Siegelbruch kann extrem teuer werden
Jahrelang hatten sich E.ON und die EU-Kommission darüber miteinander herumgestritten. Jetzt herrscht endlich Klarheit: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat der Kommission in letzter Instanz bestätigt, dass das Bußgeld von 38 Mio. Euro gegen E.ON wegen Siegelbruchs rechtmäßig war (EuGH, Urteil vom 22.11.2012 – Rs. C-89/11, „E.ON Energie AG / Kommission“). Das Gericht setzte damit einen Schlussstrich unter einen langjährigen Streit darüber, ob E.ON Kartellermittlungen der Kommission behindert hat, indem es in einen bei einer Durchsuchung versiegelten Raum eingedrungen war.
Der Stein des Anstoßes: Die Durchsuchungen der Kommission und der Siegelbruch
Vor knapp sechseinhalb Jahren sorgten die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt (BKartA) für reichlich Wirbel, als sie im Mai 2006 die Münchener Büroräume des Energieriesen E.ON durchsuchten. Der damalige Verdacht lautete, dass sich das Unternehmen mit Konkurrenten abgesprochen hatte, um die Energiepreise am Stromgroßhandelsmarkt – z. B. durch gezielte Zurückhaltung von Erzeugungskapazitäten – in die Höhe zu treiben.
Die zahlreichen Dokumente, die die Ermittler im Zuge der Durchsuchung sichergestellt hatten, wurden am Tag der Durchsuchung in einen separaten Büroraum am Standort verbracht, der den Ermittlern von E.ON zur Verfügung gestellt worden war. Die Tür dieses Raums wurde mit einem amtlichen Siegel der Kommission verschlossen und die Versiegelung durch Protokoll dokumentiert. Am folgenden Tag stellten die Ermittler fest, dass das Siegel beschädigt war. War jemand in den fraglichen Raum eingedrungen, um kompromittierendes Material beiseite zu schaffen?
Die Historie des Siegelbruch-Streits: Ein Drama in drei Akten
Nach den Durchsuchungen leitete die Kommission gegen E.ON ein Kartellverfahren wegen der vermuteten Marktmanipulationen ein. In diesem Verfahren konnte E.ON jedoch die Verhängung eines Bußgelds abwenden, weil sich das Unternehmen – auf der Grundlage einer bindenden Zusagenentscheidung (Kommission, Entscheidung vom 26.11.2008 – Az. COMP/39.388, „Deutscher Stromgroßhandelsmarkt“) – bereit erklärt hatte, einen Teil seiner Erzeugungskapazitäten sowie das Übertragungsnetz in Deutschland zu veräußern.
Parallel zu jenem Kartellverfahren leitete die Kommission zudem ein Bußgeldverfahren gegen E.ON ein wegen des Verdachts des Siegelbruchs, in dem sich E.ON mit verschiedenen Begründungen verteidigte: Zunächst mutmaßte E.ON, das fragliche Siegel sei von vorneherein schadhaft gewesen, habe sich von selbst aufgelöst bzw. sei schon zu alt gewesen. Hierüber wurden im Bußgeldverfahren mehrere Gutachten eingeholt, welche die These von E.ON allerdings nicht überzeugend belegen konnten. Dann stellte E.ON die Vermutung auf, dass die Beschädigung durch Putzarbeiten oder aber als Folge von Erschütterungen im Nebenraum durch das Verschieben von Möbelstücken entstanden sein könnte. Da auch diese Erklärungen die Kommission nicht davon überzeugte, dass das Siegel auf andere Weise als durch Bruch beschädigt worden sein könnte, setzte sie Anfang des Jahres 2008 gegen das Unternehmen eine Geldbuße von 38 Mio. Euro wegen Siegelbruchs fest (Kommission, Entscheidung vom 30.01.2008 – Az. COMP/B-1/39.326, „E.ON Energie AG“).
Schon in erster Instanz blieb die hiergegen gerichtete Klage von E.ON beim Europäischen Gericht (EuG) erfolglos (EuG, Urteil vom 15.12.2010 – Rs. T-141/08, „E.ON Energie AG / Kommission“). Das EuG bestätigte, dass Kommissionsbeamte im Rahmen von Ermittlungen grundsätzlich befugt sind, Betriebsräume und Unterlagen solange und in dem Maße zu versiegeln, wie es für die Nachprüfung erforderlich ist, und dass gegen Unternehmen, die derartige Siegel brechen, eine Geldbuße von bis zu 1 Prozent des im vorangegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes festgesetzt werden kann.
Der EuGH sieht das auch so und führt aus weiter: Weder habe das EuG in unzulässiger Weise die Beweislast umgekehrt noch gegen die Unschuldsvermutung verstoßen. Vielmehr war es aufgrund der zahlreichen, von der Kommission vorgebrachten Beweise für einen Siegelbruch an E.ON, diese Feststellung zu erschüttern, was dem Unternehmen jedoch nach Meinung der Richter nicht gelungen war. Insbesondere genügte es dem EuGH nicht, den Beweiswert des fraglichen Siegels durch die bloße Möglichkeit eines Mangels desselben in Frage zu stellen.
Auch dass das EuG die von der Kommission verhängte Geldbuße nicht herabgesetzt hatte, war nach EuGH-Meinung rechtlich nicht zu beanstanden, weil die Behinderung von Ermittlungen durch einen Siegelbruch ihrem Wesen nach besonders schwer wiege. Insbesondere sei eine Geldbuße in Höhe etwa 0,14 Prozent des Jahresumsatzes im Hinblick auf die intendierte Abschreckungswirkung nicht überhöht. Die im Raume stehenden wettbewerbswidrigen Praktiken hätten – so die Begründung – zu einer Geldbuße in Höhe von 10 Prozent des Jahresumsatzes führen können.
Fazit: Gute Erklärungen haben
Wie der Siegelbruch-Fall eindrucksvoll belegt, nimmt die Kommission Versuche, die Kartellverfolgung zu behindern, ernst und ahndet hart. Man lässt sich nicht bei den Ermittlungen ins Werk pfuschen, und zwar unabhängig davon, ob E.ON im konkreten Fall tatsächlich Untersuchungsmaterial aus dem versiegelten Aktenraum entfernt hat oder nicht.
Abseits dessen lassen sich aber aus dem Siegelbruch-Fall weitere wichtige Lehren ziehen: Nicht stichhaltige Erklärungen können das Image eines Unternehmens in der Öffentlichkeit weitaus mehr ramponieren als die Verhängung eines Bußgelds selbst. Oder um es mit dem irischen Schriftsteller Jonathan Swift zu sagen: „Eine faule Ausrede verringert das Gewicht aller guten Gründe, die man schon vorgebracht hat.“
Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Dörte Fouquet/Dr. Tigran Heymann
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