Kraftwerksstrategie: Bundesregierung veröffentlicht neue Eckpunkte

Der stetig steigende Anteil erneuerbarer Energien im deutschen und europäischen Stromsystem ist unter Klimaschutzgesichtspunkten so erfreulich wie notwendig. Dieser Anstieg fordert jedoch die Systemstabilität in Phasen geringer erneuerbarer Stromproduktion heraus. Gleichzeitig haben es konventionelle (Gas-)Kraftwerke unter dem bestehenden Strommarktdesign zunehmend schwer, profitabel zu operieren. Denn sie haben die höchsten Grenzkosten für die Energieerzeugung und kommen damit nach der sogenannten Merit-Order für immer weniger Stunden im Jahr zur Deckung der Nachfrage zum Zug. Nicht nur während der berüchtigten „Dunkelflauten“ wird das Stromsystem aber auch in Zukunft auf steuerbare Erzeugungskapazitäten angewiesen sein.

Um dieses Dilemma aufzulösen, hatte die Bundesregierung bereits im letzten Jahr eine Kraftwerksstrategie angekündigt und Anfang 2024 mit Eckpunkten konkretisiert. Dafür sollen vor allem neue Kapazitäten ausgeschrieben werden, für die dann staatliche Förderung gewährt werden soll. Eine Herausforderung bei der Ausgestaltung ist, dass die Förderungen als staatliche Beihilfen von der EU-Kommission genehmigt werden müssen. Laut den einschlägigen Leitlinien für staatliche Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen (KUEBLL) müssen die geplanten Förderungen vorher öffentlich konsultiert werden.

Daher hat die Bundesregierung am 11.09.2024 zwei Konsultationsdokumente zu den geplanten Ausschreibungen veröffentlicht; die Stellungnahmefrist lief bis zum 23.10.2024. Parallel zur anschließenden Auswertung der Konsultationsergebnisse erarbeitet das BMWK einen Gesetzentwurf für ein Kraftwerkssicherheitsgesetz (KWSG). Ziel ist, dass bereits „ab Anfang 2025“ erste Ausschreibungen stattfinden. Angesichts der Komplexität aus Bietersicht wäre das ein äußerst knappes Zeitfenster. Grund genug, sich als interessiertes Unternehmen bereits jetzt schon mit den anvisierten Modalitäten der Ausschreibungen zu beschäftigen, um möglichst rasch zu verstehen, inwieweit es sich lohnen könnte, sich zu beteiligen.

Die drei Säulen der Kraftwerksstrategie – Erste Säule: Dekarbonisierung der Stromerzeugung

Die Kraftwerksstrategie stützt sich nach Planung des BMWK auf drei Säulen: Eine erste Säule zielt primär auf die Dekarbonisierung des Kraftwerksparks. Hierzu sollen mindestens 5 GW neue H2-ready Gaskraftwerke entstehen sowie bis zu 2 GW bestehende Kraftwerke auf Wasserstoff umgerüstet werden (modernisierte Bestandsanlagen). Hier ist jeweils die Umstellung auf grünen oder blauen Wasserstoff ab dem 8. Jahr nach der Inbetriebnahme bzw. Modernisierung verpflichtend. Neben einer CAPEX-Förderung (ausgezahlt in 10 gleichmäßigen jährlichen Raten ab der vollständigen Inbetriebnahme) soll auch der Wasserstoffbetrieb ab dem Umstiegsdatum im Wege einer Differenzförderung zu Erdgas und CO2-Kosten für max. 800 Vollbenutzungsstunden im Jahr und über einen Zeitraum von 4 Jahren gefördert werden. Gleichzeitig darf eine Mindesterzeugungsverpflichtung von Strom aus 100 % Wasserstoff über mindestens 200 Vollbenutzungsstunden pro Jahr nicht unterschritten werden. Bei Nichteinhaltung drohen Konsequenzen bis hin zum Entzug der Bezuschlagung. Ein fehlender Wasserstoffnetzanschluss kann jedoch verschiedentlich überbrückt werden.

Außerdem ist eine Mindestgröße von 10 MW elektrischer Erzeugungsleistung Fördervoraussetzung, ebenso wie die Nähe zum Wasserstoffkernnetz – die Bundesnetzagentur schlägt hier in der Konsultation eine Distanz von 20 km Luftlinie vor. Schließlich soll es eine regionale Steuerung des Zubaus durch einen sogenannten „Südbonus“ für Standorte im sogenannten „netztechnischen Süden“ Deutschlands geben (Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland). Ziel ist, auf diese Weise die Netzsicherheit und Stabilität noch weiter zu erhöhen, sowie die Systemintegrationskosten hinter Netzengpässen zu verringern. Die ersten 2,5 GW an Ausschreibungsvolumen sollen bereits in einem Gebotstermin Anfang 2025 vergeben werden, weitere 2,5 bzw. 2 GW zu Beginn der beiden Folgejahre.

Zudem sind in der ersten Säule sogenannte Sprinterkraftwerke in einem Volumen von insgesamt 500 MW vorgesehen, die ab ihrer Inbetriebnahme Strom aus 100 % Wasserstoff erzeugen können. Auch hier muss für mindestens 200 Vollbenutzungsstunden Strom auf Wasserstoffbasis erzeugt werden. Eine (übergangsweise) Stromerzeugung mit fossilen Brennstoffen ist aus beihilferechtlichen Gründen hier nicht erlaubt. Diese Kraftwerke müssen eine Mindestgröße von 1 MW elektrische Erzeugungsleistung haben, eine Nähe zum Wasserstoffkernnetz ist keine Fördervoraussetzung, vielmehr wird die hinreichende Verfügbarkeit von Wasserstoff zur Verstromung implizit in der Ausschreibung vorausgesetzt.

Das BMWK hat sich noch nicht abschließend auf ein Fördermodell festgelegt, sondern zwei Modelle zur Konsultation gestellt. Zum einen hat es für die Stromerzeugung aus Wasserstoff ein „gleitendes Marktprämienmodell“ plus eine jährliche Pauschalzahlung vorgeschlagen; zum anderen eine Kombination aus einer Investitionskostenförderung plus einer regulierten Brennstoff-Differenzkostenförderung (ähnlich wie bei den H2-ready-Kraftwerken). Auch hier sollen erste Ausschreibungen bereits im Jahr 2025 stattfinden. Ergänzt wird diese erste Säule durch eine technologieneutrale Ausschreibung für Langzeitstromspeicher mit einem Gesamtvolumen von ebenfalls 500 MW.  Gebotsfähig sind Speicherprojekte mit mindestens 1 MW elektrischer Netzeinspeiseleistung bzw. 72 MWh Kapazität. Für diese wird eine CAPEX-Förderung über 10 Jahre gewährt, wobei für die Dauer des Förderzeitraums eine Mindestauslastung von 72 Stunden pro Jahr zu gewährleisten ist, um zu vermeiden, dass die Fördersumme gekürzt wird. Ausschreibungen sind auch noch in 2026 vorgesehen.

Zweite Säule: Steuerbare Kapazitäten

Gegenstand der zweiten Säule sind Projekte für neue steuerbare Kapazitäten zur Stromerzeugung, die in der Lage sind, für mindestens 96 aufeinanderfolgende Stunden Strom unter Volllast zu erzeugen. Diese müssen mindestens eine elektrische Netto-Nennleistung von 10 MW aufweisen. Ein bestimmter Brennstoff für den Betrieb wird nicht vorgeschrieben, allerdings ist die Kompatibilität mit dem Klimazielen zu gewährleisten. Für diese Kraftwerke wird eine reine Investitionskostenförderung in Euro pro Kilowatt gewährt, die über 15 Jahre in gleichmäßigen Raten auszuzahlen ist. Eine Mindestauslastungsverpflichtung gibt es nicht; auch hier findet eine regionale Steuerung mittels „Südbonus“ statt. Ausschreibungen sind für 2025 und 2026 geplant.

Dritte Säule: Kombinierter Kapazitätsmarkt

Mit der dritten Säule der Kraftwerksstrategie soll das Strommarktdesign für künftige zukunftsfähig werden. Hierfür favorisiert das BMWK einen sogenannten kombinierten Kapazitätsmarkt (KKM) – ein aus der Plattform ‚Klimaneutrales Stromsystem‘ (PKNS) hervorgegangenes Konzept. Der kombinierte Kapazitätsmarkt soll die Vorteile eines dezentralen und zentralen Kapazitätsmarktes kombinieren. Entsprechend besteht er aus einem dezentralen und einem zentralen Segment. In den zentralen Segment würden Lieferanten in ihrer Rolle als Bilanzkreisverantwortliche verpflichtet, sich für Spitzenlastsituationen mit Kapazitätszertifikaten einzudecken. Alternativ könnten Sie zur Lastsenkung auch eigene Flexibilitäten einsetzen. So soll das dezentrale Wissen der Marktakteure optimal eingebunden und der Wettbewerb zwischen verschiedenen Flexibilitätsoptionen und Kapazitätsanbietern gestärkt werden.

Ergänzt wird das Modell durch das zentrale Segment, in dem für kapitalintensive Neuanlagen mit langen Refinanzierungszeiträumen zentrale Ausschreibungen über neue zusätzliche Kapazitäten organisiert werden. So soll die nötige Investitionssicherheit für diese Anlagen gewährleistet werden. Die Kapazitäten werden anschließend in das dezentrale Segment des Kapazitätsmarktes eingebracht. Anlagen, die bereits eine Kapazitätszahlung im Rahmen der Kraftwerksstrategie erhalten, sollen ab 2028 in den neuen Kapazitätsmechanismus integriert werden, und zwar in geeigneter Weise, dass eine Doppelförderung ausgeschlossen wird.

Die Ergebnisse des Konsultationsverfahrens in den nächsten Wochen werden großen Einfluss darauf haben, wie die hier skizzierten Vorschläge für die Kraftwerksstrategie im Einzelnen von den Marktteilnehmern bewertet werden. In jedem Fall ist bereits jetzt klar, dass eine rasche Umsetzung wichtig ist, um die Gefahr eines mittelfristigen „Rückfalls“ in die Kohle zur Gewährleistung der Systemstabilität zu vermeiden. Dass dies auch das BMWK so sieht, dürften die äußerst ambitionierten Fristigkeiten belegen. Aus der Perspektive eines potentiellen Bieters gilt es daher, keine Zeit zu verlieren. So rasch wie möglich sollten sie die anstehenden strategischen Entscheidungen und das Bieterverfahren rechtssicher vorbereiten. Eine fundierte technisch-ökonomische Bewertung möglicher Gebotsstrategien vor dem Hintergrund langfristiger Markterwartungen ist selbstverständlich ebenso geboten. Hierzu stehen Ihnen energiewirtschaftlichen Experten der BBH Consulting AG gerne zu Verfügung.

Denn die Karten werden vermutlich schon Anfang des kommenden Jahres erstmals „gelegt“.

Ansprechpartner: Dr. Olaf Däuper/Roland Monjau/Lars Dittmar/Frederik Braun/

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