Stromkabel, Stromzähler, Handschuhe

Der Koalitionsvertrag unter der Lupe – heute: der Industriestrompreis

Seit dem 9.4.2025 steht der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD. Unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ wird darin auf 144 Seiten bzw. innerhalb 4.588 Zeilen die politische Agenda der Regierung in der 21. Legislaturperiode aufgestellt. In Zeile 963 steht das Wort „Industriestrompreis“, eingeklammert am Ende eines Satzes. Juristisch geneigte Leser und Leserinnen könnten deshalb denken, dass es sich um eine Legaldefinition handelt. Dann wäre ein Industriestrompreis „im Rahmen der beihilferechtlichen Möglichkeiten eine besondere Entlastung“ für energieintensive Unternehmen, die nicht von der (erweiterten) Strompreiskompensation profitieren können. Trotz der im Übrigen stattlichen Länge des Koalitionsvertrages ist die Begriffsbestimmung in diesem Punkt unscharf. Schauen wir genauer hin.

Was ist eigentlich der „Industriestrompreis“?

Unter dem Begriff „Industriestrompreis“ kann und sollte man zunächst den Strompreis verstehen, den „die Industrie“ zahlt. Solche Preise findet man auf Statistikwebseiten. Bei genauerem Hinsehen fallen zwei Dinge auf. Erstens gibt es nicht „den“ Industriestrompreis, weil dieser u. a. von der Verbrauchsmenge abhängt. Und zweitens bildet er sich aus mehreren Komponenten, nämlich Commodity, Netzkosten und hoheitlich veranlassten Kostenbestandteilen wie Steuern oder Abgaben. Vereinfacht gesagt wird der Industriestrompreis immer geringer, je höher der Verbrauch wird, weil dann „Mengenrabatt“ im Commodity-Preis wirkt und zum Teil auch – bisweilen verbrauchsabhängige – Entlastungen bei den übrigen Preiskomponenten greifen.

Für die Energiewirtschaft und den Staat sind die Preiskomponenten natürlich interessant. Für ein Industrieunternehmen hingegen, das mit dem Strom Produkte herstellt, die danach mit anderen Produkten – ggf. international – konkurrieren müssen, sind die Kompetenten irrelevant. Entscheidend ist für die Unternehmen letztlich ein niedriger Gesamtpreis, also im Grunde ein Systempreis.

Wie der Industriestrompreis hierzulande bislang diskutiert wurde

Nicht erst in der letzten Legislaturperiode wurde unter dem Begriff „Industriestrompreis“ eine politische Diskussion geführt, ob und in welcher Höhe man der Industrie beim Strompreis unter die Arme greifen kann. Dieser Diskurs erschließt sich am besten aus dem Ziel heraus: Die Strompreise sollen „international wettbewerbsfähig“ sein. Das sind sie aber nicht, wenn sie mit hohen Netzkosten und Steuern bzw. Abgaben belastet werden, die andere Länder nicht haben. Ebenso wenig sind Strompreise wettbewerbsfähig, wenn sie an der deutschen Börse wesentlich durch den Gaspreis mitgeprägt werden – und dieser infolge des Ukrainekriegs astronomisch anstieg.

Es gab einige Initiativen unter dem Titel „Industriestrompreis“. Mal haben verantwortliche Politiker und Politikerinnen das Wort verwendet, mal explizit weggelassen. Bekommen hat die Industrie in Deutschland aber bislang keinen, anders als z.B. die Industrie in Frankreich mit dem sog. ARENH-Tarif des staatlichen Versorgers EDF. Stattdessen wurde bis jetzt punktuell in einigen Branchen abgeholfen, so z.B. im Rahmen der sog. Strompreiskompensation.

Was nun von dem Projekt Industriestrompreis zu erwarten ist

Damit bleibt die Frage, was die neue Regierung sich unter dem im Koalitionsvertrag angekündigten Industriestrompreis konkret vorstellt. In dem Abschnitt „Energiepreise“ (ab Zeile 955) setzt sie gleich bei den Netzkosten und der Stromsteuer an. Dadurch sollen die Preise für alle Verbraucher bereits „dauerhaft um mindestens fünf Cent pro kWh“ sinken. Einige Branchen (und künftig weitere) können weiterhin von der Strompreiskompensation profitieren. Für international konkurrierende Unternehmen sollen die indirekt im Strompreis eingepreisten CO2-Kosten ausgeglichen werden.

Der „Industriestrompreis“ soll jedoch gerade für Unternehmen gelten, die nicht von dieser Kompensation profitieren können. Und genau hier wird es schwierig. Denn die Strompreiskompensation ist eine Beihilfe, die unter eine entsprechende Leitlinie der Kommission fällt. Sie beruht auf einer Liste von Branchen, die im internationalen Wettbewerb stehen und nachweislich einem Abwanderungsrisiko ausgesetzt sind – das für die anderen angesprochenen energieintensiven Unternehmen bislang nicht festgestellt wurde. Damit müsste die Bundesrepublik einen anderen Weg finden, die Strompreise zu senken – nämlich einen Weg, den auch die Europäischen Kommission akzeptiert und der über den angedachten Netzentgeltzuschuss hinausgeht.

Alles eine Frage der Finanzierung

Schließlich stellt sich die Finanzierungsfrage. Im Sondierungspapier lässt sich für den Industriestrompreis keine Zahl ermitteln. Zu unklar sind Art, Weise, Berechtigtenkreis und Umfang. Klar ist hingegen, dass wirksame Entlastungen der energieintensiven Industrie schnell in die Milliardenhöhe gehen können. Doch woher soll das Geld kommen? Das inzwischen verabschiedete 100 Milliarden Euro schwere Sondervermögen Energie und Klima ist primär für Investitionen gedacht. Also das EDF-Modell mit einem staatlichen Versorger? Wohl eher nicht. Ein im staatlichen Auftrag gemanagtes Erzeugungsportfolio, das günstige Tarife anbietet? Resilienzboni für Unternehmen, die wir strategisch in Deutschland halten oder aufbauen wollen?

Viele Wege führen nach Rom – und manche vielleicht nach Brüssel. Deshalb ist es nicht überraschend, dass der Koalitionsvertrag bei der Umsetzung des Industriestrompreises vage bleibt. Der Wille ist aber da: Der Satz ist im Indikativ geschrieben, es gibt kein „Prüfen“ oder „Planen“, sondern ein selbstbewusstes „wir führen ein“. Wenn da nicht der rechtlich nicht zu beanstandende Zusatz „im Rahmen der beihilferechtlichen Möglichkeiten“ wäre. Bleibt zu hoffen, dass die Koalition einen geeigneten, auch von der Europäischen Kommission getragenen Weg findet, das Projekt „Industriestrompreis“ fliegen zu lassen. Denn gerade vor dem Hintergrund der weltwirtschaftlichen Herausforderungen dürfte – auch aus einer europäischen Perspektive – ein großes Interesse daran bestehen, dass die deutsche Wirtschaft in puncto Energiekosten wieder international wettbewerbsfähig wird.

Ansprechpartner:innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Markus Kachel/Jens Panknin/Dr. Christian Dessau

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