Kartellamtsbericht zu Fernwärme – Ende oder Anfang des kartellrechtlichen Kopfzerbrechens?

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Das Bundeskartellamt (BKartA) hat bekanntlich die Aufgabe, wirksamen Wettbewerb sicherzustellen. Vermutet es in bestimmten Sektoren eingeschränkten Wettbewerb, darf es gemäß § 32e GWB eine Untersuchung durchführen und in diesem Rahmen von den betroffenen Unternehmen die erforderlichen Auskünfte verlangen, um die Wettbewerbsverhältnisse zu ermitteln.

So auch im Herbst 2009 im Fernwärmesektor. Damals sammelte das BKartA umfangreiche Informationen über die Netze sowie die Erzeugungs- und Absatzstruktur der Jahre 2007 und 2008 von 74 Fernwärmeversorgern, deren Wärmeabsatz 80 Prozent des gesamten Wärmeabsatzes ausmacht. Anlass dafür waren nach Angaben des BKartA sowohl Einwände von Verbrauchern gegen die Höhe ihrer Fernwärmepreise als auch große Preisunterschiede, die anhand der veröffentlichten Preisblätter erkennbar waren. Am 23.8.2012 hat das BKartA nun endlich – drei Jahre später – den Abschlussbericht zur Sektoruntersuchung veröffentlicht. Der Inhalt? Teils erwartbar, teils durchaus überraschend.

Das BKartA zeichnet im Abschlussbericht ein umfassendes Bild über die Struktur und die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Fernwärmemarkt mit folgenden Kernaussagen:

  • Fernwärmenetze sind nach ihrer Größe in unterschiedliche Netzkategorien zu unterteilen, und zwar in Kleinnetze (1 bis 10 km), Mittelnetze (10 bis 100 km) und Großnetze (ab 100 km).
  • Größere Netzgebiete sind für den Verbraucher durchschnittlich kostengünstiger als kleine Gebiete. Tendenziell teurer sind die Wärmepreise in Fernwärmegebieten, in denen ein Abnahmezwang (z. B. aus Bebauungsplänen, Anschluss- und Benutzungszwängen oder Dienstbarkeiten) besteht.
  • Zwischen den einzelnen Netzgebieten bestehen erhebliche Preisunterschiede. Bei den Klein- und Mittelnetzen schwanken die Preise um teilweise mehr als 100 Prozent, bei den Großnetzen um über 50 Prozent. Grund dafür können strukturelle Besonderheiten eines Gebietes sein, wie z. B. die Auslastung der Netze oder der verwendete Brennstoff.
  • Ab 2013 werden sich voraussichtlich erstmals auch die Kosten für den Erwerb von CO2-Zertifikaten auf die Verbraucherpreise auswirken. Während kleine Wärmeerzeugungsanlagen bis zu einer Leistung von 20 MW nach wie vor vom Emissionshandel ausgenommen sind, benötigen große Wärmeerzeugungsanlagen ab 2013 CO2-Zertifikate und haben dadurch spürbare Mehrkosten zu tragen.

Was Marktstruktur und Marktverhältnisse der Fernwärmeversorgung betrifft, sieht sich das BKartA durch die erhobenen Daten in seiner bisherigen wettbewerbsrechtlichen Beurteilung weitestgehend bestätigt. Aus Sicht von Fernwärmeversorgern gilt Folgendes:

  • Die Fernwärmeversorgung bildet einen separaten, von anderen Heizsystemen getrennten Markt. Dabei ist der etablierte Versorger in den räumlich auf das jeweilige Fernwärmenetz begrenzten Gebieten in aller Regel einziger Anbieter. Er ist damit marktbeherrschend und Adressat der Missbrauchsverbote in §§ 19 ff. GWB.
  • Das BKartA konnte keine Hinweise darauf finden, dass die Fernwärmepreise in Deutschland flächendeckend gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB missbräuchlich überhöht sind. Aus den zum Teil erheblichen Preisunterschieden ergaben sich aber im Einzelfall Anhaltspunkte für einen Preismissbrauch, denen die Behörde in Kürze durch konkrete Missbrauchsverfahren nachgehen will.
  • Konkrete Hinweise auf eine missbräuchliche Verweigerung der Durchleitung von Wärmemengen gab es nicht. Zwar kann sich im Grundsatz ein Zugangsanspruch externer Versorger gegen den Fernwärmenetzbetreiber aus § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB ergeben. Dieser erfordert aber eine wirtschaftliche Zumutbarkeit und technische Realisierbarkeit, die nur selten besteht.
  • Ein Anspruch aus § 20 Abs. 1, 2 GWB auf Abnahme von Wärmemengen Dritter scheidet nach Auffassung des BKartA grundsätzlich aus. Nur bei (grundlosem) Abbruch bestehender Lieferbeziehungen ist ein solcher im Einzelfall denkbar.

Auch aus Sicht von Gemeinden, in deren Gebiet Fernwärme geliefert wird, enthält der Abschlussbericht einige interessante Feststellungen:

  • Gemeinden müssen Wegerechte für die Verlegung und den Betrieb von Fernwärmeleitungen gemäß §§ 19, 20 GWB diskriminierungsfrei und transparent vergeben. Wenn diese nicht ausschließlich sind und jedem Interessenten zu gleichen Konditionen gewährt werden, können sie frei vergeben werden. Wenn dagegen einem Fernwärmeversorger mit der Einräumung des Wegerechts zugleich eine ausschließliche Versorgerstellung eingeräumt wird (z. B. bei bestehendem Anschluss- und Benutzungszwang oder privatrechtlicher Abnahmeverpflichtung), muss dies prinzipiell ausgeschrieben werden.
  • Die Entgelte für die Einräumung von Wegerechten sind am Maßstab des Preismissbrauchsverbots nach § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB zu beurteilen. Zwar steht den Gemeinden beim Festlegen der Preise mangels gesetzlicher Vorgaben (z. B. KAV) grundsätzlich ein gewisser Spielraum zu. Da aber die Entgelte in Einzelfällen ein Vielfaches über dem Bundesdurchschnitt lagen, behält sich das BKartA vor, diesen Fällen gesondert nachzugehen.

Wie geht es weiter?

Das Gute vorab: Eine Entflechtung und Regulierung der Wärmenetze hält das BKartA für nicht geboten. Auf einige einschneidende Entwicklungen muss sich der Markt dennoch in naher Zukunft gefasst machen.

Das BKartA oder die zuständigen Landeskartellbehörden wird/werden voraussichtlich gegen diejenigen Fernwärmeversorger, die in den Jahren 2007 und 2008 die höchsten Erlöse erzielten, schon bald Missbrauchsverfahren einleiten. Das BKartA betont dabei, dass die Höhe der Entgelte nicht automatisch auf einen Missbrauch schließen lässt. Es wird daher vor allem zu klären sein, ob im jeweiligen Netzgebiet strukturelle Besonderheiten vorliegen, die überdurchschnittlich hohe Entgelte erforderlich machen. Der Markt muss sich also voraussichtlich auf weitere Abfragen einstellen.

Nicht neu ist die politische Forderung des BKartA, § 29 GWB auch auf die Fernwärmeversorgung auszudehnen. Um den Wettbewerb anzukurbeln, regt das BKartA außerdem an, Unternehmen gesetzlich dazu zu verpflichten, ihre aktuellen Fernwärmepreise dauerhaft im Internet zu veröffentlichen und die Erstlaufzeit von Fernwärmelieferverträgen (bis zu zehn Jahre) zu verkürzen. Darüber hinaus spricht sich das BKartA für eine Aufhebung oder Befristung von Abnahmeverpflichtungen und die Einführung von Höchstsätzen für die Einräumung von Fernwärmewegerechten (wie bei Gas-Konzessionsabgaben) aus.

Etwas überraschend ist schließlich, dass sich das BKartA für eine Einschränkung des Vorrangs für Erneuerbare Energien im Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) ausspricht und befürwortet Fernwärmeversorger einerseits und Erdgas- bzw. Öllieferungen gleichzubehandleln, was die Pflicht zur Teilnahme von Wärmeerzeugungsanlagen mit einer Leistung von über 20 MW am Emissionshandel betrifft.

Obwohl der Bericht nur wenige Fragen abschließend beantworten konnte, zeichnet er doch ein interessantes – wenn auch inzwischen etwas veraltetes – Bild über die Marktverhältnisse und liefert Einblicke in die Gedankenwelt des BKartA zur rechtlichen Ausgestaltung der Fernwärmeversorgung.

Insgesamt dürfte der Abschlussbericht nicht das Ende, sondern erst der Anfang der Analyse und des möglichen Umbaus des Fernwärmemarktes sein. Nicht umsonst fordert das BKartA interessierte Kreise dazu auf, in einen Dialog mit der Behörde einzutreten und bis zum 5.10.2012 zum Bericht Stellung zu nehmen. Da der Bericht reichlich Anlass zur Diskussion bietet, ist mit reger Resonanz des Marktes zu rechnen.

Wenn Sie sich für eine ausführlichere Zusammenfassung des Abschlussberichts interessieren, schauen Sie hier.

Ansprechpartner: Stefan Wollschläger/Ulf Jacobshagen

Ansprechpartner Kartellrechtsaspekte: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann

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