Über das Schicksal der GABi Gas wird in Brüssel entschieden

Das Ausgleichs- und Bilanzierungssystem im Gassektor steht möglicherweise vor einer tiefgreifenden Umwälzung. Daran ist nicht so sehr die Bundesnetzagentur (BNetzA) schuld: Die hat zwar Änderungen an den Grundregeln der Ausgleichs- und Bilanzierungsregeln (GABi Gas) angekündigt und ein entsprechendes Verfahren eröffnet. Aber das sind nur marginale „Nachbesserungen“. Grundlegende Eingriffe drohen von anderer Seite: aus Brüssel.

Keine Großreform aus Bonn

Die BNetzA plant im Wesentlichen kleinere Systemkorrekturen, die zum 1.10.2011 und damit mit der neuen Kooperationsvereinbarung („KoV IV“) in Kraft treten sollen. Beispiele sind die Einführung einer 5-Prozent-Toleranz für bestimmte Lieferstellen (leistungsgemessene „RLM“-Kunden) oder die Ausweitung der Regelenergieumlage auf Kunden ohne Toleranz („RLMoT“) sowie auf Marktgebiets- und Grenzübergangspunkte.

Die BNetzA sieht in ihrem Monitoring-Bericht vom 1.4.2011 derzeit keine Notwendigkeit für eine grundlegende Reform der GABi Gas. Verwerfungen im Regelenergiemarkt, die zu einer generellen Korrektur der Rahmenbedingungen führen würden, seien nicht zu erkennen. Beiläufig erwähnt die Behörde aber, dass die europäischen Bilanzierungsregeln durch eine einheitliche EU-Rahmenleitlinie harmonisiert werden sollen.

Schicksalsfrage GABi Gas

Hinter diesem eher lapidaren Hinweis steht nichts weniger als das Schicksal der GABi Gas. Über dieses entscheidet nämlich nicht die BNetzA, sondern der neue europäische Regulierer Agency for the Cooperation of Energy Regulators (ACER).

ACER hat Mitte April (12.4.2011) einen Entwurf für eine Rahmenleitlinie zur europäischen Gasbilanzierung zur Konsultation gestellt. Auch wenn sich die Grundpfeiler der GABi Gas in dem Entwurf wiederfinden – wenig erstaunlich, denn auch Experten der BNetzA sind bei der Formulierung der Guidelines beteiligt gewesen – könnte es erhebliche Auswirkungen auf das nationale Bilanzierungssystem geben.

So scheint zwar die Tagesbilanzierung europaweiter Konsens zu sein, doch die GABi-typischen Stundenrestriktionen könnten abgeschafft werden. Auf der Kippe steht zudem die – in Europa einzigartige – „sichere“ Bilanzierung für kleinere Gewerbe- und Haushaltskunden („SLP-Kunden“). Vielleicht müssen die Lieferanten zukünftig ihre Kunden wieder vollständig auf eigenes Risiko prognostizieren.

Offen ist auch die Verteilung der Regelenergiekosten der Fernleitungsnetzbetreiber. Die GABi-typische (Teil-)Sozialisierung über ein gesondertes Umlagesystem ist nur eine der diskutierten Möglichkeiten.

Getrenntes Portfolio für die Belieferung in Verteilnetzen?

Große Unklarheit besteht schließlich bei der Einbeziehung der Verteilnetze in das Bilanzierungssystem. Der Entwurf enthält kein klares Bekenntnis hierzu, so dass es künftig zu einer Unterscheidung zwischen Fernleitungs- und Verteilebene mit getrennten Lieferportfolien kommen könnte, wie es in einigen Mitgliedsstaaten bereits der Fall ist.

Daten dreimal täglich

Große Veränderungen – und damit erheblicher Umsetzungsbedarf – könnte für die Verteilnetzbetreiber auch aus anderer Richtung drohen. Der Entwurf der Rahmenleitlinie sieht vor, dass dreimal täglich Verbrauchsdaten bereitgestellt werden müssen und auch die Prognose im Kleinkundenbereich (Standardlastprofilkunden) untertägig angepasst werden soll.

Auf Basis der ACER-Leitlinie wird der Europäische Fernleitungsnetzbetreiberverband European Network of Transmission System Operators for Gas (ENTSOG) einen „Netcode“ verfassen, den die Transmission System Operators (TSOs) dann verbindlich umsetzen müssen. Die Mühlen in Brüssel mahlen langsam? Brüssel ist weit entfernt? Im Gegenteil: der „Netcode“ zur Gasbilanzierung wird schon im Sommer 2013 kommen.

Und wer geglaubt hat, das sei schon alles, der irrt sich: Mit den Europäischen Leitlinien zur Entgeltbildung steht der nächste Kracher aus Brüssel schon vor der Tür.

Ansprechpartner Dr. Olaf Däuper/Christian Thole

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