Energiepreiskrise: Ein Überblick über Maßnahmen und ihre Auswirkungen

Jeden Tag gibt es neue Informationen, Entwürfe, Konzepte, Stellungnahmen und Meinungsäußerungen im Zusammenhang mit den hohen Energiepreisen. Die in den Raum gestellten Zahlen überschreiten leicht das Vorstellbare: das Entlastungspaket I mit 30 Mrd. Euro und das Entlastungspaket II mit 65 Mrd. Euro waren nur den Anfang. Die jüngst mit dem „Doppel-Wumms“ aus dem Entlastungspaket III ausgelobten 200 Mrd. Euro entsprechen ungefähr dem nominalen Bruttoinlandsprodukt einer Volkswirtschaft wie Griechenland oder Peru. Lassen Sie uns versuchen, etwas Ordnung in die Diskussion zu bringen.

Preisbremsen auf allen Ebenen

Im Mittelpunkt der Diskussionen über den Umgang mit der Energiepreiskrise stehen die „Preisbremsen“, also die Versuche, die Preise zu dämpfen oder die Betroffenen zu entlasten. Dabei sind aktuell vor allem zwei Dokumente zentral: auf europäischer Ebene die Verordnung des Rates über Notfallmaßnahmen als Reaktion auf die hohen Energiepreise (Notfallmaßnahmen-VO) und auf nationaler Ebene der Zwischenbericht „Sicher durch den Winter“ der ExpertInnen-Kommission Gas und Wärme vom 10.10.2022 (Zwischenbericht).

Die Notfallmaßnahmen-VO zielt primär auf die Stromversorgung. Europaweit sollen von Stromerzeugern, die aufgrund des Strommarktdesigns derzeit extrem hohe Strompreise am Markt realisieren können, sogenannte Überschusserlöse abgeschöpft werden, um Entlastungsmaßnahmen von Stromverbrauchern zu finanzieren. Zusätzlich sollen bei Öl-, Gas-, Kohle- und Raffinerieunternehmen Überschussgewinne als sog. Solidaritätsbeitrag abgeschöpft werden, um damit ebenfalls Entlastungen auf der Verbrauchsseite zu finanzieren – hier aber in Bezug auf „Energie“ und nicht nur Strom.

Der Zwischenbericht entwirft im Kern ein Modell, wie in Deutschland die Verbraucherinnen (von Privathaushalten bis zur energieintensiven Industrie) von den hohen Kosten durch die Gas- und Wärmepreise kurz- und mittelfristig entlastet werden können. Der Bericht unterstellt, dass der Bund die Mittel dafür organisiert.

Welcher Vorschlag bremst was?

Weder die Notfallmaßnahmen-VO noch der Zwischenbericht sehen vor, dass der Energiepreis selbst gebremst wird. Beide Modelle wollen nicht in das Marktdesign eingreifen. Sowohl der Strom- als auch der Gaspreis würden also weiterhin auf ihren jeweiligen kriegsbedingt hohen Niveaus verharren. Gebremst wird nur der Effekt der hohen Preise auf die Energieverbraucher.

Die EU-Kommission erwägt weitere Schritte, die tatsächlich auf das Marktdesign abzielen würden, um den Effekt der hohen Gaspreise auf die Strompreise zu verringern. Diese sollen etwa Januar 2023 vorgestellt werden. Zur gleichen Zeit soll auch die deutsche ExpertIinnenkommission zum Energiewende-Monitoring eine erste Analyse zum Strommarktdesign erarbeiten.

Auswirkungen auf Stromerzeuger: Preissetzer oder nicht?

Die Auswirkungen der Maßnahmen unterscheiden sich sehr stark nach den Marktrollen.

Ob Stromerzeuger betroffen sind, entscheidet sich danach, ob sie den Preis am Markt setzen oder nicht.

Die Preissetzer sind derzeit sehr oft Gas verbrennende Erzeuger. Das ist nicht nur teuer, sondern eigentlich auch unerwünscht. Wegen der hohen Gaspreise sind viele Anreize gesetzt worden, das Erdgas „zu sparen“ und nicht zu verbrennen. Werden diese Kraftwerke aber gebraucht, dann gibt der gasbedingt hohe Preis, den sie aufrufen, den Preis für den gesamten Strom vor. Das ist der Effekt des Strommarktdesigns, das vom sogenannten Merit-Order-Prinzip mit einem Markträumungspreis (Market Clearing Price) ausgeht.

Unterhalb der Preissetzer liegen die von der Notfallmaßnahmen-VO erfassten, sogenannten inframarginalen Stromerzeuger. Sie profitieren von den hohen Preisen, die durch die Preissetzer produziert werden, obwohl ihre Kosten nicht zwingend im gleichen Maße (oder gar nicht) gestiegen sind. Hier setzt die Notfallmaßnahmen-VO an: Diese „Überschusserlöse“ sollen jenseits einer definierten Schwelle von 180 Euro/MWh abgeschöpft werden (Art. 6 Abs. 1 Notfallmaßnahmen-VO).

Inframarginale Stromerzeuger sind praktisch alle außer Gas (und Steinkohle), von Atom und Braunkohle über Erneuerbare wie Photovoltaik und Wind bis Abfall. Es geht immer um die Erlöse, die der Stromerzeuger selbst (oder durch einen Stellvertreter) bei der ersten Veräußerung erzielt. Wenn der Strom also bereits langfristig zu einem Preis unterhalb der Schwelle von 180 Euro/MWh verkauft wurde, soll auch keine Abschöpfung gegenüber einem virtuellen Spotmarktverkauf erfolgen. Eigenverbrauch bleibt komplett außen vor, da hier ja gerade kein Verkauf von Strom erfolgt. Die Abschöpfung gilt zunächst vom 1.12.2022 bis zum 31.6.2023. Der zeitliche Anknüpfungspunkt soll der Lieferzeitpunkt sein.

Die Mitgliedstaaten können diese Grundideen an ihre heimische Situation anpassen. Das reicht von der Möglichkeit, Regelenergie komplett auszunehmen über andere Obergrenzen für einzelne Technologien bis zu der Möglichkeit, 10 Prozent der „Überschusserlöse“ doch beim Erzeuger zu belassen. Im nächsten Schritt wird die Europäische Kommission „Leitlinien“ erarbeiten, an denen sich die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung orientieren sollen. Die Bundesregierung hat in ihrer Abstimmung mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer kürzlich mitgeteilt, dass sie „zeitnah einen entsprechenden Gesetzentwurf zur Einführung einer Strompreisbremse in den Deutschen Bundestag einbringen“ wird.

Die preissetzenden Kraftwerke (Gas und Steinkohle) sind nicht Teil dieser grundsätzlichen Abschöpfung. In Bezug auf Steinkohle gibt Art. 8 Abs. 1 lit. d) der Notfallmaßnahmen-VO den Mitgliedstaaten aber die Möglichkeit, für Markterlöse aus dem Verkauf von aus Steinkohle erzeugtem Strom eine gesonderte Obergrenze festzulegen, weil deren kurzfristige Erzeugungskosten aufgrund der ebenfalls stark gestiegenen Steinkohlepreise mitunter die Schwelle von 180 Euro/MWh überschreiten.

Für Gas- und Steinkohleverstromer kann dann allenfalls noch die zweite Variante der Abschöpfung der Notfallmaßnahmen-VO greifen, nämlich der sogenannte „Solidaritätsbeitrag“ nach Art. 14. Er umfasst allgemein Unternehmen mit „Tätigkeiten im Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriebereich“, was in erster Linie Förderer im Blick hat. Aufgrund der weiten Definition des Adressatenkreises könnten aber theoretisch auch Verstromer erfasst sein. Die Bemessungsgrundlage für den befristeten Solidaritätsbeitrag findet sich in Art. 15. Es geht um den Teil der steuerpflichtigen Gewinne für die Geschäftsjahre 2022 und 2023, der mehr als 20 Prozent über dem Durchschnitt der letzten vier Jahre liegt. Von dieser Bemessungsgrundlage sollen dann 33 Prozent als Solidaritätsbeitrag abgegeben werden (Art. 16 Abs. 1), wobei die Mitgliedsstaaten den Prozentsatz erhöhen können. Die Verordnung bestimmt, dass Deutschland bis zum 31.12.2022 Maßnahmen zur Umsetzung des Solidaritätsbeitrages erlassen und veröffentlichen muss.

Die Gasimporteure sind bislang nicht explizit angesprochen, könnten aber über den Solidaritätsbeitrag zur Kasse gebeten werden, wenn sie entsprechende Gewinne machen. Soweit sie aber – wie z.B. Uniper – keine Gewinne, sondern vielmehr massive Verluste machen, erfolgen Rettungs- und Stabilisierungsmaßnahmen nach § 29 EnSiG, im konkreten Falle also durch Verstaatlichung.

Auswirkungen auf große industrielle Verbraucher

Große industrielle Verbraucher, für die die Energiepreise existenziell sein können, sollen durch die Maßnahmen auf europäischer und deutscher Ebene (neben privaten Verbrauchern) ebenfalls geschützt werden. Während die Notfallmaßnahmen-VO hier  nur im Rahmen der Umverteilung der Solidaritätsbeiträge eine konkrete Entlastung vorsieht (Art. 17 Abs. 1 lit. c), hat der Zwischenbericht der deutschen Gaskommission für die größere Industrie einen eigenen Abschnitt mit einem eigenen Instrument vorgeschlagen. Die Gaskommission will für große industrielle Verbraucher mit einem Verbrauch über 1,5 Mio. kWh/a ein subventioniertes Gaskontingent einführen, das 70 Prozent des Verbrauchs des Jahres 2021 umfasst. Das Kontingent soll vom Versorger für 70 Euro/MWh beschafft werden können (es handelt sich hier um den reinen Commodity-Preis, ohne Netzentgelte und sonstige Preisaufschläge). Jenseits des Kontingents gilt der normale vertraglich vereinbarte Arbeitspreis. Die subventionierte Menge muss nicht zwingend verbraucht werden, sondern darf auch anderweitig vermarktet werden. Hier wäre also ein Vorteil zu sehen, wenn man seinen Gasbedarf durch Effizienz oder Fuel Switch reduziert hat. Einfach nur eine Stilllegung von Produktion soll nicht gefördert werden. Die Unternehmen müssen den Standort erhalten und eine Transformationsperspektive aufweisen.

Und die Umsetzung?

Während die dargestellten Vorschläge für Sicherungsinstrumente zugunsten der Industrie im Grundsatz schon einmal recht erfreulich klingen, muss man aber bei deren Umsetzung noch weitere Dinge berücksichtigen. Zunächst müssen die zur Konkretisierung noch notwendigen Regelungen erst einmal so ausgestaltet werden, dass sie auch beihilfenkonform sind. Im Kontext der aktuellen Krise erscheint dies aber lösbar. Zudem funktionieren die Ideen der Gaskommission bislang nur, wenn das betroffene Unternehmen einen klassischen Liefervertrag hat. Für Unternehmen, die ihre Beschaffung selbst am Großhandelsmarkt organisieren, muss noch eine entsprechende Lösung gefunden werden. Das alles hilft aber schließlich gar nicht, wenn Unternehmen schon gar keinen Lieferanten finden, wie in der aktuellen Krisensituation vielfach der Fall. Und auch der stromintensiven Industrie ist mit dem Kontingentmodell für den Gasbezug natürlich noch nicht geholfen.

Die EVU im Sandwich

Zwischen den Erzeugern/Importeuren und den Verbrauchern stehen nicht zuletzt auch die Energieversorgungsunternehmen (EVU). In den allgemeinen Diskussionen werden sie als gegeben – und bis zu einem gewissen Grad merkwürdig unbetroffen – betrachtet. Man ist sich einig, dass die Versorgungsrolle die Effekte der verschiedenen Maßnahmen durchreichen und organisieren soll, bei ihnen soll aber kein Nachteil hängen bleiben.

Betrachtet man die Vorschläge des Zwischenberichts der ExpertIinnen-Kommission, dann sollen die EVU kurzfristig den Dezemberabschlag für die kleineren Verbraucher nicht einziehen, sondern von einer staatlichen Stelle erhalten. Das soll bis 1.12.2022 erfolgen, ansonsten dürften die EVU den Abschlag beim Verbraucher einziehen. Ab Januar soll dann das System der kontingentierten Gas- bzw. Wärmemengen für die Großverbraucher und ab März für die kleineren Verbraucher etabliert sein. Das bedeutet, dass die EVU im Rahmen ihrer Prozesse und Software unterschiedliche Preise für unterschiedliche Mengen verarbeiten können müssen, da diese je nach Verbraucher unterschiedlich sind.

Hinzu kommt, dass die Preisdifferenzen zwischen dem vertraglich vereinbarten Arbeitspreis und dem gedeckelten Preis von einer anderen Stelle („dem Staat“ oder z.B. dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds) kompensiert werden müssen. Offen ist, ob dies mit einer Überprüfung der Vertragspreise einhergeht, schließlich hat der Zwischenbericht explizit darauf hingewiesen, dass robust gegen Missbrauch vorgegangen werden solle. Das könnte in der Praxis aber zu einer aufwendigen Kostenprüfung führen – insbesondere im Wärmemarkt, der nicht einfach einen Preisvergleich über eine Preisplattform ermöglicht.

Schließlich sei noch auf die Stimmen hinzuweisen, die unermüdlich davor warnen, dass übermäßig viele Zahlungsausfälle von Verbrauchern aufgrund der hohen Energiekosten sehr schnell auch zum Ausfall von EVU führen könnten, diese also auch eine Form von Rettungsschirm benötigen.

Wie Sie sehen, sind die politischen Entwicklungen in der Energiekrise durchaus vielschichtig. Versuchen Sie dennoch, denn Überblick zu behalten.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Christian Dessau

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