Nicht in Stein gemeißelt: EuGH billigt separierte Preissysteme auch ohne Sonderkündigungsrecht

Stein
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Beim Thema Preissysteme war man vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in letzter Zeit eher strenge Töne gewohnt – etwa bei Preisanpassungsrechten nach der Strom- bzw. GasGVV (wir berichteten zur Situation in der Grundversorgung und zu sogenannten GVV-Klauseln). Demgegenüber zeigt sich der Luxemburger Gerichtshof in seiner jüngsten Entscheidung (Urt. v. 26.11.2015, C‑326/14) zu den Grenzen der Gestaltungsfreiheit, was vertragliche Preissysteme angeht, eher versorgerfreundlich.

In diesem Urteil erklärt der EuGH ein variables Mobilfunkentgelt, das an die Entwicklung eines Verbraucherpreisindex gekoppelt war, auch ohne Sonderkündigungsrecht für wirksam. Nach dem EuGH ist es keine Vertragsänderung, die ein Sonderkündigungsrecht auslöst, wenn sich der Index und mit ihm das Entgelt ändert.

In diesem Fall ging es nicht um einen Energieliefervertrag, sondern um eine Regelung in einem Mobilfunkvertrag. Beide Bereiche sind allerdings gut vergleichbar – auch die Bereitstellung von Kommunikationsdienstleistungen ist ein netzgebundenes Massenkundengeschäft, bei dem die Diensteanbieter ihre Kunden möglichst langfristig binden wollen und sich gegen unerwartete Kostenänderungen absichern müssen. Im Hinblick auf die eigenen Kosten sind Gas- und vor allem Stromanbieter aber in einer anderen Situation als Mobilfunkunternehmen: Der Anteil an gesetzlich bestimmten und volatilen Kosten ist so hoch wie in sonst wohl keiner anderen Branche.

Indizierung von Mobilfunkentgelten nicht zu beanstanden

Entscheidungserheblich waren in dem Verfahren vor dem EuGH die Vorgaben der sog. Universaldiensterichtlinie. Diese verpflichtet die Mobilfunkanbieter nicht nur, in Verträgen mit Mobilfunknutzern ein hohes Maß an Transparenz bei „Preisen, Tarifen und Bedingungen“ einzuhalten, sondern enthält darüber hinaus folgende Vorgabe:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Teilnehmer das Recht haben, bei der Bekanntgabe von Änderungen der Vertragsbedingungen, die von den Unternehmen, die elektronische Kommunikationsnetze und/oder ‑dienste bereitstellen, vorgeschlagen werden, den Vertrag ohne Zahlung von Vertragsstrafen zu widerrufen. Den Teilnehmern werden diese Änderungen mit ausreichender Frist, und zwar mindestens einen Monat zuvor, angezeigt; gleichzeitig werden sie über ihr Recht unterrichtet, den Vertrag ohne Zahlung von Vertragsstrafen zu widerrufen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht annehmen.“
(Hervorhebungen durch die Verfasser)

Kommt Ihnen diese Regelung bekannt vor? Die Gas- und Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinien (Gas-/EltRL) enthalten ganz ähnliche Vorgaben für Energielieferverträge. Demnach ist sicherzustellen, dass

“die Kunden […] rechtzeitig über eine beabsichtigte Änderung der Vertragsbedingungen und dabei über ihr Rücktrittsrecht unterrichtet werden. Die Dienstleister teilen ihren Kunden direkt und auf transparente und verständliche Weise jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mit, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen nicht akzeptieren, die ihnen ihr Elektrizitätsdienstleister mit­geteilt hat […]“
(Hervorhebungen durch die Verfasser)

Der Fall vor dem EuGH spielte in Österreich. In § 25 des österreichischen Telekommunikationsgesetzes, der die EU-Vorgabe umsetzt, heißt es unter anderem:

„Der wesentliche Inhalt der [Änderungen] ist dem Teilnehmer mindestens ein Monat vor In-Kraft-Treten der Änderung in schriftlicher Form, etwa durch Aufdruck auf einer periodisch erstellten Rechnung, mitzuteilen. Gleichzeitig ist der Teilnehmer auf den Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der Änderungen hinzuweisen sowie darauf, dass er berechtigt ist, den Vertrag bis zu diesem Zeitpunkt kostenlos zu kündigen.“

Hätte diese Vorgabe einen deutschen Zwillingsbruder, wäre es § 41 Abs. 3 Satz 2 EnWG. Dieser gibt Letztverbrauchern bei einseitiger Vertragsänderungen durch den Lieferanten ein fristloses Sonderkündigungsrecht.

Kein Sonderkündigungsrecht

Im konkreten Fall sahen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) unter anderem vor, dass der Mobilfunkanbieter das Entgelt bei einer Erhöhung des Verbraucherpreisindex anpassen durfte und bei Senkungen des Index anpassen musste. Beides war dem Kunden im Voraus mitzuteilen. Entgeltänderungen, die allein auf einer Änderung des Verbraucherpreisindex beruhten, sollten den Kunden aber nicht zur Kündigung berechtigen.

Der österreichische Oberste Gerichtshof legte dem EuGH die Frage vor, ob die Preisgestaltung gegen die Universaldiensterichtlinie verstößt und danach eine Preisänderung in Abhängigkeit der Entwicklung des Verbraucherpreisindex zur außerordentlichen Kündigung berechtigt.

Der EuGH verneint diese Frage zu Gunsten des Mobilfunkanbieters: Die Entgeltbestimmung schaffe einen variablen Preis, der für den Endnutzer vor allem deshalb transparent sei, da seine Bildung auf einer „klaren, präzisen und öffentlich zugänglichen Indexierungsmethode“ beruht, die sich aus „zur staatlichen Sphäre gehörenden Entscheidungen und Mechanismen“ ergibt.

Für die separate Weitergabe gesetzlich determinierter Preisbestandteile im Energiesektor kann an sich nichts Anderes gelten. Die Höhe oder zumindest die Berechnungsgrundlagen der einzelnen Energiepreisbestandteile sind im Einklang mit dem Wesentlichkeitsgebot abschließend gesetzlich bestimmt und in diesem Sinne klar und präzise. Durch die Veröffentlichung der aktuellen und bisherigen Höhe dieser Preisbestandteile und den zugrunde liegenden Daten (zum Beispiel auf der Informationsplattform der Übertragungsnetzbetreiber) sind sämtliche für die Berechnung relevanten Angaben auch öffentlich verfügbar. Die Berechnung selbst ist zwar zum Teil Privaten übertragen, der Berechnungspfad ist aber gesetzlich abschließend vorgegeben, so dass die Höhe der einzelnen Preisbestandteile durchweg aus zur staatlichen Sphäre gehörenden Entscheidungen und Mechanismen folgt.

Wenig überzeugend: LG Düsseldorf zum Sonderkündigungsrecht bei Steuern- und Abgabenklauseln

Vor diesem Hintergrund ist kaum verständlich, wie das LG Düsseldorf in einem nur wenige Wochen zuvor ergangenen Urteil (v. 22.10.2015, Az. 14d O 4/15) zu dem Schluss kommt, im Fall einer Preisanpassung aufgrund einer Änderung von abschließend definierten hoheitlichen Belastungen müsse dem Kunden ein Sonderkündigungsrecht zustehen. Dem Urteil des LG Düsseldorf lag ein Preissystem zugrunde, das die für die Bildung des Strompreises maßgeblichen Elemente benannte und einige vom Lieferanten nicht beeinflussbare Kosten als hoheitliche Belastungen auswies. Nach dem Preissystem konnte der Lieferant Änderungen der hoheitlichen Belastungen an den Kunden weitergeben, ohne in diesen Fällen ausdrücklich ein Sonderkündigungsrecht vorzusehen.

Die Düsseldorfer Richter sahen darin einen vertraglichen Ausschluss des – nach Ansicht des Gerichts bestehenden – gesetzlichen Kündigungsrechts des Kunden gemäß § 41 Abs. 3 Satz 2 EnWG. Hierdurch würde der Kunde unangemessen benachteiligt. Das LG Düsseldorf kommt zu dem Schluss, jede „Gebührenänderung“ führe zu einem Sonderkündigungsrecht des Kunden. Die Begründung des Gerichts ist stellenweise nur schwer nachvollziehbar: So erwähnt das Gericht ein „gesetzlich verankertes Preisanpassungsrecht der Stromanbieter“. Wo dieses Preisanpassungsrecht normiert sein soll, ist dem Urteil allerdings nicht zu entnehmen. Es liegt nahe, dass die Richter fälschlich auf das – freilich nur im Rahmen der Grundversorgung geltende – Preisanpassungsrecht nach § 5 StromGVV rekurrieren wollten.

Ableitungen für „separierte Energiepreissysteme“

Der EuGH hat aber nunmehr Preissysteme, die automatische Anpassungen in Abhängigkeit von objektiven Berechnungsfaktoren ohne Sonderkündigungsrecht vorsehen, ausdrücklich gebilligt. Das werden die vielen Energieversorger, die mit Letztverbrauchern die transparente Weitergabe einzelner, abschließend gesetzlich determinierter und von den Versorgern nicht beeinflussbarer Kosten vereinbart haben, mit Wohlgefallen hören. Ein solches „separiertes Preissystem“ ist im Großkundenbereich seit geraumer Zeit gang und gäbe und verbreitet sich aktuell auch im Privatkundenbereich immer mehr. Denn längst sind die Privatkunden die leeren Versprechungen in Sachen Preisstabilität leid, mit denen Discounteranbieter häufig werben, und haben die transparente Ausweisung der ohnehin sämtliche Energieanbieter treffenden Kosten zu schätzen gelernt.

Ob bei der Gestaltung einseitiger Preisanpassungsrechte (wir berichteten) oder im Rahmen (teilweise) „separierter Preissysteme“: Es ist erfreulich, dass die Rechtsprechung die Bemühungen der Energieversorger um transparente Regelungen zur Wahrung des Äquivalenzverhältnisses zumindest in den „oberen Etagen“ anerkennt und so den Handlungsspielraum der Energieversorger bei der Produktgestaltung erheblich vergrößert.

Ansprechpartner: Dr. Christian de Wyl/Dr. Jost Eder/Dr. Erik Ahnis

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