11. GWB-Novelle: Der Referentenentwurf des BMWK zum Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz

Am 20.9.2022 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) seinen Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wettbewerbsstrukturen und zur Abschöpfung von Vorteilen aus Wettbewerbsverstößen (Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz, GWB-E) veröffentlicht. Mit der 11. GWB-Novelle soll das Bundeskartellamt (BKartA) im Anschluss an die Sektoruntersuchung neue und weitreichende Kompetenzen erhalten, um festgestellte Wettbewerbsstörungen abstellen zu können. Ferner soll die Kartellbehörde von den Kartellbeteiligten leichter wirtschaftliche Vorteile abschöpfen können.

Maßnahmen zur Abstellung erheblicher Wettbewerbsstörungen

Mittels einer Sektoruntersuchung untersucht die Kartellbehörde, ob der Wettbewerb in einer Branche eingeschränkt ist. Während die Behörde nach oder auch während einer Sektoruntersuchung – wenn sie feststellt, dass Unternehmen gegen das Kartellrecht verstoßen haben – gegen die betreffenden Unternehmen gesonderte Kartell- und Ordnungswidrig­keitsverfahren durchführen kann, soll das BKartA künftig gemäß § 32f GWB-E im Anschluss an eine Sektoruntersuchung weitere umfangreiche Eingriffsbefugnisse erhalten, mit denen sie direkt auf Basis der Untersuchungsergebnisse Maßnahmen zur Abstellung festgestellter Wettbewerbsstörungen anordnen kann. Hierzu soll als äußerste Mittel (ultima ratio) sogar eine eigentumsrechtliche Entflechtungsanordnung gehören.

Das besondere an den vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen ist, dass sie nicht voraussetzen, dass diejenigen Unternehmen, die von den Maßnahmen betroffen sind, kartellrechtswidrig gehandelt haben. Denn das BMWK bemängelt, dass bei Störungen des Wettbewerbs, die vornehmlich marktstrukturbedingt sind, deutsche Kartellbehörden anders als z.B. die britische Competition and Markets Authority (CMA) nicht effektiv eingreifen können. Diese Lücke soll geschlossen werden. Das kartellbehördliche Tätigwerden ist nach dem Referentenentwurf daher schon möglich, wenn eine erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs vorliegt, die das BKartA nach vorgegebenen Kriterien (§ 32f Abs. 5 GWB-E) festzustellen hat.

Ferner soll das BKartA, um der Unternehmenskonzentration vorzubeugen, bei einer drohenden erheblichen Behinderung des wirksamen Wettbewerbs Unternehmen gemäß § 32f Abs. 2 GWB-E verpflichten können, alle relevanten Zusammenschlüsse zur Fusionskontrolle anzumelden. Die nach aktueller Rechtslage in § 39a GWB bereits vorgesehene Möglichkeit zur Verpflichtung zur Anmeldung von Zusammenschlüssen unterhalb der Anmeldeschwellen des § 35 GWB wird nach dem Referentenentwurf nicht mehr von einer bundesweit starken Marktposition der betroffenen Unternehmen abhängig sein. Zudem sollen die Umsatzschwellen reduziert werden, um Wettbewerbsprobleme auch auf regionalen Märkten verhindern zu können. Das BKartA kann die Anmeldepflicht in seiner Verfügung in räumlicher Hinsicht (nur in bestimmten Kommunen, Ländern, Marktgebieten) oder in sachlicher Hinsicht (nur bestimmte Produkte, Leistungen) einschränken.

Neu ist auch die in § 32e Abs. 3 und § 32f Abs. 7 GWB-E geplante Regelung zur Verfahrensdauer. Für die in der ersten Phase durchgeführte Sektoruntersuchung und die damit verbundenen Befragungen der Teilnehmer auf den betroffenen Märkten sowie die Datenerhebungen und -analysen sind höchstens 18 Monate vorgesehen. Im Anschluss daran schließt sich die zweite Phase an, in der das BKartA innerhalb von 18 Monaten nach Veröffentlichung des Berichts über die Sektoruntersuchung Abhilfe­maßnahmen anordnen soll. Eine Überschreitung dieser Verfahrensdauern hat nach dem Entwurf allerdings keine Rechtsfolgen. Überdies richtet sich die Zeitvergabe nur an das BKartA und betrifft nicht die Sektoruntersuchungen von Landeskartellbehörden.

Vereinfachung der kartellbehördlichen Vorteilsabschöpfung

Die Kartellbehörden haben bereits umfangreiche Befugnisse, kartellrechtswidriges Verhal­ten zu ahnden. Die Möglichkeit der Vorteilsabschöpfung gemäß § 34 GWB wurde jedoch bislang nie genutzt. Grund hierfür ist, dass die Berechnung des wirtschaftlichen Vorteils, der durch den Kartellrechtsverstoß entstanden ist, komplex sein kann und die Kartellbehörde auch nachweisen muss, dass das Unternehmen vorsätzlich oder zumindest fahrlässig gehandelt hat. Diese Voraussetzungen senkt der Referentenentwurf ab. Einerseits soll künftig eine gesetzliche Vermutung greifen, dass ein Unternehmen bei einem nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß einen Vorteil in Höhe von 1 Prozent seiner Inlandsumsätze mit dem in Zusammenhang stehenden Produkt oder der Dienstleistung erzielt hat (§ 34 Abs. 4 GWB-E). Andererseits soll die Anordnung gemäß § 34 Abs. 1 GWB-E verschuldens­unabhängig erfolgen können. Hinreichend ist der Nachweis, dass die Vorteile durch die Verletzung des Wettbewerbsrechts entstanden sind. Ferner sollen künftig Vorteile für die gesamte Zeit einer Zuwiderhandlung abgeschöpft werden können, um den Verstoß effektiv zu sanktionieren.

Fazit und Ausblick

In der Energiekrise ist der Handlungsdruck auf die Kartellbehörden immens gewachsen. Dahinter steht die Sorge, dass die Allgemeinheit nicht allein die Last der marktimmanenten Preisschwankungen tragen muss, sondern auch marktstrukturelle Gründe zu Preissteigerungen führen. Ob der Gesetzgeber mit der angestrebten Reform den Kartellbehörden nicht nur ein effektives, sondern auch rechtssicheres Instrument an die Hand gibt, bleibt abzuwarten. Eine Herausforderung wird darin liegen, die „erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs“ gegenüber der Feststellung einer „marktbeherrschenden Stellung“, die im Status quo eine bewährte Grundlage der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht ist, abzugrenzen. Die im Referentenentwurf vorgeschlagene 11. Novelle des GWB ist als Text kurz, in ihrer Tragweite aber sehr weitereichend.

Das BMWK stellt in seiner Presseerklärung klar, dass die kartellrechtliche Vorteilsabschöpfung nicht mit der Abschöpfung von krisenbedingten Zufallsgewinnen zu verwechseln sei. Im Kartellrecht geht es um die Vorteile aus illegalem Verhalten. Insbesondere für den Stromsektor bestehe jedoch weiterer gesetzlicher Handlungsbedarf, um die in Rede stehenden Zufallsgewinne abschöpfen zu können und den Strompreis zu senken.

Darüber hinaus kündigt das BMWK an, seine wettbewerbspolitische 10-Punkte-Agenda weiterzu­verfolgen. Demnächst sollen Vorschläge erarbeitet werden, die bei Nachhaltigkeitskooperationen zu mehr Rechtssicherheit führen und den Verbraucherschutz stärken. Beides soll Gegenstand einer 12. GWB-Novelle werden.

Ansprechpartner*innen: Dr. Tigran Heymann/Dr. Holger Hoch/Dr. Anna Lesinska-Adamson

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