Alles bremsen – außer den Gesetzgebungsprozess

Es wird gebremst. Und zwar im ganz großen Stil. Erdgas-, Wärme- und Strompreise sollen gedämpft werden. Erlöse sollen begrenzt und abgeschöpft werden. Und sogar Gewinne sollen solidarisch „eingesammelt“ werden. Allein der Gesetzgebungsprozess, der alle diese Regeln und Normen hervorbringen soll, geht ungebremst weiter.

Vollgas in der Legislative

Die aktuell diskutierten Fassungen der verschiedenen Energiebremsengesetze sind noch nicht die Versionen, die dem Bundeskabinett vorgelegt werden. Es sind Entwürfe, die den Verbänden vorab zur Kommentierung vorgelegt wurden. Diese waren schon in den letzten Wochen involviert und wurden in verschiedenen Sitzungen mit Konzepten konfrontiert, aber diese Fassungen, die ja doch noch die eine oder andere Überraschung beinhalteten, waren ihnen ebenfalls nicht bekannt.

Es ist ja eine sehr kluge Idee, einen fast fertigen Gesetzesentwurf mal bei den verschiedenen Betroffenengruppen zu spiegeln. Die Zeit für Anmerkungen war hier jedoch mal wieder sehr knapp. Schon bei den Entwürfen für die Gaspreisbremse (Erdgas- und Wärmepreisbremsengesetz, EWPBG) und die Strompreisbremse (Strompreisbremsengesetz, StromPBG) kommt man geschätzt auf ungefähr zehn Seiten Gesetzestext pro Stunde Konsultation. Natürlich hätte man sich auch im Ministerium mehr Zeit für den ganzen Prozess gewünscht. Die fehlt aber, wenn man die Gesetze noch in 2022 verabschieden möchte.

Interessenvielfalt

Die Haushaltskunden und kleineren Gewerbetreibenden werden (zusammen mit den Sozialverbänden etc.) schauen, dass die Entlastungen rechtzeitig und wirksam sind. Dass der Gesetzgeber nun die Wirkung der Gaspreisbremse schon auf Januar vorverlegen will, ist für die Interessengruppen ein gutes Signal, auch wenn die Wirkung im Portemonnaie am Anfang des Jahres noch nicht spürbar wäre.

Die Industriekunden erwarten von den Gesetzen klare industriepolitische Signale für den Standort Deutschland. Ersten Bekundungen zufolge werden diese sehr unterschiedlich wahrgenommen. Natürlich gibt es wie immer Unternehmen, die sehr viel stärker von den Bremsen profitieren als andere. Hier werden die Beschränkungen des europäischen Beihilfenrechts (auch in der Form des aktuellen befristeten Krisenrahmens für staatliche Beihilfen) eine wichtige Rolle spielen. Industriepolitisch positiv ist aber die klare Verknüpfung mit einem mittelfristigen Arbeitsplatzerhalt.

Die Stromerzeuger sollen finanziell zu den Preisbremsen beitragen, indem sie ihre „Überschusserlöse“ abschöpfen lassen. Die im Gegensatz zur europäischen Vorgabe sehr viel strengeren Abschöpfungen lösen hierzulande ebenso wenig Jubelstürme aus wie die Regeln für Hedginggeschäfte und PPAs, die nicht jeden wirtschaftlich ehemals sinnvollen Vorgang auch sinnvoll abbilden.

Die Versorger und Netzbetreiber bekommen alles ab: Sie sollen alles organisieren und kommunizieren und im Eiltempo ihre Software umprogrammieren. Sie sollen freundlich zu Kunden sein, aber dabei auch ihre Liquidität und Bonität halten. Und missbrauchen dürfen sie ihre Gestaltungsmöglichkeiten natürlich auch nicht.

Freut sich am Ende jemand? Vielleicht die Wirtschaftsprüfer, die viele neue Testierungsaufgaben erhalten. Aber nach unserer Erfahrung sind die eigentlich auch sehr gut ausgelastet mit ihren bisherigen Aufgaben.

In aller Eile

Der Plan sieht vor, dass der Entwurf kurzfristig dem Kabinett vorgelegt, von diesem dann den Bundestagsfraktionen der Ampelkoalition als „Formulierungshilfe“ empfohlen und in der Form dann am 01.12.2022 in den Bundestag eingebracht wird. Innerhalb von knapp zwei Wochen müssen dann Bundestag und Bundesrat die Entwürfe – mal wieder – im Eilverfahren durch die Lesungen, die Ausschüsse und Abstimmungen bringen, damit der Entwurf am 16.12. den Bundesrat noch vor der Weihnachtspause passieren kann.

Hätte man früher anfangen sollen? Vielleicht. Aber es steht nicht zu vermuten, dass irgendeine Bearbeiterin der Gesetzesentwürfe in den Monaten davor über Langeweile geklagt hätte. Besser wird es hoffentlich in der Zukunft, vielleicht wenn die Ukraine den russischen Angriffskrieg gebremst hat und wir uns wieder dem großen Projekt unserer Zeit, dem Bremsen des Klimawandels, widmen können.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Christian Dessau

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