Und immer noch: Die Suche nach einem Atomendlager …

Das Aus für die Atomkraft bis zum Jahr 2022 ist entschiedene Sache. Jetzt richtet sich der politische Fokus in Berlin verstärkt auf das hoch radioaktive Erbe dieser bald vergangenen Epoche (wir berichteten bereits dazu). Die Wendländer fordern ihn seit 35 Jahren, die Ethikkommission hat sich im letzten Jahr zu ihm bekannt und nun könnte er auch im Parlament mehrheitsfähig werden: der Neuanfang in der Endlagersuche. Am morgigen 24. April 2012 treffen sich Vertreter von Bund, Ländern und Opposition zu einem Spitzengespräch in Berlin. Denn ein überparteilicher Konsens wird angestrebt. Gesellschaftlich relevante Gruppen wie Kirchen, Gewerkschaften und Umweltverbände werden am Entstehungsprozess nicht beteiligt. Das ist bedauerlich, weil gerade ihr Beitrag helfen könnte, ein dauerhaft tragfähiges Gesetz zu entwickeln und Vertrauen und Akzeptanz in der gesamten Bevölkerung zu schaffen.

Doch auch der Weg zu einem politischen Konsens ist weit, denn die Vorstellungen der Parteien über das zukünftige Verfahren sind zum Teil schwer vereinbar. Wesentliche Streitpunkte im Überblick sind:

Die Behördenstruktur

Bundesumweltminister Norbert Röttgen macht sich für ein neu zu gründendes „Bundesinstitut Endlagerung“ stark, das im Rahmen des Verfahrens eine Schlüsselrolle als Vorbereiter und Entscheider einnehmen soll. Die A-Länder möchten kein neues Bundesinstitut. In der Opposition befürchten manche, dass die Bundesregierung sich auf diesem Weg ihrer fachlichen und politischen Verantwortung für das Endlagerproblem entledigen möchte und als unwillkommener Nebeneffekt eine Institution jenseits parlamentarischer Kontrolle entsteht. Heftigen Widerstand ernten auch Pläne aus dem Bundesumweltministerium (BMU), für die Endlagersuche einen neuen „Vorhabenträger“ zu schaffen. Denn dies bedeutet faktisch die Entmachtung des eigentlich zuständigen Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS). Von den Institutionen, die am bisherigen Verfahren in Gorleben beteiligt waren, konnte man einzig aus dem BfS gelegentlich kritische Fragen zu dem gewählten Vorgehen vernehmen. Das BfS (mit Wolfram König vom Bündnis 90/Grüne) genießt großes Vertrauen in den interessierten Teilen der Bevölkerung, unter anderem weil es beim unglücklichen Kapitel „Asse“ Maßstäbe in Sachen Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung gesetzt hat. Auch fachlich dürfte es nicht einfach werden, eine Entmachtung des BfS zu begründen, denn hier bündelt sich eine Menge Erfahrung und geologische Kompetenz in Endlagerfragen.

Der weitere Umgang mit Gorleben

Gegenwärtig läuft in Gorleben die „Vorläufige Sicherheitsanalyse Gorleben“ (VSG), die die Eignung von Gorleben vorläufig klären soll. Umweltminister Röttgen möchte die VSG noch in diesem Jahr zu einem „qualifizierten Abschluss“ bringen, wobei niemand sich wirklich sicher zu sein scheint, was hierunter eigentlich zu verstehen ist. Vertreter von SPD und Grünen fordern jedenfalls, die VSG ohne einen solchen Abschluss umgehend einzustellen. Auch die Frage, ob und wie der Standort Gorleben in das geplante Verfahren überführt werden soll, bietet Anlass für Diskussionen. Ein Neuanfang ohne Gorleben gilt als politisch nicht durchsetzbar. Zu stark sind noch immer die Kräfte innerhalb von Bundesregierung und Ländern, die um keinen Preis auf Gorleben verzichten wollen. Zukünftig Betroffenen dürfte es in der Tat schwer zu vermitteln sein, warum Gorleben nicht Teil des Standortvergleiches ist. Doch eine Teilnahme Gorlebens birgt auch Gefahren für die Wissenschaftlichkeit und Objektivität des Verfahrens. Denn es ist zu befürchten, dass der politische Druck, Gorleben immer weiter im Verfahren zu halten, die zukünftig festzulegenden Sicherheitskriterien beeinflussen könnte. Würde man beispielsweise innerhalb eines Endlagersystems mehrere geologische Einheiten voraussetzen wollen, die den Austritt von Schadstoffen verhindern (sog. Mehrbarrierensystem), müsste Gorleben bereits im Rahmen der Kriterienfestlegung ausscheiden. Denn der dortige Salzstock verfügt nachweislich nicht über eine derartige Struktur. Dass ein Ausscheiden Gorlebens gleich zu Beginn des Verfahrens hingenommen würde, gilt jedoch politisch als äußerst unwahrscheinlich.

Der Entscheidungsmaßstab des Gesetzes

Gestritten wird auch über die wichtige Frage nach dem Maßstab, an dem sich die endgültige Standortentscheidung messen lassen muss. Dem aktuellen Regierungsentwurf des BMU ist zu entnehmen, dass bei der endgültigen Entscheidung „sämtliche öffentlichen und privaten Belange“ abgewogen werden sollen. Doch welche Belange sind hiervon erfasst? Fällt hierunter auch die Bevölkerungsdichte in der betroffenen Region? Was ist mit den in Gorleben bereits investierten 1,5 Milliarden Euro? Dieses Gedankenspiel mündet in der Frage, welche Belange im Rahmen der Entscheidungsfindung den Ausschlag geben sollen. Vertreter der Opposition fordern, am Anfang des Gesetzes die geologische Sicherheit als entscheidendes Kriterium zu verankern. Nur so könne man die nötige Transparenz und Klarheit des Verfahrens gewährleisten.

Die Anzahl der zu untersuchenden Standorte

In dem aktuellen Regierungsentwurf ist vorgesehen, das Auswahlverfahren in mehrere Einzelschritte zu gliedern. Zunächst werden ausgewählte Standorte obertägig erkundet, dann folgt die untertägige Erkundung und im Anschluss die endgültige Standortentscheidung. Ursprünglich sollte der Standort Gorleben in jedem Fall bis zur letzten Stufe im Verfahren bleiben. In einem kürzlich bekannt gewordenen Einigungsvorschlag –  dessen Veröffentlichung die Gespräche in den sensiblen Zeiten des NRW-Wahlkampfes (weder für Norbert Röttgen noch für Hannelore Kraft) nicht erleichtert – hat das BMU sich hiervon verabschiedet und nun vorgeschlagen, dass „mindestens ein Standort“ untertägig zu untersuchen sei. Auch wenn dabei alle Welt an Gorleben denkt. Nach diesem Vorschlag könnten jedenfalls obertägig mehrere Standorte betrachtet werden, untertägig dann aber nur Gorleben untersucht werden. Um sich mit den anderen Parteien einigen zu können, wird das BMU sich in dieser Frage bewegen müssen. Denn in der Opposition herrscht die Auffassung vor, dass ein Vergleich nur standortbezogen erfolgen könne. Wenn also zum Beispiel ein Salzstandort dem endgültigen Vergleich unterzogen werden sollte, müsste mindestens ein weiterer Salzstandort untertägig erkundet worden sein. Denn die verschiedenen Wirtsgesteine unterscheiden sich in Bezug auf die geologische Struktur und hieraus resultierende Einlagerungsmethoden erheblich.

Phasenmodell gestufter Bundesgesetzgebung

Bislang noch nicht im Fokus der politischen Diskussion ist eine juristisch besonders interessante und grundsätzliche Frage der geplanten Gesetzessystematik. Bereits Ende letzten Jahres haben Bund und Länder sich auf das sog. „Phasenmodell mit gestufter Bundesgesetzgebung“ festgelegt. Das bedeutet, dass jeder Verfahrensschritt durch ein Bundesgesetz abgeschlossen wird. Dieses Vorgehen verspricht eine ungewöhnlich hohe demokratische Legitimation der Auswahlentscheidungen. Jedoch sollte die Möglichkeit gegensätzlicher Positionen von Parlamentsmehrheit und Opposition nicht aus den Augen geraten. Nur bei einer großen Mehrheit für das Gesetz über die Parteigrenzen hinweg dürfte die gewünschte gesellschaftliche Befriedung gelingen.

Außerdem verkürzt das Phasenmodell den Rechtsschutz der Betroffenen ganz erheblich. Anders als in einem klassischen Planfeststellungsverfahren könnten sich die Betroffenen lediglich im Wege der Verfassungsbeschwerde gerichtliches Gehör verschaffen. Maßstab der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) wäre aber allein das Grundgesetz (GG), nicht hingegen die für das Verfahren zentralen einfach-gesetzlichen Anforderungen etwa des Bergrechts. Nicht jeder Verstoß gegen einfaches Recht bedeutet einen Verfassungsbruch. Ob eine derartige Beschneidung des Rechtsschutzes wirklich geeignet ist, einen gesellschaftlichen Konflikt zu befrieden, dürfte noch Gegenstand von politischen Auseinandersetzungen werden.

Ansprechpartner: Prof. Christian Held/Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Olaf Däuper/Dr. Roman Ringwald

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