Schiedsgerichte, der EuGH und die Vattenfall-Klage in Sachen Atomausstieg

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EU-Mitgliedsstaaten dürfen in Investitionsschutzverträgen untereinander (sog. Intra-EU-BITs) keine Schiedsgerichte vereinbaren. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf eine Vorlage (v. 3.3.2016, Az. I ZB 2/15) des Bundesgerichtshofs (BGH) hin entschieden (Urt. v. 6.3.2018, Az. C-284/16). Die Entscheidung könnte nun maßgeblichen Einfluss auf die Schadensersatzklage Vattenfalls (wir berichteten) wegen des Atomausstiegs (wir berichteten) gegen die Bundesrepublik haben.

Was sind Intra-EU-BITs, wer hat sie und wer hat was dagegen?

EU-interne „Bilateral Investment Treaties“, abgekürzt Intra-EU-BITs, sind Investitionsschutzabkommen zwischen zwei Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (insofern nicht mit den umstrittenen Freihandelsabkommen CETA und TTIP zu verwechseln). Sie sollen es ausländischen Unternehmen erleichtern, in den nationalen Markt zu investieren. Dazu schreiben viele Intra-EU-BITs vor, im Streitfall statt den ordentlichen Gerichten Schiedsgerichte anzurufen.

Insgesamt beläuft sich die Zahl der Intra-EU-BITs auf stolze 196. Eine Vielzahl dieser Abkommen wurde bereits kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit osteuropäischen Staaten geschlossen, die ihren Markt für west- und mitteleuropäische Investoren öffnen wollten und damals bekanntlich noch nicht der EU angehörten. Deutschland ist an zehn dieser Abkommen beteiligt.

Die Europäische Kommission versucht dagegen bereits seit Längerem vorzugehen. Im Sommer 2015 hatte die Kommission ihre Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, ihre EU-internen BITs aufzukündigen, und gegen fünf Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Aus Sicht der Kommission sollte statt bilateraler Schiedsgerichte ein multilateraler Gerichtshof über Investitionsstreitigkeiten entscheiden. Im vergangenen September hatte sie den Rat aufgefordert, die Aufnahme von Verhandlungen darüber zu beschließen.

Das Verfahren vor dem EuGH

Der EuGH hat sich nun Anfang März positioniert und weicht dabei sogar – was er nur sehr selten tut – von dem Schlussantrag des Generalanwalts ab. Es ging dabei um einen BIT zwischen den Niederlanden und der Slowakei. Auf der Grundlage dieses Abkommens hatte ein niederländischer Anbieter von privaten Krankenversicherungen gegen die Slowakei Schadensersatz in Höhe von 22,1 Mio. Euro erstritten, da er glaubhaft machen konnte, durch gesetzliche Maßnahmen der Slowakei einen Schaden erlitten zu haben. Entschieden hatte dies Dezember 2012 ein Schiedsgericht auf Basis der Schiedsklausel in dem Abkommen der beiden Staaten. Das Schiedsgericht hatte seinen Sitz in Frankfurt am Main, daher hatte die Slowakei gegen seine Zuständigkeit vor deutschen Gerichten geklagt. Der BGH legte dem EuGH die Frage vor, ob die Klausel über eine Schiedsgerichtsbarkeit zwischen den beiden (mittlerweile) EU-Staaten mit EU-Recht, insbesondere den Art. 18, 267 und 322 AEUV, vereinbar ist.

Das ist sie nicht, so der EuGH. Der Binnenmarkt der Mitgliedstaaten ist geltendem EU-Recht unterworfen, somit wendet ein Schiedsgericht zwangsläufig dieses Recht an und legt es auch aus. Ein Schiedsgericht habe jedoch nicht den Status eines Gerichtes nach Art. 267 AEUV und kann nicht wie die Gerichte der Mitgliedstaaten den EuGH zu Auslegungsfragen geltenden EU-Rechts befragen. Allein schon dadurch sei die volle Wirksamkeit des EU-Rechts durch Schiedsgerichte nicht zu gewährleisten. Die Autonomie des Unionsrechts sei durch die Schiedsgerichte maßgeblich beeinträchtigt.

Was bedeutet das Urteil für die Zukunft der Intra-EU-BITs?

Die Investitionsabkommen zwischen den einzelnen EU-Staaten sind damit keinesfalls nichtig. Einzig die etwaigen Schiedsgerichtsvereinbarungen in diesen Abkommen sind wohl europarechtswidrig. Das wird aller Voraussicht nach maßgeblichen Einfluss auch auf solche, noch laufende Schiedsverfahren haben, die ihre Grundlage in Intra-EU-BITs haben. So werden diese Schiedsverfahren sicherlich noch zu Ende geführt, aber es dürfte problematisch werden, den eventuell zugesprochen Schadensersatz durchzusetzen. Denn der vom Schiedsgericht verurteilte Staat wird sich regelmäßig mit Bezug auf das erläuterte Urteil weigern, ihn zu bezahlen.

Für die Bundesrepublik kommt das Urteil damit gerade zur rechten Zeit. Der schwedische Energiekonzern Vattenfall macht gegenwärtig Schadensersatzansprüche in Höhe von fast 5 Mrd. Euro vor einem Schiedsgericht geltend. Grund dafür ist der von der Bundesregierung veranlasste Atomausstieg. Das Urteil findet keine direkte Anwendung auf den Energie Charta Vertrag (ECT), da sich der EuGH in der Entscheidung ausdrücklich nur auf BITs bezieht. Zudem ist die EU selbst Vertragspartnerin des multilateralen ECT und dürfte kaum Interesse daran haben, dass auch andere Vertragsstaaten beginnen, die durch den ECT gewährten Rechtspositionen zu relativieren. Die Europäische Kommission wird vermutlich weiter ihre bereits vor dem Urteil generell seit einiger Zeit als amicus Curiae geäußerte restriktive Sicht weiter vertreten und sich bestärkt fühlen.

Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet/Dr. Tigran Heymann/Carsten Telschow

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