Hinkley Point C – die (Fehl-)Entscheidung der scheidenden Europäischen Kommissare

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In ihren letzten Tagen hat die nur noch geschäftsführend agierende Barroso-Kommission eine schwerwiegende Entscheidung im Energie- und Wettbewerbssektor der EU getroffen. Die Kommissare gaben grünes Licht für die staatlichen Beihilfen der britischen Regierung für den Bau zweier neuer Atomkraftwerke in Großbritannien und schlossen damit das erst vor knapp 10 Monaten eingeleitete Hauptprüfverfahren (SA.34947 (2013/C), eröffnet am 7.3.2014) ab.

Der scheidende Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia begründete am 8.10.2014 nach der entscheidenden Sitzung der Kommissare die Entscheidung so: „After the Commission’s intervention, the UK measures in favour of Hinkley Point nuclear power station have been significantly modified, limiting any distortions of competition in the Single Market. These modifications will also achieve significant savings for UK taxpayers. On this basis and after a thorough investigation, the Commission can now conclude that the support is compatible with EU state aid rules.“

Die britische Regierung will den Investoren für ein neues Kernkraftwerk mit zwei Reaktoren, das in Hinkley Point C errichtet werden soll, Einnahmensicherheit verschaffen und ihnen eine Kreditgarantie erteilen. Dazu wird ein privatrechtlicher Vertrag mit dem Investor NNBG, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft von Electricité de France (EdF), geschlossen. Die Vereinbarung hat bisher eine vorläufige Form und soll durch einen ausführlichen Vertrag abgelöst werden. Vorgesehen ist nun insbesondere ein „Contract for Difference“ (im Folgenden: CfD), der NNBG Einnahmensicherheit verschaffen soll. Er beruht auf einem im am 29.11.2012 veröffentlichten Entwurf des Energiegesetzes („Energy Bill“) vorgesehenen Instrument.

Das Vereinigte Königreich hat bestätigt, dass Zahlungen im Rahmen individueller Investitionsverträge, die in Zukunft bei der Kommission angemeldet werden könnten und ein Beihilfeelement enthalten, erst nach Genehmigung durch die Kommission erfolgen werden. Auch gibt es nach Rz. 50 bis 52 des Kommissionsschreibens ein Einverständnis im Grundsatz seitens der britischen Regierung mit NNBG, dass die UK Treasury im Rahmen des britischen Staatsgarantiesystems eine Garantie geben wird, ohne dass genaue Details festgelegt wurden. Die Garantie scheint verbunden zu werden mit der Höhe des Kreditrahmens, den NNBG zur Finanzierung brauchen sollte, wobei dieser in seiner Höhe auch noch nicht bekannt ist. Die Reaktoren sollen 2023 ans Netz gehen und 60 Jahre in Betrieb bleiben. Insgesamt sollen sie 3,3 GW Strom erzeugen, was ca. 7 Prozent der britischen Elektrizitätsproduktion entspricht.

Für den Bau der zwei Reaktoren wird von etwa 16 Mrd. Pfund Fremdfinanzierung ausgegangen. Der Netzbetreiber rechnet mit etwa 1 Mrd. Pfund Kosten für den Netzanschluss. Das Gesamtkapital wird sich auf ungefähr 34 Mrd. Pfund (rund 43 Mrd. Euro) belaufen. Der britische Steuerzahler und Energieverbraucher wird erheblich zur Kasse gebete. Es wird sich ein garantierter Mindestpreis von 92,25 GBP pro erzeugte MWh Strom zugesichert, indexiert über 35 Jahre. Die harmlos anmutende Indexierungspflicht wird tatsächlich nach Berechnungen dazu führen, dass im Jahr 2058 der Mindestpreis by 279 GBP pro MWH und damit stolzen 355 Euro liegen wird.

Laut EU-Recht sind staatliche Maßnahmen zugunsten eines bestimmten Unternehmens verbotene Beihilfen, sofern sie den Wettbewerb im Binnenmarkt verfälschen (Art. 107 Abs. 1 AEUV). Das ist nach dem Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers dann nicht der Fall, wenn die wirtschaftliche Begünstigung zu Konditionen gewährt wird, die für einen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen handelnden privaten Marktteilnehmer annehmbar wären. Auch kann die in Frage stehende Maßnahme unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Gemeinsamen Markt für vereinbar erklärt werden.

Die Kommission begründet ihre Entscheidung damit, dass die britischen Behörden nachweisen konnten, dass mit der Beihilfenmaßnahme ein echtes Marktversagen behoben werde. Dies hatte sie in der ausführlichen Aufforderung zur Stellungnahme noch wesentlich kritischer gesehen. Die Kommission nahm dort an, dass dies mit den erheblichen Fix-Kosten der Atomenergie verbunden sei, die erst über einen sehr langen Zeitraum amortisiert werden könnten, so dass Investoren das finanzielle Risiko solcher Vorhaben als zu hoch einschätzen, um sich hier für eine entsprechende Investition entscheiden zu können (Rz. 276). Dazu kämen auch andere Faktoren wie das zwar geringe aber folgenschwere Risiko nuklearer Katastrophen, die Rückbaukosten, Endlagerung und Haftungsrisiken (Rz. 283, 285 f.). Von einem Marktversagen könne daher keine Rede sein (Rz. 309).

Im Gegensatz dazu geht die Kommission laut Pressemitteilung nun offensichtlich davon aus, dass die britischen Behörden nachweisen konnten, „dass mit der Beihilfenmaßnahme ein echtes Marktversagen behoben wird, und die anfänglichen Zweifel der Kommission ausräumen.“ Die genauen Gründe für diese neue Einschätzung gehen aus der Pressemitteilung nicht hervor und werden erst mit der Veröffentlichung der Entscheidung bekannt werden.

Klar ist, dass jedenfalls in den Augen der Europäische Kommission die Zugeständnisse, die das Vereinigte Königreich in Folge der Verhandlungen mit der Europäischen Kommission gemacht hat, die wettbewerbsverzerrenden Auswirkungen der Beihilfe verringern und den Verbrauchern im Vereinigten Königreich Vorteile verschaffen. So wurde zum einen die Bürgschaftsgebühr angehoben und damit die Beihilfenhöhe gesenkt. Zum anderen wurden die Betreiber verpflichtet, mit ihren Gewinnen die Verbraucher zu entlasten, sobald sie eine bestimmte Höhe überschreiten.

Diese noch nicht im Einzelnen nachvollziehbaren „Zugeständnisse“ können aber nicht zu einer Rechtfertigung führen. Schon seit langem ist klar, dass Atomstrom nicht wettbewerbsfähig ist, wenn man alle damit in Zusammenhang stehende Kosten betrachtet. Bereits heute sind Erneuerbare Energien weit günstiger als Atomstrom und belasten nicht jetzige und künftige Generationen über 100.000 Jahre mit ihren Folgen. Dies gilt umso mehr, für ein neues Atomkraftwerk, dessen immense Errichtungskosten erst einmal amortisiert werden müssen, ganz zu schweigen von den Kosten für Endlagerung und Rückbau, bei denen auch in Deutschland noch vollkommen offen ist, wie und von wem sie finanziert werden können. Hier werden die Interessen der großen Energiekonzerne (im konkreten Fall EdF) auf dem Rücken der Steuerzahler, der Stromverbraucher und der nicht atomaren Energiewirtschaft finanziert. Das kann man auch nicht, wie die Kommission es tut, damit rechtfertigen, dass die Entscheidung für einen bestimmten Energiemix in die Kompetenz der EU-Mitgliedstaaten fällt.

Wenn man den Eröffnungsbeschluss liest und die jetzige Entscheidung betrachtet, drängt sich die Vermutung auf, dass die Kommission den EURATOM-Vertrag als eine Art Persilschein nutzt. Sie scheint anzunehmen, dass nach dem EURATOM-Vertrag Beihilfen für den Neubau von Atomkraftwerken im Grunde nicht mehr daraufhin zu überprüfen sind, ob sie der Versorgungssicherheit und der Dekarbonisierung dienen und geeignet und angemessen sind. Fast 20 Jahre nach dem Einstieg in einen Binnenmarkt für Energie restauriert die Kommission den EURATOM-Vertrag als Sonderrecht für Atomkraftfinanzierung, unter die sich wettbewerbliche und Sicherheits- und Nachhaltigkeitserwägungen unterzuordnen haben. Auch scheinen die Bedenken, dass das Mittel ungeeignet ist, rechtzeitig eine angenommene Versorgungslücke Anfang des nächsten Jahrzehntes zu schließen sowie die Emissionsreduktionsverpflichtungen zu erreichen, unter dem Deckmantel von EURATOM weggewischt worden zu sein. Von der Frage, warum es die Atomtechnologie offenbar auch nach 60 Jahren nicht schafft, wettbewerbsfähig Strom zu produzieren, ganz zu schweigen. Die Geschichte des Baus von Atomkraftwerken zeugt davon, dass es dabei oft zu langen Verzögerungen bis zur Fertigstellung und zu Kostenexplosionen kommt.

Interessanterweise sollte die Ratingagentur Standard&Poor (S&P) am 8.10.2014 endgültig bekannt geben, ob sie die Kreditwürdigkeit des französischen Nukleartechnik-Hersteller Areva, die derzeit mit „BBB-“ benotet wird, zukünftig noch schlechter beurteilt und in den sogenannten Ramsch-Korb verweist, also in den Bereich spekulativer Investments, den etliche Fonds nach ihren Statuten meiden müssen. Eine Herabstufung durch S&P dürfte dazu führen, dass Areva-Aktien weiter an Wert einbüßen. Dann müsste auch die Finanzierung von Hinkley Point C mit weiteren Risikoprämien zu versehen sein. Es dürfte kein Zufall sein, dass die scheidende Kommission noch schnell am 8.10.2014 entscheiden wollte, zumal wohl Areva auf positivere Nachrichten für Rating und Börse gehofft haben dürfte.

Die Erfahrung aus dem Atomkraftwerkprojektes Olkiluoto in Finnland zeigt, dass die Investition und die Förderbereitschaft für den Ausbau Erneuerbarer Energien unmittelbar drastisch sinkt, sobald man sich für derartige Großprojekte entscheidet. Erst seit zwei Jahren scheint sich die finnische Regierung wieder darauf besonnen zu haben, dass der Ausbau Erneuerbarer Energien eine wirtschaftliche Alternative darstellt und eine Erhöhung der Versorgungssicherheit garantiert.

Mit ihrer Entscheidung hat die Kommission eine Situation geschaffen, die das diametrale Gegenteil dessen ist, wozu sie eigentlich da ist: die Verzerrung des Wettbewerbs durch die Förderung eines per se nicht- wettbewerbs- und zukunftsfähigen und noch dazu hochriskanten Projekts.

Mitgliedstaaten, Politiker, viele Organisationen und Wirtschaftsteilnehmer, deutsche Stadtwerke wie Schwäbisch Hall, Tübingen und Bietigheim-Bissingen haben sich aktiv am Konsultationsverfahren mit ablehnender Stellungnahme beteiligt. Die österreichische Regierung hat nun bereits erklärt, gegen diese Beihilfeentscheidung das Europäische Gericht mit einer Nichtigkeitsklage anzurufen. Österreich hatte dezidiert im Verfahren Stellung genommen; die Stellungnahme der Republik Österreich wurde in ein Rechtsgutachten gefasst.

Es ist zu hoffen, dass sich Deutschland und andere Staaten der Europäischen Union einer solchen Klage anschließen. Pikanterweise soll der scheidende Energiekommissar Günther Oettinger aus Deutschland der Beihilfeentscheidung zugestimmt haben. Der österreichische Kommissar Johannes Hahn hat mit vier weiteren Kommissaren wohl dagegen gestimmt.

Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet/Dr. Olaf Däuper/Jörg Kuhbier

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