Ohne Atomgesetz-Änderung kein Atomausstieg

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Die Zukunft der deutschen Kernkraftwerke ist unsicherer denn je. Die verheerenden Entwicklungen am Kernreaktor Fukushima haben das Vertrauen in einen dauerhaft sicheren Betrieb von Kernkraftwerken grundlegend erschüttert. Doch so sehr sich die Bundesregierung auch sträubt, aus dem Ausstieg des Ausstiegs nun ihrerseits wieder auszusteigen – der einzig saubere Weg, die Konsequenzen aus Fukushima zu ziehen, führt über eine erneute Änderung des Atomgesetzes (AtG).

Ein Moratorium, das keines ist

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte zunächst ein „Moratorium“ der Laufzeitverlängerung verkündet: Die Laufzeitverlängerung solle drei Monate ausgesetzt werden, damit in diesem Zeitraum die Sicherheitsanforderungen aller 17 deutschen Kernkraftwerke überprüft werden können.

Nun ist die Bundesregierung selbstverständlich nicht berechtigt, Gesetze per Anordnung einfach auszusetzen. Die Gesetzgebung obliegt dem Deutschen Bundestag gemeinsam mit dem Bundesrat. Deswegen ist nun offizielle Sprachregelung der Bundesregierung, dass der Begriff „Moratorium“ rein politisch verstanden werden soll. Die Anlagensicherheit wird ab sofort überprüft, die sieben ältesten Kernkraftwerke plus Krümmel sind bereits vom Netz gegangen, aber ob diese oder weitere Kernkraftwerke dauerhaft abgeschaltet werden, entscheidet sich erst in drei Monaten.

Juristisch stützt sich die Bundesregierung für diese Schnellabschaltung auf eine bereits bestehende Regelung im AtG. Hiernach ist die – auch einstweilige – Einstellung des Leistungsbetriebs, insbesondere bei Gefahren für Leib, Leben oder Sachgüter zulässig, § 19 Abs. 3 AtG. Diese Norm setzt jedoch das Vorliegen einer Gefahr voraus, wobei ein Gefahrenverdacht schon ausreicht. Hierzu passt es schlecht, wenn die Bundesregierung wiederholt ausgeführt hat, die deutschen Kernkraftwerke seien sicher. Das mag zwar politisch verständlich sein, um einen Widerspruch zu Aussagen aus dem vergangenen Jahr zu vermeiden. Rechtlich aber ergeben sich daraus erhebliche Risiken: So prüfen E.ON und RWE bereits Schadensersatzansprüche, weil „sichere“ Kernkraftwerke nicht abgeschaltet werden müssten. Berücksichtigt man freilich den staatlichen Schutzauftrag für Leben und Gesundheit der Bürger, erscheint eine Maßnahme, die eine umfassende Überprüfung gerade älterer Kernkraftwerke beinhaltet, bei entsprechend guter Begründung durchaus rechtmäßig.

Was passiert nach dem Moratorium?

Die eigentlich spannende Frage bleibt aber, was Mitte Juni 2011, nach Ablauf der Drei-Monats-Frist, geschieht. Drei Szenarien sind im Grunde denkbar:

  • Die Kernkraftwerke werden allesamt als sicher eingestuft und die vorläufig abgeschalteten Kernkraftwerke gehen wieder ans Netz. Die Laufzeitverlängerung bleibt unverändert in Kraft.
  • Einzelne Kernkraftwerke müssen nach der Sicherheitsüberprüfung aus rechtlichen und/oder wirtschaftlichen Gründen ihren Betrieb dauerhaft einstellen. Für alle anderen Anlagen aber bleibt es bei der Laufzeitverlängerung, so dass am geltenden Atomgesetz – wenn überhaupt – nur minimale Anpassungen vorgenommen werden müssen.
  • Die Sicherheitsüberprüfung ergibt schwerwiegende Mängel. Das Atomgesetz wird neu geregelt, die Laufzeitverlängerung zurück genommen und der Ausstieg aus der Kernenergie – sogar im Vergleich zum Atomausstieg von Rot-Grün – beschleunigt.

Dass alle 17 deutsche Kernkraftwerke am Ende dieses Jahres noch in Betrieb sein werden, erscheint momentan jedoch ausgesprochen unwahrscheinlich. So hat etwa die Landesregierung in Baden-Württemberg bereits angekündigt, das KKW Neckarwestheim I dauerhaft stillzulegen. Ähnliches dürfte zumindest auch für die Kernkraftwerke Isar I, Phillipsburg sowie Biblis A und B gelten.

Sollen einzelne ältere Kernkraftwerke stillgelegt, das Atomgesetz aber nicht geändert werden, dann ergibt sich ein Dilemma für die Bundesregierung: Die stillgelegten Kraftwerke haben mit der Laufzeitverlängerung im vergangenen Jahr gerade erst neue Stromproduktionsrechte für zusätzliche acht Jahre Betriebslaufzeit erhalten. Die KKW-Betreiber würden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit versuchen, die verbleibenden Reststrommengen von den stillgelegten Kernkraftwerken auf noch laufende Meiler zu übertragen. Nach dem Atomgesetz ist dies im Grundsatz auch ohne Zustimmung der Bundesregierung möglich, § 7 Abs. 1b AtG. Nur wenn Produktionsrechte von neueren auf ältere Meiler übertragen werden, ist eine Zustimmung erforderlich. Im Ergebnis würden dann die am Netz verbleibenden Kernkraftwerke bis weit in die 2040er Jahre hinein Strom erzeugen. Zur aktuellen Sicherheitsdiskussion würde dieses Ergebnis denkbar schlecht passen.

Der einzige transparente und saubere Weg zu einem beschleunigten Atomausstieg führt deswegen über eine formale Änderung des Atomgesetzes. Erst wenn dort die Produktionsrechte der Kernkraftwerke insgesamt deutlich eingeschränkt werden, und zwar über eine bloße Rücknahme der Laufzeitverlängerung hinaus, ist das politische Bekenntnis zum beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie glaubwürdig. Trotz interessanter und teilweise ungeklärter juristischer Folgefragen erscheint ein solches Vorgehen – gerade vor dem Hintergrund der entsetzlichen Ereignisse in Japan – ohne Alternative.

Ansprechpartner: Prof. Christian Held/Dr. Olaf Däuper/Dr. Roman Ringwald

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