Verlustenergiebeschaffung: Steine statt Brot

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Im Streit um die Anerkennung ihrer Selbstverpflichtung zur Beschaffung von Verlustenergie hat der Bundesgerichtshof (BGH) den Stromnetzbetreibern kaum weitergeholfen. Das geht aus einem Beschluss des BGH vom 24.5.2011 (Az. EnVR 27/10) hervor, der am 9.9.2011 veröffentlicht wurde: Danach kann die freiwillige Selbstverpflichtung in einem marktorientierten, transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren nur dann als wirksame Verfahrensregulierung gemäß § 11 Abs. 2 Satz 4 ARegV anerkannt werden, soweit sie keiner Festlegung der Bundesnetzagentur (BNetzA) widerspricht. Was genau die Netzbetreiber tun müssen, damit die Selbstverpflichtung anerkannt wird, lässt sich dem Beschluss nicht en detail entnehmen.

Um was geht es?

Verlustenergie ist Energie, die zum Ausgleich physikalisch bedingter Netzverluste benötigt wird (§ 10 Abs. 1 Satz 1 StromNEV). In jedem Stromnetz gibt es physikalische Verluste, so dass auch jeder Stromnetzbetreiber als Ausgleich Energie einkaufen muss. In der Anreizregulierung gelten Kosten für die Beschaffung von Verlustenergie grundsätzlich als „beeinflussbare Kosten“. Das bedeutet, dass sie einem Effizienzpfad unterworfen sind, obwohl die Höhe der Verluste und die Höhe der Kosten tatsächlich kaum beeinflussbar sind. Würde es sich stattdessen um „dauerhaft nicht beeinflussbare Kosten“ handeln, würde eine jährliche Anpassung der Erlösobergrenze aufgrund sich ändernder Verlustenergiekosten erfolgen.

Der Hintergrund des Rechtsstreits, den der BGH nun entschieden hat, ist komplex. Verlustenergiekosten gelten dann als „dauerhaft nicht beeinflussbar“, wenn die Verlustenergie in einem wirksam regulierten Verfahren beschafft wird. Mit ihrer freiwilligen Selbstverpflichtung haben die Netzbetreiber eine solche Verfahrensregulierung entwickelt. Vereinfacht gesprochen ging es um die Frage, ob die BNetzA dieses Beschaffungsverfahren, dem sich die Netzbetreiber freiwillig unterworfen hatten, anerkennen muss oder nicht.

Warum verweigerte die BNetzA ihre Anerkennung?

Die BNetzA war der Ansicht, sie müsse die freiwillige Selbstverpflichtung der Netzbetreiber nicht anerkennen. Sie hatte im Anschluss an diese Selbstverpflichtung ebenfalls Vorgaben für das Beschaffungsverfahren von Verlustenergie aufgestellt und diese im Wege einer Festlegung (vom 21.10.2008, Az. BK6-08-006) verbindlich vorgegeben. Diese Vorgaben widersprachen teilweise dem Inhalt der Regelungen in der freiwilligen Selbstverpflichtung. Dies war nicht verwunderlich, hatten die Netzbetreiber doch keine Kenntnis von der Festlegung der BNetzA gehabt. Die BNetzA war aber der Auffassung, es könne nur eine einzige Verfahrensregulierung geben und für eine freiwillige Selbstverpflichtung bliebe kein Raum.

Wie entschied der BGH?

Der BGH stellte zunächst klar, dass es die von der BNetzA behauptete „Sperrwirkung“ nicht gibt. Allerdings erkannte er auch, dass es praktisch nicht möglich ist, unterschiedliche Vorgaben für ein und dasselbe Beschaffungsverfahren einzuhalten. Er entschied deswegen, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung nach § 11 Abs. 2 Satz 4 ARegV nur dann zulässig ist, wenn sie mit allen für den betreffenden Bereich geltenden Rechtsnormen in Einklang steht.

Wenngleich diese Entscheidung als praktikabel überzeugt, ist sie im Ergebnis für die Betroffenen unbefriedigend. Schließlich hatten sie ihre freiwillige Selbstverpflichtung längst fertig gestellt, als die BNetzA ihre eigene Festlegung „Beschaffungsrahmen“ veröffentlichte. Eine Anpassung an die Vorgaben der BNetzA war seinerzeit ausgeschlossen.

Auf diese Problematik ging der BGH nicht ein. Grund dafür dürfte sein, dass es für die Frage, ob eine freiwillige Selbstverpflichtung alle für die Verlustenergiebeschaffung geltenden Normen einhält, auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ankommt. Dass die freiwillige Selbstverpflichtung möglicherweise anfangs nicht zu beanstanden gewesen ist, spielt keine Rolle.

Wie geht es weiter?

Zumindest für den Inhalt einer weiteren freiwilligen Selbstverpflichtung, besteht nun eine klarere Vorgabe. Die Punkte, welche der BGH beanstandete, lassen sich relativ gut korrigieren. Sicherzustellen wäre dafür, dass es keine Widersprüche zu Festlegungen der BNetzA (wie auch zu allen übrigen rechtlichen Vorgaben) gibt. Der BGH stellt also keineswegs unüberwindbare Hürden auf.

Allerdings sind dem Beschluss des BGH vom 24.5.2011 bedauerlicherweise keine Hinweise darauf zu entnehmen, welche zusätzlichen Anforderungen eine freiwillige Selbstverpflichtung möglicherweise zu erfüllen hat, damit sie § 11 Abs. 2 Satz 2 bis 4 ARegV entspricht. Unklar bleibt insbesondere, wie groß die Entscheidungsspielräume eines Netzbetreibers bleiben dürfen, damit gleichwohl noch eine „umfassende Regulierung“ der Verlustenergiebeschaffung vorliegt. Außerdem hat der BGH ausdrücklich offen gelassen, ob die Anerkennung einer freiwilligen Selbstverpflichtung letztlich im Ermessen der zuständigen Regulierungsbehörde steht, oder ob der jeweilige Netzbetreiber einen Anspruch darauf hat. Insofern bleibt zu hoffen, dass sich aus einem weiteren aktuellen Rechtsbeschwerdeverfahren ergänzende Klarheit ergibt.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Christian Theobald/Prof. Dr. Ines Zenke/Stefan Wollschläger

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