Monitoringbericht 2022: Von angespannten Energiemärkten und Marktbeherrschung der RWE

Am 30.11.2022 veröffentlichten die Bundesnetzagentur (BNetzA) und das Bundeskartellamt (BKartA) ihren zehnten gemeinsamen Monitoringbericht. Auf 546 Seiten werden die Entwicklungen der deutschen Elektrizitäts- und Gasmärkte analysiert. Der Bericht bezieht sich zwar primär auf das Jahr 2021, nimmt jedoch auch erste Entwicklungen des vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geprägten Jahres 2022 in den Blick.

RWE oberhalb der Vermutungsschwelle für Marktbeherrschung

Der Bericht analysiert die Wettbewerbssituation in der Stromerzeugung, die bereits vor dem Ukrainekrieg angespannt und danach durch eine weitere Angebotsverknappung bei der konventionellen Stromerzeugung geprägt war. Als Gründe hebt der Bericht zwei Faktoren hervor: zum einen die vorzeitige Stilllegung von konventionellen Stromerzeugungskapazitäten 2021, verstärkt durch wind- und sonnenarme Witterung, zum anderen die Verknappung von Gas, das auch zur Stromerzeugung genutzt wird, infolge des Ukrainekriegs.

Im Einzelnen untersucht der Bericht dann, wie sich diese „doppelte“ Angebotsverknappung auf die Marktstruktur ausgewirkt hat. Wenig überraschend haben die verbleibenden konventionellen Erzeugungskapazitäten an Bedeutung gewonnen. Gerade bei den größeren Anbietern sind die Erzeugungsmengen gestiegen. Dies führt dazu, dass 2021 der kumulierte Marktanteil der fünf größten Stromerzeuger beim Stromabsatz von 65,3 auf 66,5 Prozent gewachsen ist.

Darüber hinaus deuten die Ergebnisse einer Analyse der Abhängigkeit des Marktes von einzelnen Erzeugern (Residual Supply Index) zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren auf eine marktbeherrschende Stellung des mit Abstand größten deutschen Stromerzeugers RWE AG hin. So war RWE in deutlich mehr als fünf Prozent der Jahresstunden für die Deckung des Strombedarfs unverzichtbar – und damit oberhalb der Vermutungsschwelle für Marktbeherrschung.

Trend zu Erneuerbaren Energien hält nicht an

Der Anteil von Erneuerbare-Energien-Strom am Bruttostromverbrauch erreichte im Corona-Jahr 2020 mit 45 Prozent einen Höchststand. Dieser Trend hielt jedoch 2021 – aufgrund der vergleichsweise wind- und sonnenarmen Witterung – nicht an. Mit einer Verringerung der Erzeugung um 7,2 Prozent sank auch der Anteil von Erneuerbaren Energien am Brutostromverbrauch 2021 auf 40 Prozent ab.

Obwohl der Erneuerbare-Energien-Ausbau wegen den Verzögerungen beim Netzausbau zu Netzbelastungen führte, konnten rund 97 Prozent des erneuerbaren Stroms auch tatsächlich zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern transportiert werden.

Steigen die Preise im Strom- und Gasgroßhandel weiter an?

Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar dieses Jahres hat sich das Preisniveau im Strom- und Gasgroßhandel noch einmal vervielfacht. Für den sog. Phelix-Base-Year-Future verdreifachten sich bis Ende August 2022 in der Spitze die Großhandelsstrompreise auf rund 1.000 Euro/MWh.

Erdgaskraftwerke setzten aufgrund ihrer hohen Kosten in den meisten Stunden in der Merit Order den Preis. Die Preise im Stromgroßhandel folgen damit weitgehend der Preisentwicklung bei Erdgas.

Auch wenn der politisch beschlossene Weiterbetrieb von Kohle- und Kernkraftwerken preisdämpfend wirken kann und die Preise seit Ende August 2022 zurückgegangen sind, bleiben sie dennoch auf einem hohen Niveau.

Wie ist die Situation an den Endkundenmärkten?

Der Bericht konnte auf den Endkundenmärkten für Strom und Gas in bundesweiter Betrachtung keine marktbeherrschende Stellung der größten Strom- und Gaslieferanten konstatieren. Die kumulierten Marktanteile der vier absatzstärksten Strom- und Gaslieferanten bei der Belieferung von leistungsgemessenen (RLM) und im Standardlastprofil (SLP) belieferten Kunden lagen aus Sicht der Wettbewerbsbehörden unterhalb der Schwelle, ab welcher eine marktbeherrschende Stellung vermutet wird.

Für Andreas Mundt, den Präsidenten des BKartA, ist dies aber kein Grund, bei der Kontrolle des Wettbewerbs nachzulassen. Das BKartA kümmere sich weiterhin intensiv um den Wettbewerb auf allen Endkundenmärkten.

Wo sind die Auswirkungen des Ukrainekriegs besonders spürbar?

Die stärksten Auswirkungen des Ukrainekrieges sieht der Bericht bei den Groß- und Einzelhandelspreisen. Zum 1.4.2022 waren für Haushaltskunden im Vergleich zum Vorjahr die Strompreise um rund 10,5 Prozent und die Gaspreise um rund 48 Prozent gestiegen. Grund dafür sind laut Klaus Müller, dem Präsidenten der BNetzA, die starke Volatilität auf den Beschaffungsmärkten und geänderte Beschaffungsstrategien der Gaslieferanten, verbunden mit einer weiteren Verknappung der verfügbaren Gasmenge.

Sowohl der Präsident der BNetzA als auch der Präsident des BKartA weisen auf die Notwendigkeit von staatlichen Maßnahmen hin, um die Strom- und Gaspreise einzudämmen. Andres Mundt betont aber auch, dass die wettbewerblichen Auswirkungen dieser Maßnahmen im Auge behalten werden müssen.

Ausblick: RWE im Spannungsfeld von Politik und Wettbewerb

Auch wenn – angesichts der lange absehbaren Entwicklungen – der Befund kaum überrascht, dass RWE für die Deckung der Nachfrage im Stromgroßhandel unverzichtbar ist und die Vermutungsschwelle zur Marktbeherrschung überschreitet, ist die Feststellung im größeren politischen Kontext durchaus interessant. So hat RWE mit dem Bund und dem Land Nordrhein-Westfalen (NRW) unlängst die Einigung zum Rheinischen Revier erzielt. Sie sieht zwar einen früheren Ausstieg der RWE aus der Kohleverstromung bis 2030 vor, spricht ihr aber im Gegenzug 2,6 Mrd. Euro, die längere Nutzung von eigentlich stillzulegenden Braunkohle-Kraftwerksblöcken und die Aussicht einer Förderung der bevorstehenden Umrüstung der Kraftwerksflotte auf H2-fähige Gaskraftwerke zu.

Während die Europäischen Kommission im Beihilfeprüfverfahren SA.53625 die Zahlungen für den Kohleausstieg noch prüft, hat der Bundestag die Einigung zwischen RWE, dem Bund und NRW und die dazugehörige Gesetzesänderung gerade gebilligt. Parallel dazu wurde mit dem Kabinettsentwurf zum Strompreisbremsengesetz zur Gegenfinanzierung der Entlastungen für Verbraucher auch eine Erlösabschöpfung von Erzeugern vorgeschlagen, die den unter die Einigung zum Rheinischen Revier fallenden Braunkohle-Kraftwerken der RWE einen höheren Kostensockel zuspricht. Insgesamt bleibt abzuwarten, wie sich dieses Spannungsfeld von wettbewerblicher Realität und politischen Entscheidungen auflösen wird.

Was die Endkundenmärkte betrifft, fügt sich die Bewertung der Wettbewerbsbehörden ebenfalls in ihre bisherige Linie ein, trotz erheblicher lokaler Unterschiede auf nationaler Ebene keinen der Akteure – also insbesondere nicht den größten Versorger E.ON – als dominierend einzuordnen. Gleichwohl wird eine weiter aufmerksame Überwachung der Märkte angekündigt. Dazu beitragen wird möglicherweise, dass die Kabinettsentwürfe zum Strompreisbremsengesetz und zum Gas- und Wärmepreisbremsengesetz auch spezielle Missbrauchsvorschriften enthalten, die sachgrundlose bzw. überzogene Preisanpassungen im Kontext der Einführung der Preisbremsen verhindern sollen. Parallel dazu wird auf ministerialer Ebene über eine 11. GWB-Novelle diskutiert, wonach das BKartA bereits beim Vorliegen einer erheblichen, andauernden oder wiederholten Marktstörung ein umfangreiches Instrumentarium – von erweiterter Vorteilsabschöpfung bis hin zu eigentumsrechtlicher Entflechtung – zur Verfügung stehen soll, was aus Wirtschaftskreisen kritisiert wird.

Es ist zu begrüßen, dass der Monitoringbericht 2022 einen Überblick über erste Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine gibt. Eine fundierte Beurteilung der Folgen des Krieges sowie der Wirkung der aufgrund des Krieges ergriffenen staatlichen Maßnahmen wird aber erst mit dem nächsten und übernächsten Monitoringbericht möglich sein.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Holger Hoch

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