Was hat der Europäische Bürgerbeauftragte mit Vergaberecht zu tun?

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Auch im Vergabeverfahren gilt: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Wer in einem Ausschreibungsverfahren der EU unterliegt, muss nicht immer gleich vor Gericht ziehen. Manchmal ist es besser, sich an eine Stelle zu wenden, an die man gerade im Vergaberecht nicht zu allererst denkt: an den Europäischen Bürgerbeauftragten. Das zeigt ein aktueller Fall, in dem der Bürgerbeauftragte dafür gesorgt hat, dass die Europäische Kommission eine Entschädigung von über 10.000 Euro an einen im Vergabeverfahren unterlegenen Bieter gezahlt hat (Fall 3000/2009/JF). Auf diesem Weg kann man flexible und für beide Seiten gesichtswahrende Lösungen suchen – besser als in einem Gerichtsverfahren.

Die Institution des Bürgerbeauftragten oder Ombudsmanns ist in zahlreichen Mitgliedsstaaten der EU bekannt. Durch den Vertrag von Maastricht wurde er auch auf EU-Ebene geschaffen. Um die EU transparenter und bürgernäher zu machen, hat der Vertrag von Lissabon die Stellung des Europäischen Bürgerbeauftragten präzisiert und gestärkt. Nach Art. 228 AEUV hat er die Aufgabe, eventuelle Missstände bei der Tätigkeit von Organen oder Institutionen der EU – mit Ausnahme der Rechtsprechungstätigkeit der Europäischen Gerichte – zu untersuchen. Der Bürgerbeauftrage kann diese Untersuchungen von sich aus aufnehmen oder aufgrund von Beschwerden von Bürgern der Union und natürlichen oder juristischen Person mit Wohnort oder Sitz in einem EU-Mitgliedstaat.

Die Untersuchungsbefugnis ist dabei denkbar weit gefasst. Der Bürgerbeauftragte kann nicht vorschriftsmäßiges Handeln der EU-Organe untersuchen oder sich einschalten, wenn die Grundsätze einer ordentlichen Verwaltungspraxis missachtet werden oder gegen Grundrechte verstoßen wird. Der in der Praxis am häufigsten angeprangerte Missstand ist die mangelnde Transparenz durch Verweigerung des Zugangs zu Informationen. Besteht der Verdacht eines Missstands, so ersucht der Bürgerbeauftragte das betreffende Organ um eine Stellungnahme und legt anschließend dem Europäischen Parlament und dem Organ einen Bericht über die Angelegenheit vor. Stellt der Bürgerbeauftragte einen Missstand fest, soll er versuchen, eine gütliche Einigung zu erzielen, die die Sache regelt und den Beschwerdeführer zufrieden stellt (Art. 6.1 der Durchführungsbestimmungen zum Europäischen Bürgerbeauftragten).

Genau so verhielt es sich in dem genannten Fall: Ein in Brüssel ansässiges Unternehmen für Ingenieur- und Umweltberatung hatte im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens der Europäischen Kommission ein Angebot eingereicht. Den Zuschlag erhielt ein Konkurrent. Das Unternehmen wandte sich an den Bürgerbeauftragten und brachte vor, die Begründung der Kommission, warum ihr Angebot nicht ausgewählt wurde, sei nicht überzeugend. Sie verlangte eine erneute Prüfung ihres Angebots oder, falls dies nicht mehr möglich sein sollte, eine angemessene Entschädigung.

Die Kommission legte dar, dass das Angebot der Beschwerdeführerin, obwohl es geringfügig unter dem einzigen anderen Bieter lag, nicht das beste Preis-Leistungs-Verhältnis aufwies. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin keinen ausreichenden Finanzplan vorgelegt, um die Aufgaben – nämlich die Organisation einer Reihe von Seminaren zu „grüner“ Auftragsvergabe – erfolgreich durchführen zu können. Tatsächlich hätten aufgrund des Finanzplans der Beschwerdeführerin Zweifel bestanden, dass diese Aufgaben überhaupt verstanden worden waren. Der erfolgreiche Bieter habe ordnungsgemäß die Veranstaltungsorte genannt, an denen die Seminare stattfinden sollten, und einen Finanzplan für deren Organisation vorgelegt.

Die Untersuchung des Bürgerbeauftragten ergab, dass nach den geltenden Bestimmungen formell erst später zu entscheiden war, in welchen Mitgliedstaaten die Seminare stattfinden sollten. Tatsächlich waren sowohl der Kommission als auch dem erfolgreichen Bieter diese Mitgliedstaaten bereits bekannt gewesen, nicht jedoch der Beschwerdeführerin. Dadurch, dass sie die Beschwerdeführerin nicht darüber informiert hatte, wo die Seminare stattfinden sollten, hatte die Kommission nach Ansicht des Bürgerbeauftragten versäumt, die Gleichbehandlung der Bieter sicherzustellen, und dadurch die Chancen der Beschwerdeführerin, aus dem Ausschreibungsverfahren als erfolgreiche Bieterin hervorzugehen, beeinträchtigt.

Der Bürgerbeauftragte schlug zur gütlichen Beilegung des Streits vor, die Kommission solle die Beschwerdeführerin für ihre Kosten der Teilnahme an der Ausschreibung entschädigen. Hiermit erklärte sich die Kommission einverstanden und zahlte der Beschwerdeführerin über 10.000 Euro. Weitere Details über die Verständigung sind nicht bekannt geworden. Zu bemerken ist: Der Bürgerbeauftragte kann nur Handlungen der Organe der EU untersuchen, wie hier eine Vergabe der Kommission. Vergaben der Behörden und sonstigen Einrichtungen der Mitgliedstaaten können nicht mittels des Bürgerbeauftragten überprüft werden.

Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet/Dr. Sascha Michaels

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