Energiepreisbremsen: Finale Selbsterklärung entscheidend für Entlastung
Infolge der Energiekrise sind die Energiepreise in den Jahren 2022 und 2023 enorm gestiegen. Mit den sogenannten Energiepreisbremsen entlastete der Bund die Verbraucher von besonders hohen Preisen. Viele Unternehmen haben daher gesetzliche Entlastungsansprüche für ihre Energielieferungen. Der Entlastungszeitraum von Januar bis Dezember 2023 ist bereits seit über einem Jahr abgelaufen. Dennoch sind die Lieferanten und Unternehmen bis heute damit beschäftigt, die Energiepreisbremsen abzuwickeln. Dabei stellen sich verschiedene rechtliche Fragen. Wirtschaftlich relevant ist insbesondere die Frage, ob Lieferanten Unternehmen noch offene Entlastungsbeträge gewähren können, obwohl der Entlastungszeitraum bereits abgelaufen ist.
Wie ist mit offenen Entlastungsansprüchen umzugehen?
Nach den finalen Selbsterklärungen stehen Unternehmen häufig nämlich deutlich höhere Entlastungsansprüche zu, als sie zunächst selbst prognostiziert und in den vorläufigen Selbsterklärungen ihren Lieferanten mitgeteilt hatten. Die Gründe für die höheren Entlastungsansprüche sind unterschiedlich. Viele Unternehmen haben beispielsweise mehr Energie verbraucht als zuvor angenommen. Oft hat die Prüfbehörde den Unternehmen in den finale Selbsterklärungen auch höhere Höchstgrenzen beschieden, als die Unternehmen selbst ermittelt hatten.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geht in seinen aktuellen FAQ davon aus, dass es ausgeschlossen sei, für Stromlieferungen weitere Entlastungsansprüche geltend zu machen, nachdem der Entlastungszeitraum abgelaufen ist. Für Erdgas und Wärme sei das zwar grundsätzlich möglich. Die Entlastungsansprüche seien aber auf die Höchstgrenzen beschränkt, die mit den vorläufigen Selbsterklärungen während des Entlastungszeitraums mitgeteilt wurden. Die FAQ des BMWK sind nicht verbindlich; und sind an dieser Stelle rechtlich wenig überzeugend. Stattdessen sprechen vor allem der gesetzgeberische Wille und die Gesetzessystematik dafür, dass die finalen Selbsterklärungen maßgeblich sind. Deswegen stehen Unternehmen alle Entlastungen zu, die sie nach den finalen Selbsterklärungen geltend machen können.
Warum kommt es auf die finalen Selbsterklärungen an?
Die Entlastungsansprüche nach den Energiepreisebremsen wurden vom Gesetzgeber als gesetzliche Schuldverhältnisse ausgestaltet. Gesetzliche Schuldverhältnisse sind begründet, wenn alle Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, aus denen sich Grund und Höhe des Anspruchs ergeben. Wenn eine finale Selbsterklärung abgegeben wurde, ist die finale statt der vorläufigen Selbsterklärung Tatbestandsvoraussetzung für den Entlastungsanspruch. Das ergibt sich bereits aus der gesetzlichen Regelungssystematik in § 18 EWPBG und § 9 StromPBG.
Dass die finale die vorläufige Selbsterklärung ersetzt, hat der Gesetzgeber auch in den Gesetzesbegründungen klargestellt. So heißt es in der Gesetzesbegründung zum EWPBG: „Sobald eine Mitteilung nach § 22 Absatz 1 abgegeben wurde, ist die dem Lieferanten von dem Letztverbraucher oder Kunden für die betreffende Entnahmestelle mitgeteilte Höchstgrenze so lange verbindlich, bis entweder eine Änderungsmitteilung nach § 22 Absatz 4 oder aber eine Abschlussmitteilung nach § 22 Absatz 1 Nummer 2 erfolgt“ (vgl. BT-Drs. 20/4683, Seite 80). Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ist also die vorläufige Selbsterklärung nicht mehr verbindlich, sobald eine finale abgegeben wurde. Die nunmehr unverbindliche vorläufige Selbsterklärung kann keine Tatbestandsvoraussetzung (mehr) für das gesetzliche Schuldverhältnissein. Wenn Unternehmen noch nicht sämtliche Entlastungen erhalten haben, die ihnen nach den finalen Selbsterklärungen zustehen, wurde ihr gesetzlicher Entlastungsanspruch schlicht noch nicht in voller Höhe erfüllt und die (nunmehr unverbindliche) vorläufige Selbsterklärung kann ihn nicht beschränken.
Unternehmen können daher die Entlastungen vollumfänglich geltend machen, die ihnen nach den finalen Selbsterklärungen zustehen. Anders als das BMWK meint, müssen sie sich dafür nicht auf einen ausdrücklich geregelten Nachforderungsanspruch berufen. Das gilt für Entlastungsansprüche nach dem StromPBG und EWPBG gleichermaßen.
Klarer Wortlaut im Gesetz
Neben der Ausgestaltung als gesetzliches Schuldverhältnis sprechen eine Reihe weiterer überzeugender Argumente dafür, die Entlastungsansprüche nicht auf Angaben in den vorläufigen Selbsterklärungen zu beschränken.
So steht die Auffassung des BMWK beispielsweise im klaren Widerspruch zum Gesetzeswortlaut. Nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 EWPBG bzw. § 30 Abs. 1 Nr. 1 StromPBG müssen die Unternehmen den Lieferanten in den vorläufigen Selbsterklärungen mitteilen, welche absoluten und relativen Höchstgrenzen „voraussichtlich“ auf sie anwendbar sind, welcher Anteil der Höchstgrenzen „vorläufig“ auf das jeweilige Lieferverhältnis entfällt und wie sich die Anteile innerhalb dieses Lieferverhältnisses „vorläufig“ auf die Entnahmestellen verteilen. Nach dem eindeutigen Wortlaut handelt es sich mithin bei den Höchstgrenzen in den vorläufigen Selbsterklärungen nicht um finale Angaben, sondern gerade um vorläufige. Wenn nun aber die Entlastungsbeträge auf die Angaben in den vorläufigen Selbsterklärungen beschränkt würden, wären sie entgegen dem Gesetzeswortlaut gerade nicht vorläufig, sondern hätten eine endgültige Wirkung.
Dass die Angaben in den vorläufigen Selbsterklärungen nicht final sind, verdeutlichen auch die Bußgeldregelungen. Unternehmen begehen gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 3 EWPBG beziehungsweise § 43 Abs. 1 Nr. 3 StromPBG eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig in den finalen Selbsterklärungen ihre Mitteilungspflichten nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erfüllen. Entsprechende Verstöße in den vorläufigen Selbsterklärungen sind hingegen nicht bußgeldbewehrt. Damit hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass für ihn die finalen und nicht die vorläufigen Selbsterklärungen maßgeblich sind.
Was sollten Unternehmen nun tun?
Die Unternehmen haben viele gute Argumente auf ihrer Seite, offene Entlastungsforderungen durchsetzen zu können. Stehen Unternehmen nach den finalen Selbsterklärungen höhere Entlastungsbeträge zu, als sie in den vorläufigen Selbsterklärungen prognostiziert haben, sollten sie die offenen Forderungen gegenüber ihren Lieferanten geltend machen. Um ihre Ansprüche möglichst zielführend verfolgen zu können, sollten die Unternehmen dies mit den Lieferanten abstimmen.
Wie können Lieferanten reagieren?
Für die Lieferanten ist der Umgang mit offenen Entlastungsforderungen schwieriger. Sie nehmen in der Abwicklung der Entlastungen eine besondere Rolle ein. Sie haben keine eigenen wirtschaftlichen Interessen an den Entlastungen, fungieren aber gleichzeitig in der Kette zwischen ihren Kunden und dem Bund als Anspruchsgegner der Unternehmen.
Die Lieferanten sind bereits erheblich durch die Rolle als Abwicklungsstelle beansprucht, die ihnen der Gesetzgeber zugewiesen hat. Bei den offenen Entlastungsansprüchen müssen sie zusätzlich zwischen zwei Szenarien wählen, die sie mit wirtschaftlichen Risiken konfrontieren und die ihrer eigentlichen Position als reine Abwicklungsstelle nicht entsprechen. Entscheiden sich die Lieferanten, den Unternehmen die Entlastungsbeträge in voller Höhe zu gewähren, besteht für sie das Risiko, dass der Bund ihnen diese nicht erstattet und die Lieferanten die Kosten – entgegen der grundsätzlichen Regelungssystematik – selbst tragen müssen. Um das zu verhindern, sollten die Lieferanten die ausstehenden Entlastungsbeträge unter Vorbehalt einer finalen rechtlichen Klärung gewähren.
Erfüllen Lieferanten Unternehmen offene Entlastungsansprüche nicht, müssen sie sich gegebenenfalls damit auseinandersetzen, dass Unternehmen die Ansprüche gegen sie gerichtlich durchsetzen. Sollten die Gerichte die Entlastungsansprüche bestätigen, ist wohl davon auszugehen, dass den Lieferanten die weiteren Entlastungszahlungen vom Bund erstattet werden. Hierzu sollten die Lieferanten aber vorsorglich sämtliche Rechtstreite stets allen betroffenen staatlichen Stellen wirksam verkünden.
Wie kann der Bund helfen?
Unternehmen und Lieferanten brauchen zeitnah rechtssichere und praxisgerechte Lösungen, um die Energiepreisbremsenabwicklung endlich abschließen zu können. Gerichtsverfahren dauern erfahrungsgemäß lange und binden viele Ressourcen. Die Verfahren würden die Lieferanten daher übermäßig belasten. Aus unserer Sicht sollte der Bund den Lieferanten daher anbieten, an ihre Stelle zu treten und etwaige Rechtsstreitigkeiten mit Unternehmen selbst zu führen.
Ansprechpartner:innen: Dr. Markus Kachel/Moussah Köster/Alisa Obert/Ina Benedix
Weitere Ansprechpartner:innen: Dr. Martin Altrock/Stefan Wollschläger/Dominique Couval