Knobelspaß mit dem neuen KWKG: Wer oder was ist ein Carbon Leakage?

Jeder weiß: Der Entwurf des KWKG 2012 verspricht den Betreibern neuer KWK-Anlagen einen Zuschlag in Höhe von 1,5 Cent pro Kilowattstunde (kWh), um Investitionsanreize zu setzen. Für neue KWK-Anlagen, die dem Emissionshandel unterliegen, erhöht sich der Zuschlag auf 1,8 Cent/kWh. So weit so gut. Dieser zusätzliche Anreiz soll aber denen vorbehalten bleiben, die die Lasten des Emissionshandels tatsächlich tragen. Aus diesem Grund will der Gesetzgeber nach bisherigem Stand Anlagenbetreibern den Zusatz-Zuschlag wieder streichen, soweit sie Wärme an „Anlagen in Sektoren mit Verlagerungsrisiko“ liefern – also an Branchen, die ihre Produktion ins ferne Ausland verlagern und sich so die Lasten des Emissionshandels ersparen könnten (sog. Carbon-Leakage-Sektor). In dem Fall gibt es dem Entwurf nach nur das Übliche, also die 1,5 Cent.

Streit um den 0,3er Zuschlag

Gegen diese Verknüpfung in den Emissionshandel hinein gibt es viele, treffliche Bedenken – von den Betreibern, von zahlreichen Verbänden (zum Beispiel des Verbandes der Chemischen Industrie e.V. – VCI) und dem Bundesrat: Ob man sich für eine Technologie wie KWK entscheidet, hänge doch nicht davon ab, ob die damit belieferten Kunden Carbon-Leakage-Kunden sind oder nicht. So eine Förderung sei halbherzig, und eine halbherzige Förderung sei keine. Auch Wärmelieferungen in „Sektoren mit Verlagerungsrisiko“ trügen Lasten aus dem Emissionshandel. Wenn Verknüpfung: Warum werden dann nur Neuanlagen gefördert, nicht aber auch die belasteten Bestandanlagen? Usw. usw.

Abseits der Förderfrage jedenfalls bleibt festzustellen: Die Verknüpfung in den Emissionshandel bildet gar nicht ab, was sie bezweckt. Und die Behauptung in der Entwurfsbegründung „Dem Bund entsteht durch das Gesetz kein wesentlicher, zusätzlicher Erfüllungsaufwand.“ (Punkt E.3) darf getrost belächelt werden.

kWh für kWh

Versetzen wir uns in einen KWK-Anlagenbetreiber hinein, der wissen will, für welche Wärmelieferung er welche Zuschläge bekommt. Ausgangspunkt der Rückausnahme ist die „Wärme, die ein Betreiber an Anlagen in den Carbon-Leakage-Sektor“ liefert. Das heißt, er muss kWh für kWh prüfen, wen er eigentlich mit welcher kWh beliefert. Das geht noch schnell. Dann muss sich unser Anlagenbetreiber überlegen, welche seiner Wärmekunden Anlagen im Carbon-Leakage-Sektor sind und welche nicht. Und was er mit den Wärmeverlusten macht, das muss er sich auch noch überlegen.

Welche Sektoren an sich abwanderungsbedroht sind, kann der Betreiber der Carbon-Leakage-Liste der Europäischen Kommission vom 24.12.2009, zuletzt geändert durch Beschluss vom 11.11.2011, entnehmen. Dass diese fortlaufend aktualisiert wird, erhöht nicht nur den Spannungsbogen, sondern auch den laufenden Überwachungsaufwand. Letzteres aber nur vermutlich, weil ja noch zu klären wäre, ob und was eigentlich passiert, wenn jemand „mitten drin“ den Carbon-Leakage-Status gewinnt oder ihn verliert.

Einfach ist anders – Carbon Leakage in der Praxis

In der Liste der abwanderungsbedrohten Industrien sind derzeit rund 170 Abteilungen aufgeführt – von Chemikalien über Papier bis hin zu Pullovern oder Phantasieschmuck. Der zu diesem Zeitpunkt noch recht frische Anlagenbetreiber liest also die Liste. Und stellt fest: Es sind gar nicht Branchen in der Carbon-Leakage-Liste erfasst. Es geht um Produkte. Wer zum Beispiel die Milchindustrie beliefert, findet dem Wortlaut nach zwar „Milch und Rahm in fester Form“, „Casein“ und „Lactose und Lactosesirup“. Was aber ist mit den Abnehmern von Wärme, die Kondensmilch, Käse und Molkepulver herstellen? Die Anlagenbetreiber, die einen Zuteilungsantrag für die dritte Handelsperiode stellen mussten, wissen wovon die Rede ist; nicht selten haben sie auf die Geltendmachung des CL-Status verzichten müssen. So zum Beispiel, wenn der Kunde auf die Frage nach ihren Einzelprodukten und den für die Identifizierung ebenso erforderlichen NACE-Codes keine Antwort geben möchte. Oder manchmal auch nicht geben kann.

Aber das nicht genug: Selbst wenn der glückliche Anlagenbetreiber genau weiß, dass z.B. der Sportgerätehersteller unter den NACE-Code 36.40 fällt, heißt das nicht, dass er auch mit allen Mengen Carbon Leakage ist. Vielleicht beheizt er am Standort nicht nur die Maschinenhalle, sondern auch noch die Hausmeisterwohnung, den Betriebskindergarten und Büroräume? Hier haben die Zuteilungsbehörde Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) und die in der dritten Handelsperiode mitentscheidungsberechtigte Europäische Kommission ganz unterschiedliche Meinungen. Die einen sagen, nur die produktionsrelevanten Mengen sollen es sein. Die anderen stellen auf den Standortbezug ab.

Unser Anlagenbetreiber ist bereits erschöpft. Aber leider immer noch nicht fertig. Nun stellt sich die alles entscheidende Frage: Wer weist da eigentlich was wie nach? Was tun, wenn der Kunde mauert und kein Auskunftsanspruch in Sicht ist? Welcher Genauigkeitsgrad reicht hier? Wenig tröstlich in diesem Wirrwarr ist die 5-Prozent-Schwelle des KWKG-Entwurfes. Nach ihr gilt die Wärme vollständig als nicht an Sektoren mit Verlagerungsrisiko geliefert, wenn der Betreiber den Nachweis erbringt, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr als 5 Prozent der gelieferten Wärme an abwanderungsbedrohte Sektoren geliefert wird.

Und weiter geht es: Warum der Link in den Emissionshandel schwierig ist

Bei der kWh-Zuordnung wird der Anlagenbetreiber sich mit weiteren Fragen konfrontiert sehen. Nur weil der Wärmeabnehmer Carbon Leakage ist, heißt das noch lange nicht, dass klar wäre, wer die Zertifikate zugeteilt bekommt. Wer einen selbst emissionshandelspflichtigen Abnehmer beliefert (zum Beispiel einen Cracker oder eine Papierfabrik), der bekommt keine Zuteilung – denn diese geht an den Abnehmer. Wer umgekehrt einen nicht emissionshandelspflichtigen Abnehmer beliefert (eine Autofabrik), der bekommt die Zertifikate direkt. Dieses und die 0,3er Differenzierung gilt es künftig abzubilden. Aber auch wenn diese Hürde genommen wird, muss der Neuanlagenbetreiber in KWK, der auf die Förderung hoffen darf, auf ein Weiteres achten: Es kann nämlich sein, dass er überhaupt keine Zertifikate für die erzeugte Wärme mehr bekommt. Denn alle Anlagen, die nach dem 30.6.2011 den Regelbetrieb aufgenommen haben, erhalten ihre Zuteilung aus der Reserve für Neuanlagen. Reicht diese absehbar nicht mehr aus, kann die Europäische Kommission eine faire Verteilung der Reserve vornehmen. Das kann im Zweifel dann auch (fast) nichts sein. Wer das Pech hat, dann noch Carbon-Leakage-Kunden zu haben, der bekommt von diesem Nichts dann noch den 0,3er-Zuschlag abgezogen.

Wer jetzt noch nicht genug hat (und weiter liest), darf sich ein Weiteres fragen: Was macht man mit Carbon-Leakage-Kunden, die vergessen haben, den Status zu beantragen? Sind die dann auch im Sinne des KWKG nicht abwanderungsbedroht? Gilt das auch für die, die um ihren Status vor Gericht streiten (müssen)? Und ist es nicht eigentlich auch unfair, die 0,3er-Kürzung als Anlagenbetreiber zu bekommen, wenn der Abnehmer trotz Carbon-Leakage-Zuteilung so wenig zugeteilt bekommt (wegen Benchmarkzuteilung und weiteren Kürzungsfaktoren), dass er in Deutschland nicht bleiben kann? Na gut, dann hat sich der Fall ohnehin erledigt: kein Abnehmer – keine KWK-kWh.

Fazit: So geht es nicht. Die Hoffnung ruht auf dem Parlament.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Markus Kachel

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