Ein neuer Affront im Binnenmarkt: Kommission genehmigt Ungarn Beihilfe für Kernkraftwerk Paks II

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Die Europäische Kommission hat Ungarn erlaubt, den Bau von zwei neuen Kernreaktoren in Paks (Paks II) massiv finanziell zu fördern. Die Kommission hat zwar festgestellt, dass es sich um Beihilfen handelt, diese aber mit der Begründung genehmigt, dass durch Verpflichtungszusagen von Ungarn Wettbewerbsverzerrungen so gering wie möglich gehalten würden.

Ungarn will mit den Investitionsbeihilfen ermöglichen, dass die derzeit vier Reaktoren auf dem Paks-Gelände, die zwischen 2032 und 2036 abgeschaltet werden sollen, durch zwei neue ersetzt werden. Dazu hatte Ungarn mit Russland ein Kooperationsabkommen abgeschlossen und im Januar 2014 das staatliche russische Unternehmen Rosatom beauftragt, die zwei neuen Kernreaktoren in Paks zu bauen. Es gab keine vorherige Ausschreibung. Ungarn war entschlossen, dasselbe russische Know-how wie für die derzeitigen vier Reaktoren zu verwenden. Ungarn übernimmt die gesamte Finanzierung des Baus der Kernreaktoren (80 Prozent der vorgesehenen Kosten werden mit Hilfe eines russischen Darlehens in Höhe von 10 Mrd. Euro vom ungarischen Staat finanziert). Nach den Planungen soll das Bauvorhaben 2018 beginnen. 2023 sollen die beiden Reaktoren in Betrieb gehen.

Beihilfe, aber binnenmarktkonform 

Die beihilferechtliche Untersuchung der Kommission ergab, dass Ungarn eine niedrigere Rendite als ein privater Kapitalgeber auf die Investition akzeptiert und dass dies eine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt. Eine solche staatliche Beihilfe kann nur dann genehmigt werden, wenn sie auf das zur Erreichung der angestrebten Ziele erforderliche Maß beschränkt und angemessen ist. Laut der für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissarin Magrethe Vestager hat Ungarn während der Prüfung „wesentliche Verpflichtungszusagen gemacht, so dass die Kommission die Investition nach den EU-Beihilfevorschriften genehmigen konnte.“

Folgende Verpflichtungen ist Ungarn insbesondere eingegangen:

  1. die mit Paks II erzielten Gewinne dürfen nicht für die Reinvestition in den Bau oder für den Erwerb zusätzlicher Erzeugungskapazität verwendet werden;
  2. Paks II soll getrennt vom Betreiber des Paks-Kernkraftwerks verwaltet werden;
  3. Paks II soll mindestens 30 Prozent seiner gesamten Stromerzeugung an der Strombörse verkaufen.

Genauer können wir den Beschluss der EU- Kommission erst prüfen, wenn etwaige Vertraulichkeitsfragen geklärt sind und der Beschluss veröffentlicht wird. Es bestehen aber jetzt schon erhebliche Zweifel, ob die Subventionierung von Paks II mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar ist und demzufolge an Art. 107 Abs. 3 AEUV so anwendbar ist, wie die Kommission es tut.

Einwände gegen die Ansicht der Kommission

Laut Artikel 107 Abs. 3 lit. c AEUV können Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete binnenmarktskonform sein, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Für die Kommission ist diese Bedingung erfüllt, wenn unter anderem ein gemeinsames Interesse vorliegt und die Beihilfe nötig und geeignet ist, um ein Marktversagen zu korrigieren.

Die Kommission wiederholt ihre Rechtsauffassung aus der Genehmigung der Beihilfen für das neue AKW in Großbritannien, Hinkley Point C (wir berichteten). Diese wird nicht nur von Österreich und Luxemburg in einer Klage vor dem EuGH bestritten. Auch zahlreiche deutsche Stadtwerken und ein österreichischer und deutscher Grünstromhändler gehen dagegen vor dem Europäischen Gericht vor. In dem Beschluss zur Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens war die Kommission der Ansicht, dass die Förderung der Kernenergie auf der Grundlage von Art. 2 lit. c Euratom-Vertrag als gemeinsames Interesse angesehen werden kann. Gemäß dieses Artikels hat die Union „die Investitionen zu erleichtern und, insbesondere durch Förderung der Initiative der Unternehmen, die Schaffung der wesentlichen Anlagen sicherzustellen, die für die Entwicklung der Kernenergie in der Gemeinschaft notwendig sind.“

Dabei geht es aber nicht um eine unmittelbare Förderung durch Mitgliedstaaten selbst, sondern wenn überhaupt, dann über die EU. Es gibt aber keine EU-Förderprogramme für den Bau neuer Atomkraftwerke.

Entscheidender ist, dass der Euratom-Vertrag den Willen der Mitgliedstaaten im Jahr 1957 ausdrückt. Die Förderung der Kernenergie ist aber nicht mehr zeitgemäß. Wie bereits in der Hinkley-Point-Entscheidung provoziert die Kommission im Effekt eine Unterhöhlung des Energiebinnenmarktes. Wenn sie die Genehmigung der ungarischen Beihilfe damit begründet, dass ein Marktversagen für ein Unterfangen im gemeinsamen europäischen Interesse im Sinne des Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV korrigiert werden muss, dann stellt sich die Frage, ob der Strommarkt versagt oder im Gegenteil funktioniert, und ob ein gemeinsames Interesse vorliegt. Erneut scheint es so, dass Beihilfen ein Marktversagen herbeiführen, anstatt es zu korrigieren.

Im Jahr 2008 hat die Kommission im Rahmen der zweiten Überprüfung der Energiestrategie sogar betont, wie wichtig es ihr sei, „dass in der EU in Kernenergieprojekte keine staatlichen Beihilfen fließen“. Wenn sie jetzt sagt, die Investitionsbeihilfe für Paks II verändere die Handelsbedingungen im Strommarkt, ohne dem gemeinsamen Interesse zuwiderzulaufen, dann ist das schwer nachvollziehbar.

Zukunftsperspektiven

Nachbarländer und am europäischen Strommarkt teilnehmende Unternehmen könnten die Entscheidung der Kommission durch eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gericht bzw. Gerichtshof anfechten.

Für deutsche unabhängige Produzenten und Grünstromhändler ist die Lage im Verhältnis zu ungarischen, geförderten Nuklearstromimporten sogar noch negativer als bereits für das Hinkley-Point-Projekt. Dies wurde der Kommission für Paks II durch eine entsprechenden Analyse von Brainpool dargelegt und war Thema einer Erörterung und Präsentation bei der DG Wettbewerb.

Ergänzend ist noch auf Folgendes hinzuweisen:

Unabhängige Experten bewerten auch die Umweltverträglichkeitserklärung von Ungarn als fragwürdig. Es sei insbesondere unklar, ob sie ausreichende und zuverlässige Informationen enthalte, damit die Nachbarländer gemäß EU-Richtlinie, Espoo- und Aarhus-Übereinkommen das Gefährdungspotential einschätzen können.

Außerdem schloss die Kommission im November 2016 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn wegen der freihändigen Vergabe des Auftrags an Rosatom für Paks II ab, das die Frage aufwarf, ob Ungarn die Diskriminierung anderer Energiequellen begründen musste. Gemäß Art. 7 EltRL (Energiebinnenmarktrichtlinie/RL 2003/54/EG) sollten die Mitgliedstaaten dafür sorgen, dass neue Kapazitäten oder Energieeffizienz-/Nachfragesteuerungsmaßnahmen im Interesse der Versorgungssicherheit über ein Ausschreibungsverfahren oder ein hinsichtlich Transparenz und Nichtdiskriminierung gleichwertiges Verfahren auf der Grundlage veröffentlichter Kriterien bereitgestellt bzw. getroffen werden können. Gefördert werden hier die optimalen Energiequellen nach den Marktbedingungen und deren Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft. Kernenergie gehört nicht dazu.

Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet

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