Corona: Denkpause auch für die Klima- und Energiepolitik?

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Die Welt kommt zum Stillstand. Die Corona-Pandemie, die sich wie die Raupe Nimmersatt durch die Weltkarte frisst, wirkt sich in allen Bereichen des Lebens aus: Im Sozialen, in der Wirtschaft und auch beim Klimaschutz bleibt der Virus nicht ohne Folgen.

Sicher, man kann vieles auch ins Positive wenden.

  • Sozial bietet die Krise – trotz oder gerade wegen der mitunter angeordneten Zwangs-Isolation – die Chance, dass die Menschen vor Ort wieder näher zusammen rücken.
  • Wirtschaftlich ist die Krise zwar unbestritten ein Desaster. Aber auch hier kann man ja vielleicht von dem positiven Effekt zehren, dass z.B. die Digitalisierung in Teilen der Wirtschaft dank Homeoffice vorangetrieben wird.
  • Und auch klimatechnisch sorgt die Krise dafür, dass die Emission von Treibhausgasen in einem Maße zurückgeht, die durch politische Anstrengungen kaum – zumindest nicht weltweit – hätte realisiert werden können. Flugverkehr wie Industrie stoßen weniger CO2

Bei allem (Zweck)Optimismus führt die Krise uns aber deutlich vor Augen, wie wichtig es ist, auf lokaler, nationaler und kontinentaler Ebene auch in Krisenzeiten handlungsfähig zu bleiben. Grundvoraussetzung dafür ist unter anderem auch, dass Wertschöpfungsketten nicht beliebig global ausgelagert werden können. So viele Vorteile eine globalisierte Welt zu bieten vermag, so sehr offenbaren sich in der derzeitigen Sondersituation auch die Schattenseiten der Globalisierung. Wie die heiß diskutierten Beispiele um z.B. Medikamente oder Autoteile – oder besser deren Fehlen – zeigen: Nicht bei allen Dingen kann es nur darum gehen, die Produktion von Gütern „vor Ort“ ausschließlich an Wirtschaftlichkeitsfragen und ihrer Verfügbarkeit auf dem globalen Markt zu messen. Doch was folgt daraus?

Nehmen wir die europäische Klima- und Energiepolitik. Verschafft uns nicht die aktuelle Krise einen Denkanstoß, die sozialen, wirtschaftlichen und klimatischen Überlegungen noch mehr zu verzahnen? Wie wäre es etwa, wenn man die Klima- und Energiegesetzgebung künftig stärker auf die jetzt deutlich geworden Herausforderungen globaler Verwerfungen justiert und nicht nur einseitig auf volkswirtschaftliche oder betriebswirtschaftliche Kennzahlen der betroffenen Branchen und Unternehmen schaut?

Konkret sollte sich die Politik vor dem Hintergrund der jüngsten Erfahrungen z.B. noch einmal intensiver damit auseinandersetzen, ob etwa im Bereich des Emissionshandels das Kriterium der Handelsintensität als vorrangig ausschlaggebender Indikator bei der Frage taugt, ob Wirtschaftszweige im Falle der Belastung mit CO2-Kosten abwanderungsbedroht wären, also ihre Produktion ins nicht EU Ausland verlagern würden (sog. Carbon Leakage). Schließlich knüpfen sich daran bestimmte Teilentlastungen wie z.B. kostenlose Zuteilungen und die Kompensation indirekter CO2-Kosten. Zwar können nachrangig auch „qualitative“ Kriterien bemüht werden. Diese aber wiederum sind an rein wirtschaftliche und technische Indikatoren gekoppelt wie z.B. die Möglichkeit, Emissionsmengen oder Stromverbrauch zu reduzieren, oder aber den Umfang von Gewinnspannen, die über langfristige Investitionen oder Standortverlagerungen Aufschluss geben können. Im Koordinatensystem sind qualitative Faktoren wie die „Systemrelevanz“ im Notfall oder die Bedeutung für die lokale Wertschöpfung und für angegliederte Industrien bislang nicht vorgesehen.

Auch wenn jeder Eingriff dabei natürlich wohl überlegt und sauber austariert sein muss, bietet die jetzige Krise so gesehen jedenfalls die Chance, konzeptionell noch einmal „querzudenken“, ohne damit gar die letztlich naturgegebenen Klimaziele oder die Gesetzmäßigkeiten einer globalisierten Welt infrage zu stellen. Nutzen wir die Zwangspause also als kreative Denkpause, um aus den Systemfehlern zu lernen und die richtigen Schlüsse auch für eine sinnvolle europäische Klima- und Energiepolitik zu ziehen.

Ansprechpartner BEHG: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Christian Dessau/Carsten Telschow
Ansprechpartner Strom-/Energiesteuern: Niko Liebheit

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