Müssen Stadt- und Gemeinderäte Videokameras dulden?

Was im Stadt- oder Gemeinderat besprochen wird, ist für die Medien oft interessant. Nicht selten wollen daher (private) Rundfunkanstalten bei den Sitzungen mit Kameras und Mikrofonen zugegen sein. Ob sie zugelassen werden müssen, hatte zuletzt das Verwaltungsgericht (VG) Kassel zu entscheiden. Dort begehrte der Antragsteller Prozesskostenhilfe, um mittels einer einstweiligen Anordnung erlaubt zu bekommen, Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung auf Video aufzuzeichnen. Ohne Erfolg: Nach Ansicht des VG Kassel bestehe ein solcher Anspruch nicht; er lasse sich insbesondere nicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG herleiten.

Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schützt die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk von der Beschaffung der Information und der Erstellung der Programminhalte bis hin zur Verbreitung der Nachricht. Hiervon nicht umfasst ist aber ein Recht auf Eröffnung einer Informationsquelle. Der Schutzbereich des  Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist dann betroffen, wenn eine Informationsquelle allgemein zugänglich ist. Sie muss also geeignet und dazu bestimmt sein, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen, wobei nicht nur die Unterrichtung, sondern auch die Informationsaufnahme an der Quelle geschützt ist. Über die Zugänglichkeit einer Informationsquelle und die Art der Zugangseröffnung entscheidet, wer über das entsprechende Bestimmungsrecht verfügt. Für den Staat richtet sich dieses vornehmlich nach den Vorschriften des öffentlichen Rechts.

Im besprochenen Fall regelt § 52 Abs. 1 Satz 1 HGO (der Hessischen Gemeindeordnung), dass die Gemeindevertretung ihre Beschlüsse in öffentlichen Sitzungen fasst. Öffentliche Sitzungen sind allgemein zugängliche Informationsquellen: Bürger und Medienvertreter dürfen zusehen, zuhören und haben das Recht, die aufgenommenen Informationen auch mit Hilfe der Presse, des Rundfunks oder anderer elektronischer Medien zu verbreiten. Nach Ansicht des VG Kassel regele § 52 Abs. 1 Satz 1 HGO aber nur eine Saalöffentlichkeit, die sich auf im Raum der Sitzung Anwesende beschränkt. Eine umfassendere Medienöffentlichkeit, insbesondere der medienspezifische Einsatz von Aufnahme- und Übertragungsgeräten mit dem Ziel der Verbreitung der Aufnahmen sei nicht gemeint.

Denn nach dem – ab dem 1. Januar 2012 geltenden – § 52 Abs. 3 HGO kann die Hauptsatzung bestimmen, dass in öffentlichen Sitzungen Film- und Tonaufnahmen durch die Medien mit dem Ziel der Veröffentlichung zulässig sind. Daraus, so das Verwaltungsgericht, könne der Antragsteller jedoch nichts für sich herleiten, da eine entsprechende Regelung bislang nicht in die Hauptsatzung aufgenommen wurde. Aus der Vorschrift ergebe sich auch kein Anspruch auf eine Einzelfallentscheidung, da es hiernach ausdrücklich der Gemeindevertretung überlassen ist, ob sie Ton- und Filmaufnahmen zulässt.

Die Entscheidung beleuchtet ein allgemeines Dilemma: Viele Gemeindeordnungen regeln nur, dass die Sitzungen ihrer Vertretungen öffentlich sind, soweit nicht das Wohl der Allgemeinheit oder berechtigte Interessen einzelner entgegenstehen; dem § 52 Abs. 3 HGO entsprechende Regelungen fehlen aber. Heißt das, dass dann Videoaufzeichnungen immer erlaubt sind? Nein!

Im Ansatz gilt, dass Informationsquellen allgemein zugänglich sind, wenn sie geeignet und bestimmt sind, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen. Der Inhaber des entsprechenden Bestimmungsrechts kann in differenzierender Weise auch die Modalitäten des Zugangs festlegen. Der Staat kann, soweit er bestimmungsberechtigt ist, also im Rahmen seiner Aufgaben und Befugnisse Art und Umfang des Zugangs bestimmen. Legt der Gesetzgeber (zugleich) das Ausmaß der Öffnung einer Informationsquelle fest, wird auch nur in diesem Umfang der Schutzbereich der Informations- und Rundfunkfreiheit eröffnet. Sind Aufnahmen und die Verbreitung von Ton- und Rundfunkaufnahmen ausgeschlossen, liegt in dieser Begrenzung kein Grundrechtseingriff.

Regeln die Gemeindeordnungen (nur), dass Sitzungen grundsätzlich öffentlich sind, fragt sich, ob eine bloße Saalöffentlichkeit gewährt wird oder eine umfassendere Medienöffentlichkeit. Die Rechtsprechung ist insoweit uneinheitlich. Das OVG Saarlouis steht auf dem Standpunkt, der Grundsatz der Öffentlichkeit sage per se noch nichts über die Modalitäten aus, unter denen die Öffentlichkeit zugelassen wird. Die Anordnung der Öffentlichkeit von Sitzungen oder Verhandlungen von Staats- oder Verfassungsorganen könne nicht mit der Anordnung einer Medienöffentlichkeit in dem Sinne gleichgesetzt werden, dass neben der Anwesenheit der Vertreter der Medien und deren Befugnis zuzusehen, zuzuhören und die so aufgenommenen Informationen mit Hilfe der Presse, des Rundfunks oder anderer elektronischer Medien zu verbreiten, auch der medienspezifische Einsatz von Aufnahme- und Übertragungsgeräten mit dem Ziel der Verbreitung der Aufnahmen gehöre. Der Zweck der Anordnung der Öffentlichkeit, die handelnde Staatsgewalt einer Kontrolle in Gestalt des Einblicks der Öffentlichkeit zu unterziehen, werde auch durch die Gewährleistung einer Saalöffentlichkeit erreicht. Eine Öffentlichkeit, die auf die im Raum der Sitzung Anwesenden begrenzt ist, genüge auch dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz der Zugänglichkeit von Informationen, die für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung wichtig sind. Da die Medien Zugang zum Sitzungssaal haben und Rundfunkjournalisten an öffentlichen Sitzungen und Verhandlungen von Staatsorganen teilnehmen und über sie berichten können, werde auch dem Umstand Rechnung getragen, dass Informationen heutzutage in erster Linie über Medien an die Öffentlichkeit vermittelt werden.

Hingegen vertritt das VG Saarlouis die Auffassung, dass mit der grundsätzlichen Öffentlichkeit von Sitzungen eines Stadt- oder Gemeinderates die Zugänglichkeit in keiner Weise eingeschränkt werde, so dass nicht nur eine bloße Saalöffentlichkeit, sondern eine umfassende Medienöffentlichkeit gewährt werde. Dies belege etwa § 169 Satz 2 GVG, der den Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen vor Gericht dahingehend einschränkt, dass Ton-, Film- und Rundfunkaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts unzulässig sind. Der Gesetzgeber verstehe daher unter dem Begriff „Öffentlichkeit“ stets eine umfassende Medienöffentlichkeit. Wäre nur eine Saalöffentlichkeit unter Ausschluss des Einsatzes rundfunkspezifischer Aufnahme- und Verbreitungstechniken gemeint, wären abweichende Regelungen für die Medien überflüssig.

Es wäre zu einfach, nur auf den Wortlaut gesetzlicher Regelungen abzustellen, maßgeblich ist vielmehr deren Sinn. Dem Grundsatz der Öffentlichkeit im Sinne einer allgemein zugänglichen Informationsquelle ist bereits Genüge getan, wenn auch Unbeteiligte die Sitzung besuchen können. Einer Übertragung im Rundfunk oder im Internet bedarf es hierzu nicht, insbesondere wenn es sich nicht um landes- oder bundesweit bedeutsame Sitzungen handelt, sondern um die Erörterung von Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft. Mit Blick auf das Demokratieprinzip und die Gewährleistung der Kontrollfunktion der Öffentlichkeit dürften daher auch aus verfassungsrechtlicher Sicht keine grundsätzlichen Bedenken bestehen, die Art des Zugangs zu öffentlichen Sitzungen eines Stadt- oder Gemeinderates auf eine Saalöffentlichkeit zu beschränken. Eine umfassende Medienöffentlichkeit könnte zudem eine Reihe urheber- und persönlichkeitsrechlichter Probleme aufwerfen, etwa wenn im Rahmen von Filmaufnahmen und deren Verbreitung urheberrechtlich geschützte Werke vervielfältigt werden.

Das VG Saarlouis hatte in seinem Urteil vom 25.3.2011 die (Sprung)revision zugelassen; eine grundsätzliche Entscheidung des BVerwG steht derzeit noch aus.

Ansprechpartner: Nils Langeloh/Steffen Lux

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