OLG Düsseldorf verhandelt Netzentgeltbefreiung für intensive Netznutzer

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Stromverbraucher, die das Netz auf atypische Weise oder besonders intensiv nutzen, können vom regulären Netzentgelt ganz oder teilweise befreit werden (§ 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV-Umlage). Dabei gibt es aber allerhand offene Rechtsfragen – welche, das wurde jetzt in einem Verfahren vor dem OLG Düsseldorf offenbar. Gestern fand die mit großer Spannung erwartete mündliche Verhandlung in zwei Eilverfahren statt. Das Gericht hatte zwar nur über eine Detailfrage zum Umgang mit den entgangenen Erlösen im Jahr 2011 zu entscheiden, hat aber über diese Frage hinaus schon erkennen lassen, wo es die Probleme sieht. Endgültig wird jedoch erst im Hauptsacheverfahren Anfang des nächsten Jahres entschieden.

Worum geht es?

§ 19 Abs. 2 Satz 1 und 2 StromNEV sehen bei bestimmten Sonderformen der Netznutzung Vergünstigungen für die Zahlung von Netzentgelten vor, die der vorherigen regulierungsbehördlichen Genehmigung bedürfen. So haben Letztverbraucher mit einem atypischen Nutzungsverhalten nach § 19 Abs. 2 Satz 1 StromNEV Anspruch auf ein sog. individuelles Netzentgelt, das auf bis zu 20 Prozent des regulären Netzentgelts abgesenkt werden kann (sog. atypische Netznutzung). Letztverbraucher mit einer hohen, konstanten Stromabnahme können seit der EnWG-Novelle im August 2011 nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV unter bestimmten Voraussetzungen vollständig von den Netzentgelten befreit werden (sog. intensive Netznutzung).

In der Folgezeit erteilten die Regulierungsbehörden entsprechende Netzentgeltbefreiungen. Die meisten Regulierungsbehörden, auch die Bundesnetzagentur (BNetzA), genehmigten die Netzentgeltbefreiungen rückwirkend auf den 1.1.2011, solange die Anträge im Jahr 2011 gestellt wurden.

Dem Netzbetreiber entstehen dadurch Mindereinnahmen (sog. entgangene Erlöse), aufgrund derer er seine Netzkosten ohne Kompensation nicht erwirtschaften könnte. Daher ist im Zuge der EnWG-Novelle 2011 in § 19 Abs. 2 Satz 6 bis 8 StromNEV ein Umlagemechanismus geschaffen worden, der dafür sorgt, dass die entgangenen Erlöse  des jeweiligen Netzbetreibers über den Übertragungsnetzbetreiber auf alle Letztverbraucher abgewälzt werden.

In einer Festlegung hatte die BNetzA am 14.12.2011 (Az. BK8-11-024) Einzelheiten zum Umgang mit den entgangenen Erlösen geregelt. Danach ist u. a. vorgesehen, dass die Übertragungsnetzbetreiber nach einem zuvor durchzuführenden internen Ausgleich erstmalig ab 2012 die Verteilnetzbetreiber gleichmäßig in Form einer §-19-StromNEV-Umlage belasten, die diese wiederum an die Netznutzer weitergeben. Abweichend hiervon wurde jedoch festgelegt, dass Netzbetreiber die entgangenen Erlöse im Jahr 2011 nicht über den beschriebenen Umlagemechanismus ausgleichen sollten, sondern diese gemäß § 5 ARegV auf dem Regulierungskonto des die Erstattung durchführenden Netzbetreibers verbuchen sollten, wodurch üblicherweise die entgangenen Erlöse erst erheblich zeitversetzt erstattet werden.

Gegen die Festlegung legten zahlreiche Netzbetreiber und Lieferanten Beschwerde beim OLG Düsseldorf ein. Gleichzeitig ersuchten zwei Netzbetreiber um einstweiligen Rechtsschutz, um die Verbuchung der Mindereinnahmen des Jahres 2011 auf dem Regulierungskonto vorläufig (bis zur Entscheidung in der Hauptsache) zu verhindern. In dieser Sache wurde gestern verhandelt.

Was sagt das OLG Düsseldorf?

In der mündlichen Verhandlung wurde deutlich, dass das Gericht dem einstweiligen Rechtsschutzantrag der beiden Netzbetreiber wohl nicht stattgeben wird. Die darin konkret angegriffene Regelung in der Festlegung, die den Umgang mit den entgangenen Erlösen im Jahr 2011 regelt, sei als Übergangsregelung notwendig. Fiele sie weg, sähen sich die Übertragungsnetzbetreiber den Ansprüchen der Verteilnetzbetreiber direkt ausgesetzt, die auch für 2011 eine Erstattung der entgangenen Erlöse fordern könnten. Im Ergebnis hätten die Übertragungsnetzbetreiber dann aber nach dem derzeitigen System keine Möglichkeit der Weitergabe der Kosten und würden daher unverhältnismäßig stark belastet.

Das Gericht dachte auch darüber nach, ob eine vollständige Netzentgeltbefreiung energieintensiver Unternehmen nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV richtig ist, insbesondere soweit diese Befreiung in der regulierungsbehördlichen Praxis rückwirkend für den Zeitraum vor Inkrafttreten der novellierten Regelung erteilt wurde. Das Thüringer OLG hatte das vor kurzem bejaht (wir berichteten). Die Düsseldorfer Richter fragten sich, ob der § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV eigentlich so ergehen durfte. Dessen Ermächtigungsgrundlage ist der § 24 Nr. 1 EnWG, der aber von der „Bestimmung der Entgelte“ für den Netzzugang spreche. Ist eine „Bestimmung der Entgelte“ auch ihre Festsetzung auf Null? Dieses und die Frage, ob eine vollständige Befreiung von den Netzentgelten angemessen im Sinne des § 21 Abs. 1 EnWG ist, soll nun im anstehenden Hauptsacheverfahren – und damit in ruhigeren Fahrwassern als in Eilverfahren – geklärt werden. Sehr klar äußerte sich das Gericht allerdings zu der Frage, ob die Regelung eine unzulässige Beihilfe darstellt. Nein, sagt das OLG mit Verweis auf die im Beihilfenrecht bekannte Preussen-Elektra-Entscheidung. Die Netzentgeltbefreiung wird schon nicht aus staatlichen Mitteln gewährt. Dementsprechend verzichtet das Gericht wohl auch darauf, diese Frage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Wie geht es weiter?

Das OLG Düsseldorf hat angekündigt, den Beschluss über den Eilantrag am 14.11.2012 zu verkünden. Ob es in der Begründung dieser Entscheidung seine Aussagen aus der mündlichen Verhandlung zur Bewertung des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV wiederholt, wird man sehen. Die mündlichen Verhandlungen in den anhängigen Hauptsacheverfahren hat das Gericht für März nächsten Jahres in Aussicht gestellt. Vielleicht nutzt der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber die ihm bis dahin verbleibende Zeit, den geäußerten ersten Gedanken des OLG Düsseldorf zur Rechtmäßigkeit des § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV nachzugehen. Unabhängig von der politisch heiß diskutierten Frage, ob man die Befreiung als „verdientes Entgelt“ oder „unverdientes Geschenk“ der Industrie ansieht. Die Unsicherheit um den Bestand der Norm ist für Niemanden erträglich.

Ansprechpartner, insbes.: Dr. Christian de Wyl/Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Thies Christian Hartmann/Stefan Missling

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