Reform des kommunalen Wirtschaftsrechts NRW: Fragwürdige Frischzellenkur

Eine Frischzellenkur für das kommunale Wirtschaftsrecht scheint sich der NRW-Gesetzgeber vorgestellt zu haben. Darauf lässt der Name des zum 29.12.2010 in Kraft getretenen „Gesetzes zur Revitalisierung des Gemeindewirtschaftsrechts in Nordrhein-Westfalen“ schließen. Es ändert zum einen die Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinde und ermöglicht ihnen, auch über die Ortsgrenzen hinaus wirtschaftlich tätig zu werden.

Zum anderen gibt es vor, wie die freiwillige Mitbestimmung in kommunalen Gesellschaften zu regeln ist. Insoweit ist die Frischzellenkur eine mit fragwürdigen Folgen: Die freiwillige Mitbestimmung wird durch das, was der NRW-Gesetzgeber vorsieht, bestimmt nicht revitalisiert – eher ins Koma versetzt.

Wettbewerbsgleichheit

Wettbewerbsfreiheit ohne gleiche rechtliche Rahmenbedingungen, mithin ohne Wettbewerbsgleichheit, nützt nichts. Der Landesgesetzgeber hat offensichtlich erkannt, dass im Strom-, Gas- und Wärmesektor Wettbewerb nur dann stattfinden kann, wenn kommunal dominierte Unternehmen nicht länger schlechtere Bedingungen vorfinden als privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen. In einem neuen § 107a GO NRW wurde festgelegt, dass die überörtliche energiewirtschaftliche Betätigung nun immer zulässig ist, wenn sie nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit der Gemeinde steht. Der öffentliche Zweck wird in diesem Bereich vom Gesetz fingiert und muss von den kommunalen Energieversorgern weder dargelegt noch nachgewiesen werden.

Darüber hinaus erlaubt der neue § 107a Abs. 3 GO NRW die Aufnahme einer energiewirtschaftlichen Betätigung auch auf ausländischen Märkten. Auch dies wiederum nur unter der Einschränkung, dass sie nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit der Gemeinde steht. Zusätzliche Einschränkungen enthält das Gesetz nicht.

Der Beweggrund des Gesetzgebers: „Den kommunalen Energieversorgern wird durch den Wegfall von bisherigen Schranken für eine überörtliche Betätigung und für eine Betätigung auf ausländischen Märkten erst die erforderliche Wettbewerbsfähigkeit gegeben, um mit den privaten Versorgern auf dem Energiemarkt wirksam konkurrieren zu können.“ (Bericht zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kommunalpolitik, LT.-Drs 15/867, S. 13/14):

Da ist es zu verschmerzen, dass in diesem Zusammenhang die ausländische Tätigkeit eine ausdrückliche Genehmigung der Aufsichtsbehörde benötigt. Die bisherige Anzeige bei der Kommunalaufsicht reicht hierfür nicht mehr. Die kommunale Beteiligung an der Evonik STEAG GmbH wird hierfür ein erster Testfall werden.

Mitbestimmung

Wen dagegen die Neuregelung zur unternehmerischen Mitbestimmung in § 108a GO NRW (re-)vitalisieren soll, steht auf einem anderen Blatt. Die Vorschrift gilt nur für fakultative Aufsichtsräte. Auf eine Aktiengesellschaft ist sie ebenso wenig anwendbar, wie auf solche Gesellschaften, die der zwingenden Mitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) oder dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) unterfallen. Damit erfasst die Vorschrift GmbHs und Personalgesellschaften mit freiwilliger Aufsichtsratsverfassung. An diesen Gesellschaften muss eine Gemeinde mit mehr als 50 % der Anteile beteiligt sein, sei es direkt, sei es über eine von der Gemeinde kontrollierte Gesellschaft.

Ungeschickt versucht § 108a Abs. 1 Satz 2 GO NRW, kommunale Interessen und Arbeitnehmermitbestimmung abzugleichen. Die Gemeinde muss einen angemessenen Einfluss im Aufsichtsrat sicherstellen. Entsendet die Gemeinde mehr als zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat, friert die GO NRW die Mitbestimmung auf dem Niveau des DrittelbG ein. Es dürfen in diesem Fall nicht mehr als ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder durch Arbeitnehmervertreter besetzt sein.

Die Folgen sind drastisch. Eine freiwillige paritätische Mitbestimmung ist unzulässig, da sie der Gemeinde einen angemessenen Einfluss versperrt.

Seit 29.12.2010 ist das Gesetz in Kraft. Freiwillig paritätisch besetzte Aufsichtsräte sind daher fehlerhaft besetzt. Wie hiermit umzugehen ist, weiß keiner: Muss ein neues Wahlverfahren eingeleitet werden? Innerhalb welcher Frist? Ist der fehlerhaft besetzte Aufsichtsrat handlungsfähig?

Die Qual der Wahl oder Wahl der Qual?

Wer meint, § 108a Abs. 1 GO NRW sei schon schlimm genug, sollte Abs. 2 der Vorschrift studieren. Dieser Absatz greift in das Wahlverfahren nach dem Mitbestimmungsrecht ein.

Danach ist eine Vorschlagsliste der Mitglieder aufzustellen, die in den fakultativen Aufsichtsrat zu wählen sind. Diese Liste muss mindestens die doppelte Anzahl der zu entsendenden Arbeitnehmervertreter enthalten. Der Rat hat das Recht, sämtliche Vorschläge zurückzuweisen. Erteilt er ein zweites Mal eine Abfuhr, so bleiben die vorgesehenen Aufsichtsratsmandate der Arbeitnehmer unbesetzt.

Damit wird die freiwillige Drittelmitbestimmung zum Papiertiger. Es entspricht gerade dem Anliegen des Mitbestimmungsrechts, dass die Arbeitnehmer über ihre Aufsichtsratsmitglieder beschließen und nicht Dritte. Was als Mitbestimmung der Arbeitnehmer tituliert ist, ist kaum mehr als ein trügerischer Schein, da die Gemeinde darüber entscheidet, wer die Arbeitnehmer vertreten darf. Darüber hinaus kann der Rat bei einer zweiten Zurückweisung dafür sorgen, dass die Aufsichtsratsmandate unbesetzt bleiben. In diesem Fall ist der Aufsichtsrat wiederum fehlbesetzt. Ist der Aufsichtsrat in diesem Falle handlungsfähig? Wie ist mit zustimmungspflichtigen Geschäften zu verfahren?

Aber damit noch nicht genug. Wer eine freiwillige fakultative Mitbestimmung vorsieht, trägt auch eine Verantwortung dafür, dass die Gesellschaft in diesem Sinne organisiert ist. Die GO NRW räumt dem Rat zwar ein Recht ein, aber keine damit korrespondierende Verantwortung. Ob sich die Gesellschafter aber derart ihrer Organisationsverantwortung entziehen können, ist gesellschaftsrechtlich zweifelhaft. Um der Rechtsunsicherheit aus dem Wege zu gehen, müssen hier zwangsläufig die Satzungen der kommunalen GmbH geändert werden, die eine freiwillige Mitbestimmung vorsehen.

Weisungsrechte gegenüber dem Aufsichtsrat?

Aber damit immer noch nicht genug: In § 108a Abs. 3 Satz 1 GO NRW findet sich ein auf den ersten Blick unscheinbarer Verweis. Danach gelten § 113 Abs. 1 Sätze 3 und 4 GO NRW für Arbeitnehmervertreter im freiwilligen Aufsichtsrat entsprechend.

Diese Mitglieder sind an Beschlüsse des Rates und seiner Ausschüsse gebunden und haben ihr Amt auf Beschluss des Rates jederzeit niederzulegen.

Verfassungsrechtlich bedenklich ist an dieser Konstruktion, dass die Arbeitnehmervertreter und die übrigen Aufsichtsratsmitglieder weisungsgebunden sind. Der Bundesgerichtshof (BGH) hielt dies in einer älteren Entscheidung für rechtlich problematisch. Da die Reform des nordrhein-westfälischen Gemeinderechts die wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinden stärken will, werden sich auch die Interessenkonflikte im Aufsichtsrat verschärfen. Dies gilt besonders bei streitigen Vorhaben, bei denen die Ansicht des Rates oftmals – parteipolitisch motiviert – von der Ansicht des Aufsichtsrats abweicht.

Statt eines Fazits

Die Regelungen zur überörtlichen/ausländischen Betätigung taugen als Vorbild für andere Kommunalverfassungen.

Sorgen bereitet allerdings die Neuregelung der freiwilligen Mitbestimmung in kommunalen Gesellschaften. Wie die Praxis damit umgehen muss, ist noch offen.

Ansprechpartner: Wolfram von Blumenthal/Daniel Schiebold

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