Prost, Herr Nachbar! Was die „gemeinsame Erklärung“ der 12 EU-Staaten zum Strommarkt zu bedeuten hat

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Wer öfters mit Juristen zu tun hat, lernt seine Worte auf die Goldwaage zu legen und weiß, dass eine „gemeinsame Erklärung“ nicht mit einer Vereinbarung, einem Vertrag oder einer Übereinkunft zu verwechseln ist. Eine solche gemeinsame Erklärung haben die „elektrischen Nachbarn“ abgegeben. Das sind, vereinfacht gesagt, Deutschland und seine stromübertragungstechnischen Anrainer (Deutschland und Norwegen bzw. Schweden haben weiterhin keine gemeinsame Grenze, keine Sorge, liebe Dänen!). Diese Nachbarn erklärten nun gemeinsam, dass man demnächst offiziell durch Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung gemeinsam erklären werde, für Versorgungssicherheit in der Nachbarschaft zu sein und dieselbe mit einer Reihe von Maßnahmen gemeinsam umsetzen zu wollen. Und obendrein erklärt man, dass die Erklärung keine Rechtskraft besitze (und, das bleibt unausgesprochen, natürlich auch nicht gegen den EU-Binnenmarkt verstoße).

So vage, so gut. Tatsächlich hat die Erklärung aber durchaus eine gewisse politische Brisanz, die sich freilich nicht auf den ersten Blick erschließt. Alle Maßnahmen sind nachvollziehbar und vernünftig. Es sind „no-regret-Maßnahmen“, das heißt Entscheidungen, die man unabhängig von seiner eigentlich angestrebten Energiepolitik auf jeden Fall „ohne späteres Bedauern“ ergreifen kann. Dazu gehört, dass man das Stromsystem flexibel gestalten will, dass man den Markt nutzen möchte, um den „richtigen“ Strompreis zu finden. Dass man auch in Zeiten von Knappheit zueinander steht, dass man Lastmanagement- und Kurzfristmärkte entwickeln will.

Auf den zweiten Blick gibt es aber schon Maßnahmen, die gewisse Politikoptionen künftig ausschließen: Die Preise sollen sich unbehindert am Markt bilden, Preisgrenzen soll es nicht geben. Alle Erzeuger, auch die erneuerbaren, sollen sich an Marktpreissignalen orientieren, und die Regelenergiemärkte sollen grenzüberschreitend integriert werden.

Tatsächlich haben wir ein Dokument vor der Nase, welches eine ganz wichtige Flanke absichert, nämlich die europäische Einbettung eines deutschen Energy-Only-Markts 2.0 bzw. Strommarktes 2.0. Das Grünbuch der EU-Kommission (wir berichteten) hatte es deutlich herausgearbeitet: Eine wesentliche Aufgabe eines Strommarkt 2.0 sei es, Preissignale so zu setzen, dass Investitionen in die passende Erzeugungslandschaft angereizt werden. Dazu muss man eventuell auch extreme Preisspitzen erlauben (und politisch erdulden). Da die nachbarschaftlichen Energiemärkte schon heute sehr verzahnt sind, müssen die Nachbarn mitspielen, wenn der größte Markt mit Preisspitzen experimentieren will. Auch die deutsche Diskussion zur Versorgungssicherheit über den EU-Binnenmarkt setzt voraus, dass die Nachbarn mithelfen.

Ein Schelm ist, wer Böses denkt. Eine gemeinsame Erklärung der wichtigsten regionalen Stromhandelszone innerhalb der EU, abgestimmt mit der Kommission, dürfte eine gute Vorarbeit sein, um die Kapazitätsreserve, die als Element in einem deutschen Strommarkt 2.0 enthalten sein wird, beihilferechtlich als gut mit dem Binnenmarkt vereinbar dastehen zu lassen.

Die Luft für die Freunde eines echten Kapazitätsmarkts wird immer dünner …

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

 

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