Netzstabilität und Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien

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Netzstabilität und Systemsicherheit zu gewährleisten wird vor dem Hintergrund des Ausbaus Erneuerbarer Energien zu einer immer größeren Herausforderung. Die Maßnahmen zum Erhalt der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems haben in den vergangenen Jahren stetig zugenommen, mit entsprechenden Kostenbelastungen für die Netznutzer. Die Gesamtkosten der Netzeingriffe allein im Jahr 2017 beliefen sich auf 1,2 Mrd. Euro. Eine der Maßnahmen ist dabei das so genannte Redispatch, das Netzbetreiber durchführen, wenn im Netz ein „Flaschenhals“ entsteht, über den der Strom nicht transportiert werden kann. Dabei werden Erzeugungsanlagen vor dem Engpass herunter- und solche dahinter hochgeregelt, um die Stromversorgung jenseits des Engpasses sicherzustellen. Außerdem werden EE- und KWK-Anlagen im Wesentlichen aufgrund von Maßnahmen des sog. Einspeisemanagements abgeregelt.

Vor dem Hintergrund der stetig steigenden Kosten für die Gewährleistung der Systemstabilität wird schon seit längerem diskutiert, ob und inwieweit der gegenwärtige Rechtsrahmen noch angemessen ist, um den bestehenden Herausforderungen gerecht zu werden. Einen neuen Beitrag zu der Diskussion leistet nunmehr eine Studie, die unter Beteiligung von BBH (gemeinsam mit Consentec und Ecofys) für das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) erstellt wurde. Ihr sperriger Titel lautet: „Entwicklung von Maßnahmen zur effizienten Gewährleistung der Systemsicherheit im deutschen Stromnetz“, und ihr Ziel ist es, die bestehenden Regeln zum Netzengpassmanagement weiterzuentwickeln. Auf der Basis umfangreicher energiewirtschaftlicher und technischer Untersuchungen zur Netzstabilität und der Analyse des bestehenden Rechtsrahmens werden dabei Empfehlungen gegeben, wie insbesondere der Redispatch weiterentwickelt werden könnte. Bei der Entwicklung dieser Empfehlungen waren auch zahlreiche Stakeholder aus der Praxis beteiligt; in mehreren Workshops wurden Zwischenergebnisse vorgestellt und mit den Stakeholdern diskutiert.

Derzeit werden EE- und KWK-Anlagen mit Einspeisevorrang grundsätzlich erst abgeregelt, wenn Anlagen ohne Einspeisevorrang nicht mehr abgeregelt werden können, um einen Netzengpass zu umgehen. Das führt – so ein Ergebnis der Studie – in einzelnen Stunden im Jahr zu erheblichen Mehrkosten, weil Erzeugungsanlagen ohne Einspeisevorrang in erheblichem Umfang ab- und raufgeregelt werden müssen, während eine Abregelung von EE- oder KWK-Anlagen – rein technisch betrachtet – in wesentlich geringerem Umfang erforderlich wäre, weil sie direkt auf den Netzengpass wirken. Gegenstand der Studie war daher u.a. die Frage, ob in Ausnahmefällen eine Relativierung des Einspeisevorrangs rechtlich möglich ist. Der Einspeisevorrang für Erneuerbare Energien sollte damit aber keinesfalls generell in Frage gestellt werden (auch wenn aus der – z.T. fehlerhaften – Darstellung in der Presse teilweise ein anderer Eindruck entstand). Denn der Einspeisevorrang ist und bleibt ein wichtiges Instrument für die Förderung Erneuerbarer Energien gerade in Zeiten zunehmender Netzengpässe und ist zudem nach aktueller Rechtslage auch europarechtlich vorgegeben. Allerdings schlägt die Studie vor, dass in Einzelfällen zur Sicherung des Netzbetriebs ausnahmsweise EE- oder KWK-Anlagen abgeregelt werden können, auch wenn noch einzelne konventionelle Anlagen am Netz sind – in besonderen Situationen und um volkswirtschaftliche Kosten zu sparen. Finanzielle Risiken für EE-und KWK-Anlagenbetreiber bestehen in diesen Fällen grundsätzlich nicht, da der gesetzliche Entschädigungsanspruch für Anlagenbetreiber im Falle einer Abregelung ausdrücklich beibehalten werden soll.

Neben dem in der Öffentlichkeit besonders intensiv diskutierten Thema der Relativierung des Einspeisevorrangs beschäftigt sich die Studie mit zahlreichen weiteren Ansätzen zur Verbesserung der Systemstabilität – etwa der stärkeren Verankerung von planwertbasierten Prozessen bei der Abregelung und der Verbesserung des Informationsaustauschs zwischen allen Beteiligten (Übertragungsnetzbetreiber, Verteilernetzbetreiber, Anlagenbetreiber, Direktvermarkter). Zudem wird vorgeschlagen, den bilanziellen Ausgleich bei Abregelungen von EE- und KWK-Anlagen zu stärken, um damit die Netzstabilität zu verbessern. Anlagenbetreiber und Direktvermarkter sollten demnach jedoch keine eigenen Pflichten zum Bilanzausgleich haben und auch von finanziellen Risiken freigestellt werden, was nach aktueller Rechtslage jedenfalls nicht eindeutig ist (so ist die entsprechende Auffassung der Bundesnetzagentur durch ein Urteil des LG Bayreuth in Frage gestellt worden). Grundsätzlich sollen die Netzbetreiber den Bilanzausgleich vornehmen, wobei Erleichterungen für kleinere Netzbetreiber und Übergangsregelungen angeregt werden. Das Gutachten legt außerdem Wert darauf, dass die Kostentragung sachgerecht und nicht einseitig zu Lasten der Netzbetreiber geregelt wird.

Ob und inwieweit Empfehlungen aus der Studie auch gesetzlich umgesetzt werden, ist derzeit offen. Es wäre aber in jedem Fall wünschenswert, wenn der Rechtsrahmen zur Gewährleistung der Systemstabilität angepasst würde, um in diesem energiewirtschaftlich zentralen Bereich Rechtssicherheit zu schaffen und – gerade auch zum Erhalt der Akzeptanz der Energiewende – die volkswirtschaftlichen Kosten möglichst gering zu halten sowie angemessen zu verteilen.

Ansprechpartner: Jens Vollprecht/Dr. Thies Hartmann/Dr. Wieland Lehnert

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