Interviewreihe: Dr. Christine Wilcken, Stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages
Am 12.11.2025 findet die Vierte KlimAKonferenz auf dem EUREF-Campus in Berlin statt. Auf der Konferenz unter dem Titel „Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Klimaschutz geglückt? Erste Einschätzungen aus Perspektive der Stadtwerke“ diskutieren wir Fragen rund um die Wirtschaftlichkeit und die Herausforderungen bei der Umsetzung nachhaltiger Energiekonzepte.
Mit den Entscheider:innen aus Politik, Wirtschaft und Verbänden, die an der Konferenz teilnehmen, haben wir im Vorfeld Interviews geführt, die wir an dieser Stelle veröffentlichen – heute mit Dr. Christine Wilcken, Stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages.
BBH-Blog: Im Mittelpunkt unserer diesjährigen KlimAKonferenz steht die Frage, wie Kommunen und Unternehmen klimaneutral und zugleich wirtschaftlich erfolgreich sein können. Was ist aus Ihrer Sicht der entscheidende Erfolgsfaktor für diesen Spagat?
Dr. Christine Wilcken: Ich denke, wir müssen immer wieder betonen, dass Klimaneutralität und wirtschaftlicher Erfolg keine Gegensätze sind. Dies zeigt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) deutlich. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis bei Klimaschutzmaßnahmen liegt zwischen 1,8 und 4,8. Klimaschutz ist insofern nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch ökonomisch geboten. Auch das Weltwirtschaftsforum in Davos bewertet die Klimafolgen seit Jahren als eine der bedeutendsten Bedrohungen für wirtschaftliche Entwicklung.
Darüber hinaus gilt: Wer Investitionen tätigen will, braucht Klarheit. Schauen wir auf den Emissionshandel. Bei einem klaren Pfad können sich Unternehmen einstellen und planen. Oder bei der Wärmewende sehen wir den Aspekt von Planungs- und Investitionssicherheit sehr deutlich. In diesem Grundsatz unterscheiden sich Bürgerinnen und Bürger (beim Heizungstausch), Energieversorger (beim Fernwärmeausbau) und Kommunen (bei der Sanierung öffentlicher Gebäude) nicht voneinander. Aktuell wirken die Unklarheiten über die Zukunft des Gebäudeenergiegesetzes, über die Ausgestaltung der Förderkulisse und über die Regulierung der Fernwärme investitionshemmend. Eine Wende von der Wende wäre sehr schädlich.
BBH-Blog: Die Energiewende wird weltweit vorangetrieben. Von welchen internationalen Beispielen kann Deutschland besonders profitieren und wo können wir selbst Impulse setzen?
Dr. Christine Wilcken: In Deutschland ist in den letzten zwei Jahrzehnten viel gemacht worden. Denken Sie nur an den Ausbau von Windenergie und Photovoltaik. Mit einem regenerativen Stromanteil von über 50 % zählen wir zu den führenden Ländern weltweit. Aber auch die Entkopplung von BIP und Energieverbrauch ist ein Erfolg, genau wie die Reduktion der CO2-Emissionen. Auch die begonnenen Wärmeplanungen der Städte sehe ich positiv, denn damit werden planvolle Investitionen vorbereitet. Wir haben insofern schon Dinge, auf die wir aufbauen, an die wir anknüpfen können.
Ich erlebe aber auch, dass die Deutsche Energiepolitik in den letzten zwei Jahrzehnten von einer Unstetigkeit geprägt ist. Und das macht die Umsetzung für alle Beteiligten – Kommunen, Wirtschaft, Privathaushalte – schwerer als es sein müsste. Insofern schaue ich schon immer wieder etwas neidisch nach Dänemark, die die Transformation der Wärmeversorgung mit einer großen Ruhe und Kontinuität voranbringen. Und natürlich gehört auch dazu, dass die Dänen über die Jahre auch große staatliche Mittel eingesetzt haben. Wir hoffen insofern sehr darauf, dass die sich Bundesregierung daran ein Vorbild nimmt und die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze mit mehr Verlässlichkeit und bedarfskonform ausgestaltet.
BBH-Blog: Welche Formen der Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Wirtschaft und Politik sind aus Ihrer Sicht entscheidend damit die Energiewende gelingt?
Dr. Christine Wilcken: Kommunen, Wirtschaft und Politik kommen bei fast allen Themen der Energiewende zusammen: Energieinfrastruktur, Gebäudesanierung, Wärmewende, Mobilität und Akzeptanz. Es gibt viele Felder, in denen die Zusammenarbeit funktioniert. Denken Sie an die vielen Stadtwerke oder auch Public-Private Partnerships.
Dann gibt es natürlich auch den Bereich der Genehmigungen, bei denen es vielen zu lange dauert. In den letzten Jahren ist in diesem Themenfeld viel angegangen worden und es zeigen sich bspw. bei der Windenergie langsam auch Verbesserungen. Klar ist aber auch, dass noch ein langer Weg zu gehen ist und , dass Bürokratievereinfachung keine einfachen Entscheidungen sind. Denn wir müssen unterscheiden zwischen praxisfähigen Vereinfachungen und Standardisierungen einerseits sowie andererseits der materiellen Rücknahme von Standards, die wir in ein paar Jahren bereuen würden. Große Potenziale schlummern sicherlich in der Digitalisierung, für die wir einige Voraussetzungen schaffen müssen, etwa einheitliche Softwareanwendungen der Behörden oder einen dazu passenden Regulationsrahmen.
Wir leben in einem Mehrebenensystem aus Bund, Ländern und Kommunen. Und das ist auch gut so. Für Veränderungsprozesse heißt das aber auch, dass die Umsetzung über die Ebenen manchmal etwas mehr Zeit benötigt. Die haben wir beim Klimaschutz aber nicht. Insofern wäre es wichtig, dass die Umsetzung und die Schnittstellen zwischen den Ebenen bei der Gesetzgebung besser mitgedacht werden.
BBH-Blog: Investitionen gelten als Schlüssel für den Erfolg der Transformation. Welche Rahmenbedingungen sind nötig, damit mehr Kapital in nachhaltige Energielösungen fließt?
Dr. Christine Wilcken: Es ist klar zu erkennen, dass die öffentlichen Mittel alleine nicht ausreichen werden. Daher braucht es ein Zusammenwirken – ja eine Finanzierungspartnerschaft – von Bund, Ländern, Kommunen und den privaten Akteuren. Drei Bausteine sind hierfür zentral:
Wichtig ist für uns an erster Stelle die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW). Sie muss verlässlich und auskömmlich ausgestattet werden (3,5 Mrd. im Jahr – statt 1,4 Mrd.).
Um Kapital von verschiedenen privaten Kapitalgebern und dem Bund stärker zu mobilisieren zu können, kann der Energiewende-Fonds oder der im Koalitionsvertrag festgeschriebene Deutschlandfonds – Teil der Lösung sein und sollte schnell skizziert werden.
Vor allem brauchen wir angesichts knapper Kassen ein klares Prinzip für den KTF: konsumtive Zwecke aus dem Kernhaushalt, Zukunftsinvestitionen aus dem KTF.
BBH-Blog: Mit Blick auf die kommenden Jahre: Welche Prioritäten sollte Deutschland setzen, um die Klimaziele zu erreichen und zugleich seine wirtschaftliche Stärke zu sichern?
Dr. Christine Wilcken: Ich glaube, wir müssen uns zunächst einmal klar machen, dass Ökonomie und Ökologie kein Widerspruch sind. Dann wird es gelingen, beides nach vorne zu bringen.
BBH-Blog: Sehr geehrte Frau Dr. Wilcken, herzlichen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns auf die weitere Diskussion im Rahmen unserer KlimAKonferenz am 12.11.2025.
Hier finden Sie den Link zum Programm und hier geht es zur Anmeldung.