Die Kundenanlage: Neuer Rechtsrahmen und Folgen nach der EuGH-Entscheidung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 28.11.2024 entschieden, dass die sog. allgemeine Kundenanlage (§ 3 Nr. 24a EnWG) nicht mit europarechtlichen Vorgaben der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (RL (EU) 2019/944) vereinbar ist (Rechtssache C-293/23). Die Entscheidung dürfte Auswirkungen auf zahlreiche Infrastrukturen haben, die bislang Ausnahmen von der Regulierung für sich beansprucht haben und eine Neubewertung der Selbsteinstufung erforderlich machen. Ein neuer Rechtsrahmen bringt weitere Herausforderungen mit sich.
Worum geht es?
Betreiber von Stromleitungsinfrastruktur zur leitungsgebundenen Versorgung mit Strom – also sowohl das einzelne Industrieunternehmen als auch Industrie- und Gewerbeparks oder Krankenhäuser, (Flug-)Hafenareale, Unicampus, aber auch Mehrfamilienhäuser oder Wohnquartiere o.ä. – stuften ihre Infrastruktur bislang vielfach als Kundenanlage und nicht als Stromnetz ein. Der Betrieb eines Netzes bedarf nämlich der vorherigen Genehmigung, ansonsten droht ein Bußgeld. Netzbetreiber unterliegen einer Reihe von Regulierungspflichten, die für Kundenanlagenbetreiber (§ 3 Nr. 24a/b EnWG) bislang nicht galten.
Die Kundenanlage ist an konkrete Voraussetzungen geknüpft und stark von der Rechtsprechung und Regulierungspraxis der Regulierungsbehörden geprägt. Die Frage, ob eine Infrastruktur noch als Kundenanlage oder bereits als Netz einzustufen ist, lag regelmäßig verschiedenen Oberlandesgerichten und dem BGH zur Bewertung vor. Zudem ist erst jüngst eine Ergänzung bei den räumlichen Anforderungen an eine Kundenanlage gesetzlich normiert worden, die unter bestimmten Voraussetzungen die Anbindung von Wind- oder PV-Parks an die Kundenanlage erlaubt, ohne den Status Kundenanlage zu gefährden. Hinzu kommt, dass die Bundesregierung mit der EnWG-Novelle eine weitere Änderung der Kundenanlagen-Voraussetzungen plant.
Die Entscheidung des EuGH und ihre Folgen
Der EuGH entschied nun über eine Frage, die ihm der BGH per Beschluss vom 13.12.2022 (Aktenzeichen EnVR 83/20) vorgelegt hatte: Ist die deutsche Kundenanlagen-Regelung mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar? Hervorzuheben sind folgende Kernaussagen:
– Eine Energieanlage, die der Weiterleitung von Elektrizität in Hoch-, Mittel- oder Niederspannung dient, und die Elektrizität zum Verkauf an Großhändler und Endkunden bestimmt ist, ist Verteilernetz im Sinne der europarechtlichen Vorgaben.
– Betreiber einer solchen Energieanlage sind Verteilernetzbetreiber.
– Nicht jeder Verteilernetzbetreiber muss (vollumfänglich) den Regulierungspflichten unterworfen werden, stattdessen gibt es (in Deutschland) drei abschließend geregelte Ausnahmetatbestände: Verteilernetze von Bürgerenergiegemeinschaften/Verteilernetze, die als geschlossene Verteilernetze eingestuft werden können/„kleine Verbundnetze“ und „kleine, isolierte Netze“, die u.a. jeweils voraussetzen, dass < 3.000 GWh/a Strom darin verbraucht wird, und für die Deutschland eine entsprechende Ausnahmeregelung bei der EU-Kommission beantragt hat.
– Weitere ungeschriebene Ausnahmen kommen nicht in Betracht, das betrifft auch die Ausnahme für sog. allgemeine Kundenanlagen gemäß § 3 Nr. 24a EnWG.
Das bedeutet: Es reicht nicht aus, dass eine Energieanlage die Kriterien in § 3 Nr. 24a lit a) bis d) EnWG erfüllt, um sie als sog. allgemeine Kundenanlage von der Regulierung auszunehmen. Insbesondere für größere Energieanlagen, die bislang (per Selbsteinstufung) als Kundenanlage im Sinne des § 3 Nr. 24a EnWG betrieben wurden, dürfte dies zu erheblichen Veränderungen führen und möglicherweise sogar zur Überführung in ein reguliertes Netz oder teilweise reguliertes geschlossenes Verteilernetz. Zudem dürften sich erhebliche Auswirkungen auf – derzeit vermehrt realisierte – Energiewende-Projekte zur Anbindung von PV- oder Windenergieanlagen an Kundenanlagen ergeben. Interessant wird auch sein, wie die Abschlussprüfer reagieren, insbesondere ob möglicherweise in Grenzfällen eine buchhalterische Entflechtung eingefordert wird.
Ansprechpartner*innen: Dr. Thies Christian Hartmann/Dr. Markus Kachel/Jens Panknin/Rosalie Wilde/
Über Details, auch zu den rechtlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Betrieb einer Kundenanlage, informieren wir in unserer Webinar-Reihe „Der neue Rechtsrahmen der Kundenanlage und ihre Zukunft nach EuGH-Entscheidung, Regulierungspraxis und EnWG-Reformen“ am 10.12.2024 und am 22.1.2025 jeweils ab 10 Uhr.