Von Sondierungsgesprächen zur Regierungsbildung: Koalitionsvertrag mit Absicht

Nach den Wahlen vom 26.9.2021 geht es jetzt hinter den Kulissen weiter. In Sondierungsgesprächen loten die Vertreter der SPD, der CDU/CSU, von Bündnis 90/Die Grünen und der FDP aus, in welchen Konstellationen es welche inhaltlichen Gemeinsamkeiten gibt. Ziel dieses gegenseitigen Beschnupperns ist es herauszufinden: Haben wir überhaupt eine gemeinsame Linie als Basis für eine mögliche Regierungsbildung? Die ersten Sondierungsselfies kursieren zwar bereits in den sozialen Medien, aber die Erfahrungen von 2017 lehren uns, daraus keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Ob am Ende die Ampel, Jamaika oder doch (wieder) eine GroKo herauskommt – momentan ist alles offen, auch wenn sich Wahrscheinlichkeiten abzeichnen.

Die Richtung wird allerdings deutlich klarer werden, wenn die ersten Koalitionsgespräche aufgenommen werden – in denen es dann um ganz konkrete Inhalte gehen wird. Einigt man sich schließlich auf einen gemeinsamen Fahrplan für die nächsten vier Jahre, wird dieser Fahrplan in Form des Koalitionsvertrages niedergeschrieben und die Regierung für die 20. Legislaturperiode gebildet. Und dann ist ja alles in Sack und Tüten, oder? Schließlich haben die Koalitionäre ja einen gemeinsamen Vertrag geschlossen und nicht nur der Jurist/die Juristin weiß: Pacta sunt servanda – Verträge sind einzuhalten. Sonst werden sie eben eingeklagt.

Nun ja. Grundsätzlich schon. Nur ist nicht überall, wo „Vertrag“ draufsteht, auch ein Vertrag drin. Der Koalitionsvertrag erfüllt zwar einige Anforderungen eines Vertrages: Es werden entsprechende Willenserklärungen abgegeben, sich auf gemeinsame Inhalte verständigt und das Schriftstück wird von den Koalitionären unterzeichnet. Etwas sehr Grundsätzliches allerdings fehlt dem Koalitionsvertrag: die Rechtsverbindlichkeit.

Damit ähnelt der Koalitionsvertrag eher dem Letter of Intent – einer gemeinsamen Absichtserklärung. Er enthält alle Bedingungen, nach denen die Unterzeichner bereit sind, eine gemeinsame Koalition zu bilden. Dazu gehören sowohl politische Vorhaben als auch die Besetzung von Ministerposten, Ressorts und Ministeriumsverteilung.

Einklagbar oder gar vollstreckbar sind diese Inhalte aber nicht. Und das hat einen so simplen wie verblüffenden Grund: Es gibt schlicht kein Gericht oder eine vergleichbare Instanz, die dafür zuständig wäre. Auch wenn durchaus eine verfassungsrechtliche Konnotation gegeben ist – das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kennt einen Streitgegenstand namens „Koalitionsvertrag“ nicht. Er ist im Zuständigkeitskatalog schlicht nicht vorgesehen. Zivilgerichte und Verwaltungsgerichte fallen gerade wegen des Bezugs zum Verfassungsrecht raus. Und strafrechtlich relevant ist ein „Bruch der Koalitionsabrede“ auch nicht, weshalb der Gang zum Strafgericht erfolglos bliebe.

Das ist nun aber kein Grund zum Verdruss. Ganz im Gegenteil: Der Status des Koalitionsvertrags ermöglicht erst die Ausübung des freien Abgeordnetenmandats in unserer parlamentarischen Demokratie. Laut Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG sind die Abgeordneten des Deutschen Bundestages „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Ein rechtsverbindlicher Koalitionsvertrag würde dieser Ausstattung des Abgeordnetenstatus widersprechen. Allerdings ist er sehr wohl im politischen Sinne verbindlich. Kein Koalitionspartner möchte sich politische Unzuverlässigkeit oder gar Wortbruch vorwerfen lassen.

Nun müssen die Gespräche zwischen den Koalitionswilligen aber erst einmal weitergeführt werden. Bis Weihnachten ist es ja gar nicht mehr so lange hin.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

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