Das Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes rückt näher!

Am 28.06.2025 ist es so weit: Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) tritt in Kraft. Dieses Gesetz verpflichtet Unternehmen – unabhängig von ihrer Rechtsform oder den (kommunalen) Beteiligungsverhältnissen – zur Erfüllung von Barrierefreiheitsanforderungen für abschließend festgelegte digitale Produkte und Dienstleistungen. Besonders relevant sind dabei die Vorgaben für „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“, worunter Webseiten und Apps fallen, über die Verbraucher Verträge abschließen können. Im Ergebnis sind der Online-Verkauf sämtlicher Produkte und Dienstleistungen sowie die Vertragsanbahnung vom BFSG erfasst und müssen barrierefrei ausgestaltet werden. Die Bereitstellung von Informationen zu Produkten und Tarifen, eines Terminvereinbarungstools oder von Formularen zum Vertragsabschluss kann genügen. Die gesetzlichen Anforderungen sind vielschichtig und in weiten Teilen auslegungsbedürftig. Sie stellen die Verpflichteten daher vor einige Herausforderunge. Welche Risiken drohen tatsächlich bei fehlerhafter oder fehlender Umsetzung?

Mögliche Maßnahmen der Marktüberwachungsbehörde

Die Umsetzung der Vorgaben des BFSG soll von den Marktüberwachungsbehörden der Länder kontrolliert werden. Nach derzeitigem Stand wird eine zentrale Marktüberwachungsbehörde für sämtliche Bundesländer eingerichtet werden, welche die Aufgaben nach dem BFSG übernimmt. Der künftigen Marktüberwachungsbehörde werden Instrumente in unterschiedlicher Intensität zur Verfügung stehen. So kann die Marktüberwachungsbehörde bei fehlender oder fehlerhafter Umsetzung Bußgelder von 10.000€ – in schweren Fällen sogar bis zu 100.000€ – verhängen. Als letztes Mittel kann sie (nach Durchlaufen eines Verwaltungsverfahrens und erfolglosem Ablauf der gesetzten Fristen) die Bereitstellung der Produkte auf dem Markt oder die Erbringung von Dienstleistungen untersagen. Für Unternehmenswebseiten droht damit die Abschaltung.

Wettbewerbsrechtliche Abmahnung?

Verstöße gegen das BFSG können gleichzeitig Verstöße gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) darstellen. Denn es ist denkbar, dass die BFSG-Pflichten sogenannte Marktverhaltensregeln darstellen, deren Missachtung gemäß § 3a UWG unlauter ist. Bei Vorliegen zusätzlicher Voraussetzungen könnten Wettbewerber daher Abwehr-, Schadensersatz- und Gewinnabschöpfungsansprüche geltend machen. Wie die Gerichte dies beurteilen werden, ist jedoch noch nicht absehbar.

Zivilrechtliche Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche?

Auch zivilrechtliche Rechtsfolgen sind bei Verstößen gegen das BFSG denkbar. So kann die fehlende Barrierefreiheit eines Produkts einen Sachmangel im Sinne des Gewährleistungsrechtes darstellen. Damit können nicht BFSG-konforme Produkte sämtliche Mängelgewährleistungsrechte wie Nacherfüllungspflichten, Rücktritts- und Minderungsrechte sowie Schadensersatzansprüche auslösen. Für die rechtliche Bewertung ist zu berücksichtigen, dass bei der Erbringung von Dienstleistungen die zugrundeliegenden Verträge mit Verbrauchern in der Regel nicht als Kaufvertrag, sondern als Dienstvertrag einzuordnen sind. Bei Verstößen gegen das BFSG ist nicht ausgeschlossen, dass die betroffenen Verbraucher Schadensersatzansprüche geltend machen werden, wobei auch hier offene Rechtsfragen im Laufe der Zeit durch die Gerichte abschließend geklärt werden müssen.

Nichtigkeit von Verträgen?

Unternehmen haben die Frage aufgeworfen, ob Verträge, die über eine Webseite oder App zustande kommen, welche die BFSG-Anforderungen nicht erfüllt, nichtig sein könnten. Diese gravierende Rechtsfolge ist weder im BFSG ausdrücklich vorgesehen noch entspricht sie wohl dem Willen des Gesetzgebers.

Die Nichtigkeit von Verträgen käme derzeit nur dann in Betracht, wenn es sich bei den Vorgaben des BFSG um Verbotsnormen im Sinne von § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) handeln würde. Nach BGH-Rechtsprechung muss die fragliche Norm dabei nicht unbedingt ein ausdrückliches Verbot aussprechen; es genügt vielmehr, wenn das Verbot aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes folgt. Zweck des BFSG ist die Ermöglichung einer inklusiven Gesellschaft durch besser zugängliche Produkte und Dienstleistungen. Die Nichtigkeit sämtlicher online abgeschlossenen Verträge wäre aber weder im Sinne der Verbraucher noch von Menschen mit Behinderungen. Die Nichtigkeit der Verträge würde damit sogar den Interessen des Personenkreises zuwiderlaufen, die das BFSG schützen möchte.

Was tun?

Bereits das BFSG selbst enthält Sanktionsmöglichkeiten für Verstöße sowie Instrumente zu deren behördlicher und gerichtlicher Durchsetzung. Doch auch aus anderen Rechtsgebieten kann eine unzureichende oder fehlerhafte Umsetzung des BFSG zu unangenehmen Folgen für die betroffenen Unternehmen führen. Diese Folgen sind vermeidbar, wenn Unternehmen sich mit den für sie bestehenden Pflichten, Ausnahmeregelungen und tatsächlichen Folgen im Falle der Nichteinhaltung der Vorgaben auseinandersetzen und ihre Produkte und Dienstleistungen an die Anforderungen des BFSG spätestens bis dieses am 28.06.2025 in Kraft tritt anpassen.

Ansprechpartner*innen: BBH: Dr. Michael Weise/Thomas Schmeding/Agnes Eva Müller/Jasmin Tejkl
BBHC: Olivia Schatz

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