Schranken für große Internetunternehmen und Entlastung des Mittelstands: Der Gesetzesentwurf zur 10. GWB-Novelle

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Am 9.9.2020 veröffentlichte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) den Kabinettsentwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Lange ließ der Gesetzesentwurf – wohl auch Covid-19 bedingt – auf sich warten. Das neue GWB soll einerseits große Internetunternehmen einer verschärften Marktmissbrauchskontrolle unterwerfen und andererseits den Mittelstand erheblich entlasten und diesem mehr Rechtssicherheit für Kooperationen geben. Ferner soll auch die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen weiter erleichtert werden.

Ein Blick zurück auf den Referentenentwurf

Wir hatten die 10. GWB-Novelle, das sog. GWB-Digitalisierungsgesetz, bereits anlässlich der Veröffentlichung des Referentenentwurfes des BMWi  (RefE) im Januar vorgestellt. Hier sind noch einmal die wichtigsten bevorstehenden Neuerungen am Kartellgesetz auf einen Blick:

  • Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung unter Berücksichtigung des Zugangs zu wettbewerbsrelevanten Daten (zielt insbesondere auf marktstarke Stellungen in Plattform- und Netzwerkmärkten);
  • Einführung eines Zugangsanspruchs für Unternehmen zu wettbewerbsrelevanten Daten Dritter;
  • diverse Erleichterungen der einstweiligen Maßnahmen der Kartellbehörden;
  • Mehr Rechtssicherheit bei Kooperationsvorhaben: Einführung eines Anspruchs auf ein sog. Vorsitzendenschreiben;
  • Zusammenschlusskontrolle: Anhebung der Inlandsumsatzschwellen u.a.;
  • Ministererlaubnis: Künftig nur noch ausnahmsweise, wenn durch anderweitigen Rechtsschutz die Freigabe des Zusammenschlusses nicht zu erreichen ist;
  • Grundlegende Änderungen zum Verfahrensrecht: Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Wettbewerbsbehörden (Umsetzung der ECN+ Richtlinie );
  • Kartellschadensersatzrecht: widerlegbare gesetzliche Vermutung für die Kartellbetroffenheit von Geschädigten;
  • Zuständigkeit: Für die Durchsetzung des europäischen Kartellrechts soll zukünftig nur das Bundeskartellamt (BKartA) und nicht mehr auch die jeweils oberste Landesbehörde zuständig sein.
  • Bußgeldrecht: neue Regelungen zur Zumessung (unter anderem Berücksichtigung von effektiven Compliance-Maßnahmen).

Was hat sich im jetzigen Gesetzesentwurf geändert?

Im Gesetzesentwurf neu hinzugekommen sind u.a. diverse Änderungen zu den Regelungen der Zusammenschlusskontrolle, zu den Kronzeugenregelungen und zum Wettbewerbsregistergesetz (WRegG).

Zusammenschlusskontrolle: Die neuen Umsatzschwellen werden weiter angehoben. § 35 Abs.1 Nr. 2 GWB sieht nun vor, dass die Zusammenschlusskontrolle erst bei Inlandsumsatzerlösen eines beteiligtes Unternehmens von mehr als 30 Mio. Euro und eines anderen beteiligten Unternehmens mit Umsatzerlösen von mehr als 10 Mio. Euro im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss anwendbar ist.

Auch der umstrittene § 39a GWB (Aufforderung zur Anmeldung künftiger Zusammenschlüsse) hat weitere tiefgreifende Änderungen erfahren. So soll das BKartA Unternehmen nicht nur „auffordern“, sondern diese sogar zur Anmeldung des Zusammenschlusses „verpflichten“ können. Die Verschärfung hin zu einer Pflicht wird allerdings durch die Ergänzung des § 39a Abs. 3 GWB relativiert, der eine vorherige Sektoruntersuchung nach § 32e GWB zur Bedingung macht. Darüber hinaus wurden die Schwellen in § 39a Abs. 1 GWB erhöht. So bedarf es für eine Verpflichtung zukünftig unter anderem weltweiter Umsatzerlöse des Erwerbers im letzten Geschäftsjahr von mehr als 500 Mio. Euro (im RefE waren noch 250 Mio. Euro vorgesehen) und einen Marktanteil in Deutschland von mindestens 15 Prozent am Angebot oder an der Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen. Mit der Neuregelung will der Gesetzgeber ein frühes Tätigwerden der Kartellbehörde ermöglichen, bevor in bestimmten Märkten eine marktbeherrschende Stellung großer Unternehmen entsteht. Wichtig ist zudem die Anpassung im § 39a Abs. 4 GWB, der nunmehr eine dreijährige Anmeldepflicht ab „Zustellung der Entscheidung“ vorsieht, der RefE stellte noch auf die „Bestandskraft der Entscheidung“ ab.

Schließlich ermöglicht der neue § 186c GWB, dass unter bestimmten Voraussetzungen Zusammenschlussvorhaben im Krankenhausbereich von der Zusammenschlusskontrolle ausgenommen werden.

Kronzeugenregelungen: Neben weiteren Präzisierungen des Gesetzestexts wurde § 81i Abs. 1 und Abs. 3 GWB zum Antrag auf Kronzeugenbehandlung ergänzt. Danach muss der Antrag neben detaillierten Informationen zu allen in § 81m Abs. 1 S. 2 GWB aufgelisteten Angaben entsprechende Beweismitteln beinhalten. Der jetzige Entwurf ermöglicht nun auch, den Antrag nicht nur schriftlich, sondern nach § 32a StPO auch elektronisch zu stellen. § 81l Abs. 3 GWB wurde dementsprechend ergänzt, dass bei der Ermäßigung der Geldbuße auch die umfassende Mitwirkung von Kartellbeteiligten berücksichtigt werden kann, wenn sie erstmalig  stichhaltige Beweise übermitteln. Wichtig ist zudem die ergänzende Klarstellung in § 81n GWB zum Kurzantrag, der neben weiteren Grundinformationen zur Tat und auch die Angabe der Kartellbeteiligten beinhalten muss.

Wettbewerbsregistergesetz: Die Ergänzungen im Wettbewerbsregistergesetz sollen zum einen die Identifizierung der Unternehmen und natürlichen Personen verbessern, die in das Register einzutragen sind. Zum anderen konkretisieren sie die bereits vorhandenen Regelungen zur Auskunftserteilung an Unternehmen oder natürliche Personen, vor allem um sensible Daten zu schützen und um die Belastung von Unternehmen und der Registerbehörde zu reduzieren. So wird nun vorgesehen, dass die Erteilung einer Selbstauskunft regelmäßig nur einmal im Jahr beantragt werden kann und gebührenpflichtig ist. Unberührt hiervon bleibt jedoch ein Auskunftsantrag nach der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO).

Fazit

Die Anhebung der Umsatzschwellen der Zusammenschlusskontrolle und der Anspruch auf eine Einschätzung zur Freistellungsfähigkeit von Kooperationsvorhaben werden voraussichtlich vor allem den Mittelstand tatsächlich entlasten und Rechtssicherheit schaffen. Andere Regelungen, insbesondere diejenigen zur Kontrolle von marktmächtigen Internetunternehmen, sind sehr umstritten. Sie werden gleichermaßen als zu weitgehend wie auch als zu mild kritisiert. Hier bleibt die Anwendungspraxis abzuwarten. Die Änderungen der 10. GWB-Novelle sollen überwiegend am Tag nach der Verkündung in Kraft treten, um das Gesetzesvorhaben zu beschleunigen und bis zum 4.2.2021 eine rechtzeitige Richtlinienumsetzung zu gewährleisten. Zunächst wird das Gesetz aber noch dem Bundestag und Bundesrat zur Beschlussfassung zugeleitet.

Ansprechpartner*innen: Dr. Tigran Heymann/Dr. Holger Hoch

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