Richtlinie über private Schadensersatzklagen – wie ist der Stand?

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Im Sommer letzten Jahres hat die Dr. Ralf Schäfer ihren Vorschlag für eine Richtlinie über kartellrechtliche Schadensersatzklagen veröffentlicht. Noch im ersten Halbjahr des neues Jahres wird er seine erste Hürde nehmen müssen: Nachdem der federführende Ausschuss für Wirtschaft und Währung nach Kenntnisnahme des Kompromissvorschlags des Rates der Europäischen Union am 27.1.2014 über den Berichtsentwurf seines Berichterstatters Andreas Schwab abgestimmt hat, wird auf dieser Grundlage voraussichtlich am 15.4.2014 das Europäische Parlament über den Richtlinienvorschlag in erster Lesung abstimmen. Akzeptiert im Anschluss daran der Rat der Europäischen Union den Standpunkt des Parlaments, so wird die Richtlinie in dieser Fassung erlassen. Beschließt er hingegen Abänderungen, so wird sich das Parlament in einer zweiten Lesung mit dem Standpunkt des Rates befassen müssen.

Der Kommissionsvorschlag verfolgt vor allem zwei Ziele: Er soll es leichter machen, das EU-Kartellrecht durchzusetzen sowie Opfer von Kartellrechtsverstößen zu entschädigen, wobei der Ausschuss für Wirtschaft und Währung auf die Klarstellung besteht, dass die Entschädigung keinen Strafcharakter haben darf. Und er soll die „Interaktion zwischen privater und behördlicher Kartellrechtsdurchsetzung“ optimieren. Einerseits müssen die Erfolgschancen privater Schadensersatzprogramme gestärkt werden, andererseits die Kronzeugenprogramme attraktiv bleiben. Die Regelungen, die dieses Spannungsverhältnis zu lösen versuchen, stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dies sind vor allem die Vorschriften, die die Offenlegung und Verwendung von Beweismitteln und die gesamtschuldnerische Haftung der Kartellanten betreffen.

Offenlegung und Verwendung von Beweismitteln

Eine Erleichterung im Schadensersatzprozess sowohl für den Kläger als auch für den Beklagten dürfte Art. 5 bringen, wonach Gerichte den Beklagten, den Kläger oder einen Dritten verpflichten können, Beweismittel offenzulegen. Hierfür soll es ausreichen, dass der Kläger anhand der mit zumutbarem Aufwand zugänglichen Tatsachen und Beweismittel die Plausibilität eines Schadensersatzanspruchs darlegt, die Kategorie des Beweismittels bezeichnet und seine Relevanz für die Substantiierung des Anspruchs beweist. Die letzten beiden Anforderungen gelten entsprechend für den Einwand des Beklagten. Das Gericht soll anhand einer Verhältnismäßigkeitsprüfung entscheiden. Dabei soll das Gericht insbesondere die Kosten der Offenlegung, den Schutz vertraulicher Informationen sowie die Frage, inwieweit zugängliche Tatsachen oder Beweismittel den Anspruch/Einwand stützen, berücksichtigen. Die Aspekte des Interesses an einer wirksamen behördlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts und der genügenden Bestimmtheit des Antrags sollen dagegen nach der Vorstellung des Rates bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Anordnung zur Offenlegung von in den Akten der Wettbewerbsbehörden befindlichen Unterlagen Berücksichtigung finden. Die Möglichkeit einer umfassenderen Offenlegung von Beweismitteln nach nationalem Recht soll nach dem Kompromissvorschlag des Rates entfallen.

Wie die Kommission, so will auch der Rat verhindern, dass das Gericht die Offenlegung von Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen, die in den Akten der Wettbewerbsbehörde enthalten sind, anordnen kann (Art. 6). Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung hat hingegen vorgeschlagen, Kronzeugenunterlagen nur prinzipiell zu schützen und den nationalen Gerichten unter engen Voraussetzungen zu ermöglichen, eine begrenzte Offenlegung dieser Unterlagen anzuordnen. Die Frage, ob dieser Vorschlag im parlamentarischen Plenum auf Gehör stoßen wird, bleibt nicht zuletzt angesichts der jüngsten EuGH-Rechtsprechung besonders spannend. Danach ist ein genereller Schutz von Unterlagen mit dem Primärrecht nicht vereinbar (wir berichteten). Die Offenlegung von Informationen, die von einer natürlichen oder juristischen Person eigens für das wettbewerbsbehördliche Verfahren erstellt wurden, sowie Informationen, die von einer Wettbewerbsbehörde im Laufe ihres Verfahrens erstellt wurden, sollen erst nach Abschluss des jeweiligen wettbewerbsbehördlichen Verfahrens angeordnet werden können. Die Offenlegung aller anderen Kategorien von Unterlagen soll nach dem Kompromissvorschlag des Rates nicht, wie von der Kommission vorgesehen, jederzeit, sondern erst dann angeordnet werden, wenn sie nicht mit zumutbaren Aufwand von einer Partei oder einem Dritten erlangt werden können.

In alle Offenlegungsfällen soll nach der Vorstellung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung die Anhörung der ersuchten Wettbewerbsbehörde bzw. der von der Offenlegung Betroffenen gewährleistet sein.

Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen, die von einer natürlichen oder juristischen Person allein durch Einsicht in die Akten der Wettbewerbsbehörden erlangt wurden, sollen auch nach der Vorstellung des Rates nicht als Beweismittel verwendet werden dürfen, und zwar bei jeder Art der Akteneinsicht (Art. 7). Den Mitgliedstaaten soll aber eine größere Freiheit im Hinblick darauf eingeräumt werden, ob sie die Unterlagen als unzulässige Beweismittel erachten oder auf andere Weise schützen.

Gesamtschuldnerische Haftung der Kartellanten

Nach Art. 11 sind grundsätzlich alle Kartellanten Gesamtschuldner, wobei sich der Ausgleich im Innenverhältnis nach der relativen Verantwortlichkeit für den Schaden bemessen soll. Diesbezüglich will der Kommissionsvorschlag allerdings den Kronzeugen doppelt privilegieren: Zum einen soll dieser für Schäden, die andere als seine unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer oder Lieferanten erlitten haben, nur haften, wenn der Geschädigte von den anderen Kartellanten keinen vollständigen Schadensersatz erwirken kann. Zum anderen soll sein Ausgleichsbeitrag im Innenverhältnis auf den Schaden seiner unmittelbaren oder mittelbaren Abnehmer begrenzt sein. Der Rat hingegen hält eine doppelte Privilegierung für nicht erforderlich, um die Attraktivität der Kronzeugenprogramme zu gewährleisten. Nach seiner Vorstellung soll deshalb die Privilegierung im Innenverhältnis entfallen und dafür die Privilegierung im Außenverhältnis auch auf die eigenen unmittelbaren und mittelbaren Abnehmer erweitert werden. Der Ausschuss für Wirtschaft und Währung folgt dem Kommissionsvorschlag, spricht sich aber gleichzeitig für eine besondere Haftungsprivilegierung für kleine und mittlere Unternehmen aus.

Und was noch?

Die Vorschrift zu den Sanktionen (Art. 8) will der Rat erheblich verschlanken. Sie soll vor allem nicht mehr den Hinweis enthalten, dass als Sanktion für das Verhalten einer Partei im Schadensersatzklageverfahren die Gerichte den betreffenden Beweis als erbracht ansehen, Ansprüche oder Einwände zurückweisen oder die Partei zur Kostentragung verpflichten können.

Einzelstaatliche Entscheidungen von Wettbewerbsbehörden oder Rechtsbehelfsgerichten, die eine Zuwiderhandlung feststellen, sollen nach der Vorstellung des Rates nicht mehr grenzübergreifen verbindlich, sondern als Beweismittel zu akzeptieren sein (Art. 9). Einigkeit besteht hingegen darüber, dass eine Bindungswirkung der Feststellung des Kartellrechtsverstoßes durch eine Wettbewerbsbehörde oder ein Rechtsbehelfsgericht für das mit der Schadensersatzforderung befasste Zivilgerichte statuiert werden soll.

Die Verjährungsfrist setzt der Kommissionsvorschlag auf „mindestens 5 Jahre“ fest, was aus Klägersicht zu begrüßen wäre. Nach der Vorstellung des Rates soll die Frist hingegen auf „mindestens 3 Jahre“ reduziert werden. Ansonsten bleibt es bei dem Vorschlag der Kommission, dass die Verjährung erst mit Kenntnis des schadensbegründenden Verhaltens, des durch die Zuwiderhandlung entstandenen Schadens und der Identität des Rechtsverletzers sowie nicht vor Beendigung der Zuwiderhandlung beginnt und durch ein kartellbehördliches Verfahren gehemmt werden kann, wobei die Hemmung frühestens ein Jahr, nach Vorstellung des Ausschusses für Wirtschaft und Währung zwei Jahre, nach Verfahrensbeendigung enden soll. Die Kenntnis der Einstufung des Verhaltens als Kartellrechtsverstoß soll nach dem Kompromissvorschlag des Rates für den Beginn der Verjährung hingegen nicht mehr erforderlich sein. Bedauerlich ist an dieser Stelle, dass keines der Dokumente anspricht, wie der Innenausgleichsanspruch der Kartellunternehmen untereinander verjährt, eine Frage, die sicherlich auch der Harmonisierung bedurft hätte.

Nach Art. 12 soll dem Beklagten der Einwand der Schadensabwälzung (sog. Passing-on-defence-Einwand) ermöglicht werden, der nach der Vorstellung des Rates uneingeschränkt gelten soll. Für mittelbare Abnehmer stellt Art. 13 eine Vermutung für die Schadensabwälzung auf. Hierfür soll der mittelbare Abnehmer lediglich beweisen, dass der Beklagte eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht begangen hat, die Zuwiderhandlung einen Preisaufschlag für den unmittelbaren Abnehmer zur Folge hatte und er Waren oder Dienstleistungen erworben hat, die Gegenstand der Zuwiderhandlung waren oder aus solchen hervorgegangen sind oder solche enthielten. Nach dem Kompromissvorschlag des Rates soll sogar nur letzteres ausreichen. Welcher Teil des Preisaufschlags weitergegeben wurde, darf das Gericht schätzen.

Und schließlich ist auch Art. 16 erwähnenswert, der die unwiderlegbare Vermutung aufstellt, dass Kartelle Schäden verursachen.

Insgesamt tendiert der Kompromissvorschlag des Rates dazu, die Stellung privater Schadensersatzkläger etwas zu stärken, bleibt aber gleichzeitig der Grundlinie des Kommissionsvorschlags treu, mittels eines starken Kronzeugenschutzes die Attraktivität der Kronzeugenprogramme zu erhalten. Ob das Europäische Parlament bereit sein wird, die Position seines federführenden Ausschusses, wonach vor allem ein absoluter Schutz der Kronzeugenunterlagen nicht erforderlich sei, zu verteidigen, bleibt abzuwarten.

Ansprechpartner: Dr. Christian Jung/Anna Lesinska-Adamson

PS: Wenn Sie dieses Thema interessiert, schauen Sie gern noch hier.

 

 

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