BGH kippt Preisanpassungsklauseln in Gas-Sonderverträgen

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Am 31.7. hat der Bundesgerichtshof (BGH) ein Urteil gefällt, das Gaskunden und Gasversorger gleichermaßen aufrütteln dürfte: Der Entscheidung zufolge sind die so genannten „GVV-Klauseln“ in Sonderlieferverträgen mit Haushaltskunden unwirksam. Gemeint sind damit Preisanpassungsklauseln, die den Wortlaut von § 5 Abs. 2 GasGVV (bzw. § 4 Abs. 2 AVBGasV) wörtlich oder inhaltlich wiedergeben oder auf diese Vorschriften verweisen. Das rechtskräftige Urteil beendet einen Streit zwischen der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V. (Verbraucherzentrale) und der RWE Vertrieb AG (RWE) über die Frage, ob die Gasversorger ihre Preise wirksam auf Grundlage solcher GVV-Klauseln anpassen dürfen, zugunsten der Verbraucherzentrale. Der BGH hat dabei die vorherigen Urteile der Instanzengerichte bestätigt, wonach RWE zur Rückzahlung der aufgrund der unwirksamen Preisänderung gezahlten erhöhten Entgelte verpflichtet ist.

Zum Hintergrund

Hintergrund der Entscheidung des BGH war eine Klage der Verbraucherzentrale gegen RWE auf Rückzahlung von Entgelten, die aufgrund vermeintlich rechtswidriger Preiserhöhungen im Rahmen von Erdgas-Sonderlieferverträgen von Haushaltskunden gezahlt wurden. RWE hatte die Preisanpassungen auf Klauseln gestützt, die inhaltsgleich mit § 4 Abs. 2 AVBGasV (bzw. § 5 Abs. 2 GasGVV) waren („Änderungen der allgemeinen Tarife und Bedingungen werden erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam.“).

Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH waren solche „GVV-Klauseln“ in Sonderverträgen zulässig. Am 9.2.2011 hatte der BGH dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage vorgelegt, ob diese Ansicht europarechtskonform ist und insbesondere die europarechtlichen Anforderungen an die Transparenz solcher Klauseln eingehalten werden. Der EuGH hatte daraufhin am 21.3.2013 in einer Vorabentscheidung (wir berichteten) entschieden, dass Regelungen in Sonderverträgen auch dann nach AGB-Recht gerichtlich kontrollierbar sind, wenn sie die GVV lediglich übernehmen. Diese Preisanpassungsklauseln müssten den Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügen. Die Entscheidung, ob sie das im Einzelfall tun, überließ der EuGH dem BGH.

Alle GVV-Klauseln vor dem Aus?

Erwartungsgemäß hat der BGH sich nun den – für ihn verbindlichen – Aussagen des EuGH in der Vorabentscheidung angeschlossen und festgestellt, dass auch Klauseln, die den Wortlaut gesetzlicher Vorschriften (hier: der GasGVV) lediglich übernehmen, voll AGB-rechtlich überprüfbar sind. In Gassonderverträgen mit Haushaltskunden müssen nach dem BGH zudem Anlass, Voraussetzungen und Umfang etwaiger Preisanpassungen bereits bei Vertragsschluss transparent und verständlich dargestellt werden. Dies ist jedenfalls bei den von RWE verwendeten GVV-Klauseln nicht der Fall. Der BGH hat damit zugleich seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, wonach eine Preisanpassungsklausel in Sonderverträgen zulässig ist, wenn sie die entsprechenden Vorschriften der GVV inhaltsgleich übernimmt.

Das Urteil ist für Gasverträge ergangen. Trotz bereits teilweise anderslautender Berichterstattung in den Medien betrifft das Urteil des BGH aber sicherlich nicht alle Gaskunden in Deutschland, sondern vermutlich nur einen vergleichsweise geringen Teil. Insbesondere hat das Urteil keine Auswirkungen auf die gesetzliche Grundversorgung. Die neue Rechtsprechung bezieht sich allein auf Sonderlieferverträge (also individuell geschlossene Verträge außerhalb der Grundversorgung). Zudem ist noch nicht geklärt, ob sich die Aussagen des BGH auch auf Verträge mit Nicht-Haushaltskunden übertragen lassen. Das neue Urteil bedeutet auch nicht zwangsläufig, dass alle Klauseln in Sonderverträgen, die sich auf das Preisänderungsrecht der AVBGasV bzw. GasGVV (oder: StromGVV) beziehen, automatisch unwirksam sind. Vielmehr ist im jeweiligen Einzelfall zu klären, ob eine solche Klausel intransparent und damit unwirksam ist. Denn die pauschale Übertragung des Urteils auf Preisanpassungsklauseln, die lediglich an § 5 Abs. 2 GVV angelehnt sind, darüber hinaus aber zusätzliche Vorgaben zu Anlass, Voraussetzungen und Umfang der Preisanpassung enthalten, kann rechtlich durchaus verfehlt sein. Genaueres wird man hierzu vermutlich wissen, wenn die Entscheidungsgründe zum Urteil vorliegen (was erfahrungsgemäß ein wenig dauert).

Eine unwirksame Klausel kann jedoch zur Folge haben, dass Preiserhöhungen, die hierauf basieren, unwirksam sind und die Kunden Rückzahlung verlangen können. In diesem Fall werden aber die vom BGH entwickelten Rechtsinstitute für solche Rückforderungen zu beachten sein (wir berichteten).

War es das?

Nein, das war es noch nicht. Neben diesem Verfahren sind beim EuGH noch zwei weitere Verfahren anhängig (Az. C-359/11, C-400/11), die das obige Verfahren in den Schatten stellen könnten. Hier geht es nämlich um die Frage, ob Preisanpassungen in der gesetzlichen Grundversorgung wirksam sind. Selbst diese hängen nach Ansicht des BGH davon ab, ob die Regelungen der AVBGasV bzw. GasGVV (oder: StromGVV) den Transparenzanforderungen der Elektrizitäts- bzw. Gasbinnenmarktrichtlinie entsprechen. Zurzeit ruhen diese Verfahren noch. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass der EuGH hier die gleichen Maßstäbe anlegt wie bei der Beantwortung der Vorlagefragen des BGH zu Sonderlieferverträgen. Das wiederum wäre dramatisch: Das Modell „Grundversorgung“ wäre akut gefährdet.

Ansprechpartner: Dr. Christian de Wyl/Dr. Jost Eder/Dr. Erik Ahnis

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