Ein Meilenstein der Gasnetztransformation: die Festlegung KANU 2.0 der BNetzA
Zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens hat sich die Bundesrepublik Deutschland die Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 zum Ziel gesetzt. Damit muss dann auch die erdgasbasierte Wärmeversorgung ihr Ende gefunden haben. Da die bestehende Infrastruktur in den Gasverteilernetzen zukünftig voraussichtlich nur teilweise für den Transport von Wasserstoff genutzt werden kann, werden große Teilen der Erdgasleitungsinfrastruktur ihre Funktion verlieren.
Die Kosten dieser Infrastruktur dürfen dann aber nicht in den verbleibenden Jahren vor 2045 den letzten vorhandenen Kunden auferlegt werden. Wie diese Transformation in der Netzentgeltberechnung abgebildet werden kann, hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) nun vorgegeben: Sie hat eine Festlegung zur Anpassung von kalkulatorischen Nutzungsdauern und Abschreibungsmodalitäten von Erdgasleitungsinfrastrukturen („KANU 2.0“, Az. GBK-24-02-2#1) erlassen.
I. Mit KANU 2.0 erfolgt nun das „große Update“ zu KANU 1.0
Bereits im November 2022 hatte die BNetzA mit einer Festlegung zu kalkulatorischen Nutzungsdauern von Erdgasleitungsinfrastrukturen („KANU 1.0“, Az. BK9-22/614) den ersten Schritt zur Anpassung der Abschreibungsmodalitäten getätigt. Die Regelungen ermöglichten eine schnellere Abschreibung allerdings nur für ab dem 1.1.2023 aktivierte Anlagen. Die Bestandsanlagen – und damit der Großteil des Anlagevermögens der Netzbetreiber – blieben außen vor. Mit diesen wollte sich die BNetzA erst zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigen.
In von BBH geführten Beschwerdeverfahren gegen diese Festlegung hat das Oberlandesgericht Düsseldorf einen Anspruch auf Einbeziehung der Bestandsanlagen in die Festlegung KANU 1.0 zwar (noch) verneint, aber zugleich klargestellt: Die BNetzA darf eine Lösung dieser Problematik auch für Bestandsanlagen nicht zu lange hinauszögern. Am Tag der Urteilsverkündung hat die BNetzA denn auch das Eckpunktepapier zu KANU 2.0 veröffentlicht.
II. Welche Möglichkeiten bietet die finale Festlegung KANU 2.0 für Gasnetzbetreiber?
Die Festlegung KANU 2.0 gestattet den Netzbetreibern ab dem 1.1.2025 eine Flexibilisierung der Refinanzierung des Anlagevermögens durch kürzere und degressive Abschreibungsmöglichkeiten. So können nun alle Sachanlagegüter der Gasnetze bis 2045, in Ausnahmefällen sogar bis zu einem früheren Zeitpunkt vollständig abgeschrieben werden. Dabei können auch degressive Abschreibungen mit einem Prozentsatz zwischen 8 und 12 Prozent vorgenommen werden. Die neuen Regelungen gelten erstmalig für die Erlösobergrenzen des Jahres 2025 und ersetzen ab diesem Zeitpunkt die Vorgaben der Festlegung KANU 1.0.
Sofern Gasnetzbetreiber von den geänderten Abschreibungsmodalitäten für das Jahr 2025 profitieren wollen, müssen sie sich beeilen: Eine solche Anpassung ist der zuständigen Regulierungsbehörde bis zum 15.10.2024 anzuzeigen. Eine Anpassung über das Regulierungskonto schließt die BNetzA ausdrücklich aus. Die nächste Anpassungsoption ist dann erst wieder zum 15.10.2025 für das Jahr 2026. Soweit ersichtlich, scheinen auch viele Unternehmen derzeit zu prüfen, ob es sinnvoller ist, die Regelung erst für die Erlösobergrenze des Jahres 2026 in Anspruch zu nehmen.
Die Festlegung KANU 2.0 ist zunächst bis zum 31.12.2027 befristet. Die Behörde begründet dies mit dem anstehenden Reformprozess des Regulierungsregimes (NEST-Eckpunktepapier); sie betont aber zugleich, dass sie in jedem Fall plant, flexible Abschreibungsmöglichkeiten weiterhin zu ermöglichen.
III. Welche Hürden sieht die finale Festlegung für Gasnetzbetreiber vor?
Grundsätzlich erweitert die Festlegung der BNetzA den Handlungsspielraum der Unternehmen, da sie ihnen ein individuell einsetzbares Instrumentarium an die Hand gibt. So können die Unternehmen die Gasnetztransformation zeitlich und räumlich flexibel in ihrem Anlagevermögen abbilden. Die Anpassungen sind allerdings sachgerecht vorzunehmen und entsprechend zu begründen. Eine Verkürzung der Abschreibung sogar bis zum Jahr 2035 darf dabei nur bei entsprechenden landes- oder kommunalrechtlichen Vorgaben vorgenommen werden. Außerdem soll der gewählte degressive Abschreibungssatz in einem „angemessenen Verhältnis“ zu der verbleibenden Restnutzungsdauer stehen.
Hier bleiben noch Fragen offen; insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Behörde bereits angekündigt hat, einschreiten zu wollen, sofern die Begründung der Unternehmen nicht nachvollziehbar sein sollte. Ausgangspunkt für alle Erwägungen der Netzbetreiber sind die erwarteten Mengenentwicklungen. Hierzu geht die BNetzA selbst davon aus, dass der Gasabsatz bis zum Jahr 2030 relativ konstant bleiben wird; danach aber deutlich zurückgehen dürfte. Insofern ist es angemessen und sachgerecht, die verbleibenden Jahre zu nutzen, um eine Kostenallokation vorzunehmen, die noch auf möglichst „breiten Schultern“, also vielen Netzkunden, beruht. Nur so lassen sich extreme Belastungen in den letzten Jahren vor dem Ausstieg aus der fossilen Wärmegewinnung vermeiden. Rechtlich spannend wird am Ende die Frage, ob es eher die Gasnetzverteiler sind, denen ein Regulierungsermessen zusteht: Einen solchen Beurteilungsspielraum nahmen die Gerichte bisher immer dann an, wenn der rechtliche Rahmen den Regulierungsbehörden entsprechende Spielräume einräumte. Hier verhält es sich nun umgekehrt: Der rechtliche Rahmen aus der Festlegung gibt grundsätzlich den Unternehmen einen Handlungsspielraum – ohne konkrete Vorgaben. Nicht nur die Netzbetreiber, sondern auch die BNetzA sollten daher „maßvoll mit den Möglichkeiten umgehen“, wie es die Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, Barbie Haller, jüngst öffentlich gefordert hatte.
Ansprechpartner: Stefan Missling/Axel Kafka/Thomas Straßer/Magnus Thiemig