Windkraft in Bayern im Aufwind?

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In Bayern, sagt man, gehen die Uhren anders. Das gilt auch für den Ausbau der Windenergie. Im Freistaat können neue Windkraftanlagen grundsätzlich nur genehmigt werden, wenn sie einen Mindestabstand vom 10-fachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden einhalten. Gleichzeitig aber soll die Windkraft in Bayern ausgebaut werden. Das führt nicht nur zu juristischen Streitigkeiten. Es stellt sich auch die Frage, wie die Ausbaupläne der bayerischen Staatsregierung umgesetzt werden können.

Der Streit um die 10-H-Regelung

Als einziges Bundesland hat Bayern von der 2014 eingeführten Länderöffnungsklausel in § 249 Abs. 3 BauGB Gebrauch gemacht und mit der sogenannten 10-H-Regelung die Privilegierung von Windkraftanlagen im Außenbereich stark eingeschränkt. Bei modernen, leistungsstarken Anlagen ist damit in Bayern ein Abstand zur Wohnbebauung erforderlich, der mehr als das doppelte der maximal zulässigen Abstandsvorgabe von 1.000 Metern nach der gerade beschlossenen neuen Länderöffnungsklausel beträgt.

Die Windbranche kritisiert die Regelung scharf, weil dadurch in Bayern kaum noch Flächen verbleiben, um den für die Erreichung der Klimaziele nötigen Ausbau der Windkraft vorantreiben zu können. Tatsächlich ist der Ausbau der Windenergie in Bayern noch stärker zum Erliegen gekommen als anderswo in Deutschland.

Auch juristisch war die 10-H-Regelung umstritten. Mehrere Kläger haben den Bayerischen Verfassungsgerichtshof angerufen, um die Regelung für verfassungswidrig erklären zu lassen. Nach Ansicht der Kläger habe der Freistaat mit der 10-H-Regelung das Rechtsstaatsprinzip verletzt, außerdem seien das Eigentumsgrundrecht, die allgemeine Handlungsfreiheit und der Gleichheitssatz beeinträchtigt. Auch ein Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden wurde gerügt. Der Verfassungsgerichtshof wollte sich dem allerdings nicht anschließen und hat nur einen kleinen Teilaspekt der Regelung aufgehoben: Nach Auffassung des Gerichts (Entscheidung v. 9.5.2016, Az. Vf. 14-VII/14, Vf. 3-VIII/15 ,Vf. 4-VIII/1) war der bayerische Landesgesetzgeber nicht dazu befugt, die Gemeinden zu verpflichten, bei der Aufstellung von Bauleitplänen auf eine einvernehmliche Festlegung mit den betroffenen Nachbargemeinden hinzuwirken.

Möglicherweise ist das letzte Wort zur Gültigkeit der bayerischen 10-H-Regelung aber noch nicht gesprochen. In einem Verfahren zur polnischen Abstandsregelung zwischen Windkraftanlagen und Wohnbebauung hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nämlich zusätzliche Anforderungen für nationale Abstandsregelungen aufgestellt (Urt. v. 28.5.2020, Az. C 727/17). Danach dürfen die Mitgliedstaaten Vorgaben zum Mindestabstand zwischen einer Windkraftanlage und Gebäuden mit Wohnnutzung nur erlassen, sofern die Vorgabe auch im Hinblick auf das verbindliche nationale Gesamtziel des betroffenen Mitgliedstaats erforderlich und verhältnismäßig ist. Ob die bayerische 10-H-Regelung dieses Kriterium erfüllt, wäre noch eine vertiefte Diskussion wert. Bis dahin muss die Praxis allerdings mit der 10-H-Regelung leben.

Die Ausbaupläne der Staatsregierung

Die 10-H-Regelung passt auf den ersten und vielleicht auch auf den zweiten Blick nicht gut zu den aktuellen Plänen der bayerischen Staatsregierung. Ministerpräsident Markus Söder hatte im Sommer letzten Jahres angekündigt, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren 100 Windkraftanlagen auf den Flächen der Bayerischen Staatsforsten gebaut werden sollen. Im Herbst hatte dann Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger das Ziel ausgegeben, bis 2022 insgesamt 300 neue Windkraftanlagen in Bayern entstehen zu lassen. Um diese Ziele erreichen zu können, würde es naheliegen, die 10-H-Regelung noch einmal grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. In der Diskussion um eine einheitliche Abstandsregelung zwischen Windkraftanlagen und Wohngebäuden auf Bundesebene hat sich Bayern allerdings damit durchgesetzt, dass die 10-H-Regelung fortgelten darf.

Wie also kann der geplante Ausbau der Windkraft in Bayern erreicht werden?

Rechtlich ist die Antwort einfach: Wenn eine Genehmigung als privilegiertes Vorhaben im Außenbereich nach § 35 BauGB nicht möglich ist, dann muss die Standortgemeinde zunächst durch einen Bebauungsplan ein Baurecht für die Windkraftanlagen schaffen. Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans ist die 10-H-Regelung von vorneherein nicht anwendbar.

Bei der praktischen Umsetzung muss sich die Gemeinde mit einer Reihe von Folgefragen befassen:

  • Soll die Gemeinde die Initiative ergreifen und einen sog. Angebots-Bebauungsplan erlassen oder ist ein vorhabenbezogener Bebauungsplan in Zusammenarbeit mit einem Projektentwickler das richtige Instrument?
  • Wer trägt die Kosten für die Planung und die notwendigen Gutachten für den Bebauungsplan?
  • Wie kann die Gemeinde sicherstellen, dass bestehende Konzentrationszonen im Flächennutzungsplan weiter gültig bleiben und damit der Planvorbehalt nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB weiterhin greift?
  • Wie können die Grundstückseigentümer eingebunden werden?
  • Wie kann die Gemeinde verhindern, dass der einmal beschlossene Bebauungsplan auf die Klage eines Umweltverbandes wieder aufgehoben wird?

Klar ist, dass diese Fragen nicht pauschal beantwortet werden können. Jede Gemeinde muss entsprechend der lokalen Gegebenheiten und ihren planerischen Vorstellungen eine eigene Lösung entwickeln. Klar ist auch, dass es mit der Beantwortung von Rechtsfragen alleine nicht getan ist, sondern dass auch politische und wirtschaftliche Überlegungen eine große Rolle spielen. Nicht zuletzt müssen auch die Bürgerinnen und Bürger mitgenommen werden, damit ein Windkraftprojekt ein Erfolg werden kann.

Angebot für bayerische Kommunen: „Der Windkümmerer“

Dass der Freistaat die Gemeinden bei dieser Aufgabe nicht alleine lassen sollte, versteht sich von selbst. Darum enthält die Windenergieoffensive „Aufwind“ des Bayerischen Wirtschaftsministeriums als ein Element einen Unterstützungsbaukasten für Kommunen. Um dem Ausbau der Windenergie in Bayern neuen Schwung zu verleihen und die Realisierung von konkreten Projekten aktiv anzustoßen, will das Wirtschaftsministerium für jeden bayerischen Regierungsbezirk einen „regionalen Windkümmerer“ beauftragen. Die Windkümmerer sollen ausgewählte Kommunen bei der Initiierung von Windparkprojekten beraten und unterstützen. Den kommunalen Entscheidungsträgern soll damit ein neutraler Ansprechpartner an die Seite gestellt werden, der die Möglichkeiten für die Windenergie in der Kommune aufzeigt, individuelle Wege zur Akzeptanzsteigerung erarbeitet und Konflikte moderiert.

Den Bewerbungsaufruf für die Windkümmerer hat das Wirtschaftsministerium bereits veröffentlicht. Interessierte Kommunen können sich schriftlich oder per E-Mail beim Bayerischen Wirtschaftsministerium bewerben. Angesprochen sind vorwiegend kleine und mittlere Kommunen (Bewerbungsfrist 8.9.2020).

Im Idealfall kann die Gemeinde mit Hilfe des Windkümmerers nicht nur technische und wirtschaftliche Fragen klären, sondern auch Streitigkeiten vermeiden, weil das Projekt von den Bürgerinnen und Bürgern befürwortet wird. Die Erfahrung zeigt leider, dass letzteres nicht immer vollständig gelingt. Um sicherzustellen, dass die geleistete Arbeit nicht nachträglich durch eine Klage einer Bürgerinitiative oder eines Naturschutzverbandes wieder zunichte gemacht wird, sollte die Gemeinde eine juristische Begleitung auch schon im Genehmigungsverfahren und erst recht bei der Aufstellung eines Bebauungsplans mit einplanen.

Ansprechpartner*innen: Dr. Wieland Lehnert/Micha Klewar

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