Schwedische Gardinen sind nicht blickdicht: Atomkraftbetreiber will es genau wissen

Glaubt man dem Volksmund, sind Gardinen ein weltweiter Export-Schlager aus Schweden – in der ganzen Welt sitzen Verbrecher hinter „schwedischen Gardinen“. Eine andere schwedische Erfolgsgeschichte ist gewissermaßen das Gegenteil, nämlich das Offentlighetsprincipen (Öffentlichkeitsprinzip). Dieses schon seit 1766 als Teil der schwedischen Verfassung verankerte Prinzip verlangt, dass alle staatlichen Handlungen öffentlich passieren müssen, jeder Bürger also alle Akten von allen Verfahren und Vorgängen einsehen kann. Auch in Deutschland gibt es das seit … nun ja, nicht ganz so langer Zeit: Das Umweltinformationsgesetz (UIG) von 1994 und das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) von 2005 ermöglichen auch hier Akteneinsicht.

Die Grundidee hinter dem Öffentlichkeitsprinzip ist bestechend einfach. Wenn jedes staatliche Handeln jederzeit von der Presse und jedem Bürger überprüft werden kann, dann muss sich der Staat mit seiner ganzen „aufgehäuften Macht“ sehr zurückhalten. Gesetzwidrige Maßnahmen werden ans Licht gezerrt, Geldverschwendung angeprangert, Klientelwirtschaft aufgedeckt. Ein Volk von Revisoren, ein Bundesrechnungshof mit Millionen Mitarbeitern.

In Schweden passt das sehr gut in die Verwaltungskultur. Die Schweden entwickelten nach und nach das Modell für den skandinavischen Wohlfahrtsstaat, in dem der Staat sehr viel Einfluss auf das Leben des Einzelnen hat – und der Einzelne kann jederzeit kontrollieren, was der Staat da genau macht. Das Öffentlichkeitsprinzip ist also eine Ausgleichsmaßnahme für den schwachen Bürger gegen den starken Staat.

In Deutschland ist der Staat traditionell geheimniskrämerischer (wenngleich nicht wirklich schwächer). Was auf den Fluren der Behörden, in Büros und Kanzleien passiert, soll auch dort bleiben. Nur so könne man die Unabhängigkeit des staatlichen Handelns bewahren. Wenn alles einsichtig ist, würde man sich dann nicht mehr Gedanken darum machen, wie man später dastünde anstatt das Nötige in einer Aktennotiz schriftlich niederzulegen? Trotzdem rang man sich gewissermaßen Mitte der 1990er Jahre das UIG ab – nach gutem Zureden der EU, es kam rund 18 Monate zu spät und war zu eng umgesetzt. Und knapp zehn Jahre später gab es dann doch noch das umfassende IFG – aber mit vielen Ausnahmen und Einschränkungen.

Es ist nun zu hören, dass in Deutschland ein Atomkonzern mit Hilfe des UIG an Unterlagen in Bezug auf den Atomausstieg kommen will. Die Bundesländer und andere wurden zur Aktenfreigabe aller Unterlagen mit Bezug auf die 13. Atomnovelle (die als Teil des „Energiewende-Pakets“ den Atomausstieg regelt) aufgefordert. Wie sich die Zeiten doch ändern! 2010 waren die Atomkonzerne noch „die Starken“ im Lande. Sie verhandelten mit der Regierung auf Augenhöhe, erreichten die Laufzeitverlängerung, einigten sich auf eine Kompensation.

Dann kam Fukushima. Die Atomkonzerne waren keine gerngesehenen Partner mehr. Die Regierung entschied ohne Abstimmung mit ihnen; erfolgsverwöhnte Unternehmensführer wirkten verstört und ungläubig. Da passt es ins Bild, dass man sich in diesen Reihen jetzt der Instrumente der schwachen Bürger gegen den starken Staat bedienen will: Informationspreisgabe durch das UIG. Und der Staat wird seinen gewohnten Verteidigungsreflex zeigen: Informationspreisgabe im Prinzip ja, aber nicht wenn öffentliche (§ 8 UIG) oder sonstige Belange (§ 9 UIG) betroffen sind. Letztere sind z. B. die Persönlichkeitsrechte oder Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Geht es um diese, kann es lange dauern. Regelmäßig werden dann alle potentiell Betroffenen um Stellungnahme gebeten. Es wird (und muss) sorgfältig abgewogen (werden). Und nicht selten sind flächendeckende Schwärzungen des Akteninhaltes die Folge.

Es stellt sich dem interessierten Beobachter die Frage, was das Ganze eigentlich soll. Der Aufwand wird sicherlich nicht getrieben, um einen kritischen Leserbrief in der FAZ zu veröffentlichen. Wenngleich dieser sicher viel gelesen würde. Rein tatsächlich kann es nur um die Vorbereitung von juristischen Maßnahmen gehen. Entweder hofft man, hilfreiches Material für die Klagen gegen die Brennstoffsteuer zu finden. Oder man bereitet die angekündigten Schadensersatzklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland vor. Wenn Deutschland alle Verluste, die infolge des Moratoriums und des vorzeitigen Abschaltens der Atomkraftwerke bei den Atomkonzernen entstanden sind bzw. entstehen werden, ausgleichen müsste, würde das richtig teuer werden. Ob der Blick hinter die Gardine hier helfen kann?

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

Unsere Ansprechpartner zu Kernenergie und Energiesteuern finden Sie hier.

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