Wie lang ist sehr lang? BAG urteilt zur Vorbeschäftigung bei sachgrundloser Befristung

(c) BBH

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 21.8.2019 zum dritten Mal in diesem Jahr über die Frage entschieden (Urt. v. 21.8.2019, Az. 7 AZR 452/17), wann eine Vorbeschäftigung im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG „sehr lang zurückliegt“. Mit diesem Urteil steht nun fest: 22 Jahre sind grundsätzlich „sehr lang“. Wenn der letzte Job so lang zurückliegt, steht er der erneuten Anstellung mit sachgrundloser Befristung nicht entgegen. Dieser Entscheidung waren bereits zwei Urteile im Januar bzw. März dieses Jahres vorangegangen: Dort befand das BAG, dass Vorbeschäftigungen von acht Jahren bzw. acht Jahren und neun Monaten nicht ausreichend lange zurückliegen.

Hintergrund

Nach dem Wortlaut des § 14 Abs. 2Satz 2 TzBfG ist eine sachgrundlose Befristung bis zu einer Dauer von zwei Jahren nur zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber nicht bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat. Bis 2011 hielt das BAG den Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG für eindeutig (vgl. BAG, Urt. v. 29.7.2009, Az. 7 AZN 368/09) und vertrat die strenge Ansicht, es schade jede noch so lange zurückliegende Vorbeschäftigung. Auf den zeitlichen Abstand zwischen dem früheren und dem neuen Arbeitsverhältnis komme es ebenso wenig an wie auf die Art der vorherigen Tätigkeit.

Von dieser arbeitnehmerfreundlichen Auslegung verabschiedete sich das BAG mit Entscheidung vom 6.4.2011 (Az. 7 AZR 716/09) und zog aus verfassungsrechtlichen Gründen zugunsten der Arbeitgeberseite eine zeitliche Grenze für das Verbot der Vorbeschäftigung ein. Ein Zeitraum von 3 Jahren erschien dem BAG „geeignet, erforderlich und angemessen, einer Missbrauchsverhinderung Rechnung zu tragen“, so dass frühere Vorbeschäftigungen als unschädlich galten.

Im vergangenen Jahr erklärte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die 3-Jahres-Grenze des BAG als unzulässige richterliche Rechtsfortbildung für verfassungswidrig (Beschl. v. 6.6.2018, Az. 1 BvL 7/14), eröffnete aber für Ausnahmefälle Spielraum für eine sachgrundlose Befristung bei Vorbeschäftigungen, die

  • sehr lang zurückliegen oder
  • ganz anders geartet oder
  • von sehr kurzer Dauer waren.

Die aktuelle Befristungsrechtsprechung des BAG

Zu Beginn dieses Jahres hatte das BAG (Urt. v. 23.1.2019, Az. 7 AZR 733/16) zum ersten Mal die Gelegenheit, diese neuen Grundsätze des BVerfG umzusetzen. Dabei verneinte es bei einem acht Jahre zurückliegenden Arbeitsverhältnis einen „sehr lang zurückliegenden Zeitraum“ und stellte darüber hinaus auch fest, dass eine frühere Beschäftigungsdauer von etwa 18 Monaten im vorliegenden Zusammenhang keinesfalls als „sehr kurz“ anzusehen sei.

Mit einer weiteren Entscheidung aus März 2019 (Urt. v. 20.3.2019, Az. 7 AZR 409/16) beurteilte das BAG einen Zeitraum von acht Jahren und neun Monaten weiterhin nicht als „sehr lang zurückliegenden Zeitraum“, ohne sich dabei zur  „sehr kurzen Dauer“ der Vorbeschäftigungen oder zu den Maßstäben zur Beurteilung der „Andersartigkeit der Vorbeschäftigung“ näher zu äußern.

Der Pressemitteilung des BAG zur aktuellen Entscheidung vom 21.8.2019 ist nun zu entnehmen, dass eine 22 Jahre zurückliegende Vorbeschäftigung „sehr lang“ und damit lang genug zurückliegt– allerdings nur „grundsätzlich“, da sich das BAG die Möglichkeit offen lässt, selbst diesen Zeitraum unter „besonderen Umständen“ als nicht ausreichend „lang zurückliegend“ zu qualifizieren. Welche „besonderen Umstände“ das sein könnten, lässt sich zumindest der Pressemitteilung nicht entnehmen.

Die Urteilsbegründung steht zwar noch aus, aber so viel steht jetzt schon fest: Auch die jüngste Entscheidung des BAG wird die Rechtsunsicherheiten nach der Abschaffung der 3-Jahres-Grenze nicht beseitigen können. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Rechtsprechung des BAG innerhalb der jetzt eröffneten Spanne zwischen 22 und 8 Jahren noch konkretisiert, und wenn ja, wo genau – oder ob sich doch der Gesetzgeber irgendwann erbarmt und eine klare Zeitgrenze einführt!

Ansprechpartner: Dr. Jost Eder/Wolfram von Blumenthal/Bernd Günter

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