Bidirektionales Laden als Schlüssel für die Energiewende

Elektroautos sollen in Zukunft nicht nur als Fortbewegungsmittel dienen, sondern auch als flexible Stromspeicher. Diese Vision wurde beim zweiten Europäischen Gipfel zum bidirektionalen Laden am 23. Oktober im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in Berlin bekräftigt. Auch die Wirtschaft bleibt nicht untätig und präsentierte bereits entsprechende Pilotprojekte. In Fällen des bidirektionalen Ladens wird Strom aus dem Netz bezogen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder in das Netz zurückgespeist (Vehicle to grid – V2G) oder im eigenen Haushalt verwendet (Vehicle to home – V2H). Der Gipfel im BMWK zielt darauf ab, bereits ab 2025 die Grundlagen für eine breite Nutzung dieser Technologie zu schaffen.

Netzstabilisierung durch bidirektionales Laden

Elektroautos könnten somit künftig in großer Anzahl Strom aus dem Netz aufnehmen, speichern und in Zeiten hoher Nachfrage wieder zurückspeisen. Diese Flexibilität macht sie angesichts des wachsenden Anteils erneuerbarer Energien wie Solar- und Windkraft, die naturgemäß wetterabhängig und damit unregelmäßig einspeisen, zu einer wertvollen Ressource. Elektroautos als flexible Stromspeicher zu nutzen, kann somit potentiell zur Netzstabilisierung beizutragen, indem überschüssiger Strom in Zeiten hoher Erzeugung gespeichert und bei Bedarf zurück ins Netz eingespeist werden kann (V2G). Darüber hinaus können beispielsweise Besitzer von PV-Anlagen ihren Eigenverbrauch erhöhen und damit Kosten sparen, indem sie abends jenen Strom nutzen können, den sie tagsüber im Elektrofahrzeug zwischengespeichert haben (V2H). Auch können Endnutzer mit bidirektional ladenden Elektrofahrzeugen vermehrt von variablen und dynamischen Stromtarifen profitieren und so ihre Stromkosten optimieren. Dies setzt jedoch eine umfangreiche Infrastruktur voraus und erfordert klare gesetzliche Rahmenbedingungen.

Europäischer Gipfel zum bidirektionalen Laden

Ein Jahr nach dem ersten Gipfel zum bidirektionalen Laden überreichte daher auch die Europäische Industriekoalition „Coalition of the Willing“ konkrete Ergebnisse: Rund 60 Unternehmen haben knapp 40 relevante Datenpunkte und Schnittstellen identifiziert, durch diese das bidirektionale Laden erfolgreich umgesetzt werden kann. Dadurch soll die Technologie bereits bis 2025 eingeführt werden können. Die Teilnehmer des Gipfels formulierten dabei zahlreiche Anforderungen:

  • Einfachere Netzzugangsregeln: Die Rückspeisung dürfe nicht durch übermäßige Gebühren oder komplizierte Abrechnungsmodelle belastet werden.
  • Rechtliche Testfelder: Um Erfahrungen mit der Technologie zu sammeln, sollen praktische Testumgebungen geschaffen werden.
  • Wirtschaftliche Anreize: Die Rückspeisung müsse finanziell attraktiv gestaltet werden, um sowohl Nutzer als auch Investoren anzuziehen.

Darüber hinaus wurde die Notwendigkeit eines klar definierten Rechtsrahmens hervorgehoben, um die Rechte und Pflichten aller Beteiligten zu regeln. Letztlich wurden zudem Schritte zur Einführung bidirektionaler Ladeinfrastrukturen präsentiert. So sollen zunächst technische und regulatorische Grundlagen geschaffen, sodann eine verfügbare und bezahlbare Infrastruktur aufgebaut sowie letztlich die Marktintegration und Nutzerakzeptanz gefördert werden.

Herausforderungen auf dem Weg zur Marktreife

Trotz dieser vielversprechenden Ansätze gibt es einige Hürden, die überwunden werden müssen. Um Millionen Elektrofahrzeugen zu vernetzten, braucht es aufgrund der technischen Komplexität standardisierte Schnittstellen und eine rechtssichere Datenkommunikation. Insbesondere jedoch ist das bidirektionale Laden für Nutzer aufgrund der derzeitigen rechtlichen Rahmenbedingungen nur bedingt attraktiv; auch wenn damit bereits Kosten eingespart werden können. Beim bidirektionalen Laden kommt es nämlich grundsätzlich bezogen auf die rückgespeiste Energiemenge zu einem erneuten und damit „doppelten“ Anfall von Netzentgelten, Stromsteuer und Konzessionsabgaben, wenn die zurückgespeiste Energie später erneut ausgespeist wird. Diese Doppelbelastung führt dazu, dass bidirektionales Laden derzeit wirtschaftlich oft nicht profitabel ist. Für Umlagen schafft daher § 21 EnFG eine Ausnahme.

Wegfall von Doppelbelastungen

Einen Wegfall der Doppelbelastungen fordert jedoch bereits der europäische Gesetzgeber. So legt Artikel 15 Abs. 5 der Strommarktrichtlinie 2019/443 fest, dass „aktive Kunden, in deren Eigentum sich eine Speicheranlage befindet, […] für gespeicherte Elektrizität, die an Ort und Stelle verbleibt, oder, wenn sie für Netzbetreiber Flexibilitätsdienstleistungen erbringen, keiner doppelten Entgeltpflicht und damit auch keiner doppelten Netzentgeltpflicht unterworfen[…]“ sein sollen.

Auch § 1a Abs. 3 EnWG ordnet an, dass mit der Integration von Ladeinfrastruktur für Elektromobile in das Elektrizitätsversorgungssystem, die Kosten der Energieversorgung verringert werden sollen, damit die Transformation zu einem umweltverträglichen, zuverlässigen und bezahlbaren Energieversorgungssystem ermöglicht wird. Insbesondere das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage soll flexibler werden, indem das Speichern und bidirektionale Laden stärker eingebunden wird.

Gesetzentwurf zur Stromsteuer

Der Bundesgesetzgeber sollte vor diesem Hintergrund dringend gesetzgeberisch tätig werden. Der Gesetzgeber hat das Thema bidirektionales Laden zuletzt in einem Gesetzentwurf zur Stromsteuer vom 24.05.2024 (BT Drs. 20/12351) aufgegriffen. Zukünftig sollen Nutzer beim bidirektionalen Laden in engen Anwendungsfällen mangels Versorgereigenschaft keine Stromsteuer zahlen müssen. Darüber hinaus sind jedoch bislang – über § 21 EnFG betreffend die Netzumlagen – keine konkreten Ansätze erkennbar, dass die sonstigen Doppelbelastungen in Fällen bidirektionalen Ladens abgeschafft werden. Wirtschaftlicher bedeutend ist hierbei insbesondere der doppelte Anfall von Netzentgelten. Während stationäre Stromspeicher derzeit über § 118 Abs. 6 EnWG von einer Netzentgeltpflicht befreit sein können, ist für mobile Anlagen zur Speicherung elektrischer Energie, bei denen gespeicherte elektrische Energie zeitlich verzögert wieder als elektrische Energie abgegeben wird, keine Netzentgeltreduzierung im Gesetz verankert.

Um bidirektionales Laden praktisch umzusetzen, ist darüber hinaus zwingend ein digitales Signal notwendig, um die Rückspeisung vornehmen zu können. Zudem ist ein energierechtlich anerkannten Messkonzepts mit einer 2-Zähler-Lösung erforderlich, um den messtechnischen Aufwand gering zu halten und insbesondere bei mehreren Erzeugungssituationen (z. B. V2G und PV-Einspeisung) eine flexible Umsetzung sicherzustellen. Um wettbewerbliche Anreize zu setzen, könnte der Gesetzgeber letztlich auch ermöglichen, dass Unternehmen aggregiert dezentrale Flexibilitäten durch bidirektional ladende Fahrzeuge beschaffen.

„Win-Win-Situation“

Die Zukunft des bidirektionalen Ladens sieht vielversprechend aus. Indem bidirektional ladende Elektrofahrzeuge in der Lage sind, Energie zu speichern und bei Nachfrage wieder abzugeben, können sie mit der richtigen Infrastruktur, klaren regulatorischen Rahmenbedingungen und attraktiven Geschäftsmodellen zu einem integralen Bestandteil des Energiesystems werden und insbesondere die Integration erneuerbarer Energien erleichtern. In den Worten von Wirtschaftsminister Habeck auf dem zweiten Gipfel zum bidirektionalen Laden kann so eine „Win-Win-Situation“ für alle Beteiligten entstehen.

Es bleibt jedoch nicht zuletzt angesichts der bevorstehenden vorgezogenen Neuwahlen abzuwarten, ob die zukünftige Regierung das bidirektionale Laden flächendeckend einführen wird und wie schnell sich bidirektionales Laden entsprechend als Standard etablieren kann. Klar ist jedoch: Die Technologie hat das Potenzial, die Nutzung erneuerbarer Energien effizienter und wirtschaftlicher zu gestalten – für Netzbetreiber, Nutzer und Umwelt.

Ansprechpartner:innen: Dr. Christian de Wyl/Dr. Martin Altrock/Dr. Roman Ringwald/Rosa Krecek

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