellamt (BKartA) ab Ende 2017 im Rahmen einer Sektoruntersuchung intensiver mit der Funktionsweise und Bedeutung von Vergleichsportalen auseinandergesetzt und in seinem im Frühjahr 2019 veröffentlichten Abschlussbericht bereits wettbewerblichen Handlungsbedarf identifiziert (wir berichteten).

Insgesamt zeigten sich in der Vergangenheit immer mehr die Risiken im Zusammenhang mit Märkten, die sich durch eine hohe Monopolisierungsgefahr und wenige mächtige Marktteilnehmer mit einer Torwächter-Position auszeichneten. Hier kam es zu einer deutlichen Erschwerung des Marktzugangs weiterer potentieller Marktteilnehmer.

Welche Maßnahmen sind geplant?

Die beschriebenen Wettbewerbsprobleme haben schon das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) im September letzten Jahres dazu veranlasst, einen Bericht der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 mit dem Titel Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft und im Januar dieses Jahres seinen Referentenentwurf zur 10. GWB-Novelle (sog. GWB-Digitalisierungsgesetz – wir berichteten) zu veröffentlichen. Aber auch die Europäische Kommission erhofft sich, mit einem neuen Wettbewerbsinstrument Lücken des derzeitigen Wettbewerbsrechts zu schließen und präventiv gegen strukturelle Wettbewerbsprobleme auf den Märkten vorzugehen.

Begleitend erwägt die Kommission auch eine plattformspezifische Ex-ante-Regulierung (hierzu sind Stellungnahmen bis zum 30.6.2020 möglich und gesonderte Konsultationen angesetzt) und leitete darüber hinaus eine weitere Konsultation zur Frage ein, inwiefern die Regelungen der E-commerce-Richtlinie (RL 2000/31/EG) aus 2000 im Rechtsakt über digitale Dienste zu aktualisieren sind. Um die Wettbewerbsfähigkeit aller potentiellen Anbieter und einen funktionsfähigen Wettbewerb auf den betroffenen Märkten zu sichern, stützt sich der Ansatz der Kommission auf drei Säulen:

  1. Die geltenden Wettbewerbsvorschriften fortsetzen und konsequent durchsetzen, d.h. Anwendung der Art. 101 und 102 AEUV inkl. einstweiliger und wiederherstellender Maßnahmen;
  2. Digitale Plattformen möglicherweise ex-ante regulieren, inkl. zusätzlicher Anforderungen für Plattformen mit einer Torwächter-Rolle und
  3. ein mögliches neues Wettbewerbsinstrument, um strukturelle Wettbewerbsprobleme zu bewältigen angesichts neuer Formen von Wettbewerbsbeschränkungen, die mit den geltenden Wettbewerbsvorschriften nicht zu erfassen sind.

Worauf zielt das neue Wettbewerbsinstrument?

Die Kommission konnte in der Vergangenheit unterschiedlichste strukturelle Risiken für den Wettbewerb in den unterschiedlichsten Branchen ausmachen. So sieht die Kommission eine potentielle Wettbewerbsgefährdung in einer Kombination von bestimmten Marktmerkmalen in Verbindung mit dem Verhalten der Unternehmen, die auf diesem Markt tätig sind (z.B. Netzwerk- und Skaleneffekte, unzureichendes Multi-Homing und Lock-in-Effekte). Hiervon seien insbesondere Märkte mit einer hohen Monopolisierungsgefahr (sog. Markt-„Tipping“) betroffen. Eine Monopolisierung der Märkte kann bspw. dazu führen, dass kritische Torwächter-Positionen (sog. Gatekeeper) entstehen. Zusätzliche strukturelle Mängel sind starke Konzentration, hohe Zutrittsschranken, Kundenbindung, mangelnder Datenzugang oder Datenakkumulation, oligopolistische Marktstrukturen sowie Märkte, die aufgrund algorithmusbasierter technologischer Lösungen eine erhöhte Transparenz aufweisen.

Das neue Wettbewerbsinstrument soll die Lücken der bestehenden Wettbewerbsvorschriften schließen und verhaltensbezogene und strukturelle Abhilfemaßnahmen einführen, die insbesondere ein „Kippen“ (d.h. eine Monopolisierung) der Märkte in der Digitalwirtschaft verhindern und zu einer Art Vorabregulierung von digitalen Plattformen führen sollen.

Das Vorhaben der Kommission betrifft damit alle Branchen. Die konkrete Ausgestaltung der gesetzlichen Vorgaben und deren Umsetzung sind von allgemeinem Interesse und aufmerksam zu beobachten. Die Konsultationen bieten aktuell Gelegenheit, die Kommission auf bestehende oder sich abzeichnende Probleme aufmerksam zu machen. Betroffene sollten also eine Beteiligung erwägen.

Ansprechpartner*innen: Dr. Christian Jung/Dr. Olaf Däuper/Dr. Tigran Heymann/Dr. Holger Hoch

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