Der EuGH öffnet Tor zur Kartellhaftung für Beratungsunternehmen weiter

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Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen, auch aus unserer eigenen Zunft, werden das jüngste Urteil (v. 22.10.2015, Az.  C-194/14) aus Luxemburg interessiert notiert haben: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat das Verständnis von kartellrechtswidrigen Vereinbarungen erheblich erweitert und lässt fortan wohl auch den Gehilfen des Kartells haften, der in keinerlei Zusammenhang mit dem kartellierten Markt steht. Damit setzt er die Rechtsprechung (Urt. v. 8.7.2008, Az. T-99/04) des Gerichts der Europäischen Union (EuG) fort, die demselben Kläger, allerdings in einem anderen Kartellfall der Kommission (Organische Peroxide, COMP/E-2/37.857), die grundsätzliche Haftung bereits ins Stammbuch geschrieben hatte.

Was ist der Hintergrund?

Die AC-Treuhand AG, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit Sitz in der Schweiz, beriet in den Jahren 1993 bis 2000 mehrere Unternehmen aus zwei unterschiedlichen Märkten für Wärmestabilisatoren. Gegen diese verhängte die Europäische Kommission 2009 hohe Bußgelder, weil sie Preise abgesprochen sowie Märkte und Kunden untereinander aufgeteilt hatten. In der gleichen Sache sanktionierte die Kommission auch den Kläger für seine aktive Unterstützung des Kartells und der Kartelltreffen (Entscheidung K (2009) 8682 endg. v. 11.11.2009).

Das Beratungsunternehmen spielte bei der Organisation dieses Kartells eine zentrale Rolle. Es organisierte nicht nur die Zusammenkünfte der Kartellanten, sondern moderierte im Fall von Streitigkeiten der Kartellanten und erfasste Liefermengen, um diese dann den Kartellanten zur Verfügung zu stellen.

In seiner jetzt vom EuGH abschließend beschiedenen Klage argumentiert die AC Treuhand AG vor allem damit, dass sie mit den Kartellanten weder etwas vereinbart noch eigenes Verhalten auf dem kartellierten Markt mit den sich kartellierenden Unternehmen koordiniert habe, noch die eigene unternehmerische Selbstständigkeit zu Gunsten der Koordinierung der anderen Unternehmen aufgegeben habe. Und in der Tat kann man fragen, ob ein Unternehmen tatsächlich als Kartellgehilfe verfolgt werden kann, das auf keinem in irgendeinem Zusammenhang mit dem kartellierten Markt stehendem Sektor tätig ist. Letztlich musste der EuGH die Frage beantworten, ob das Kartellverbot vom Sinn und Zweck her eine so weitgehende Interpretation hergibt.

Was sagt der EuGH?

Relativ kurz, aber prägnant bejaht der EuGH diese Frage und bewertet die Gehilfentätigkeit des Wirtschaftsprüfungsunternehmens als Kartellverstoß. Damit folgt er nicht den Schlussanträgen des Generalanwalts Nils Wahl, der noch feststellte, dass einem Beratungsunternehmen niemals die Schlüsselrolle in einem Kartell zukommen könne. Nach diesem Urteil gilt künftig, dass ein Beratungsunternehmen für ein verbotenes Kartell nach Art. 101 AEUV verantwortlich gemacht werden kann, wenn es sich aktiv und in voller Kenntnis der Sachlage an der Durchführung oder der Überwachung eines Kartells beteiligt, das auf einem anderen Markt tätig ist als es selbst. Weder der Begriff der „Vereinbarung“ noch der der „abgestimmten Verhaltensweise“ erfordere eine gegenseitige Beschränkung der Handlungsfreiheit auf ein und demselben Markt.

Hinsichtlich des Beteiligungsgrades stellt der EuGH des Weiteren fest, dass zwar grundsätzlich bereits eine passive Teilnahme an Sitzungen des Kartells ausreichen könnte, um ins Visier der Kartellbehörden zu geraten. Im Falle eines marktfremden Unternehmens dürfe der Beitrag des Beratungsunternehmens jedoch nicht nur nebensächlich sein. Im Übrigen hält der EuGH auch die eigene Strafbarkeit für hinreichend vorhersehbar, selbst wenn der Gerichtshof sich noch nicht zu dem Problemkreis geäußert habe. Das Gebot nulla poena sine lege certa sei deshalb nicht verletzt. Die AC Treuhand hätte insofern fachkundigen Rat einholen können und vor allem hätten ihre Wirtschaftsprüfer als „berufsmäßig tätige Personen, die gewohnt sind, sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit sehr umsichtig verhalten zu müssen“, die Risiken erkennen können.

Was bedeutet dieses Urteil?

Weder die Entscheidung der Kommission aus dem Jahr 2009 noch das jetzige abschließende Urteil des EuGH erstaunt wirklich. Beide bemühen sich seit langem, den Schutzbereich des Kartellverbots immer weiter auszudehnen. Allerdings geraten damit künftig auch Beratungsunternehmen in die Schusslinie, die im Rahmen ihrer Dienstleistung weder eigene Interessen auf dem kartellierten Markt verfolgen noch die wettbewerblichen Ergebnisse des Marktes als solche beeinflussen. Insofern lässt sich mit Recht bezweifeln, ob eine so weite Auslegung des Art. 101 AEUV noch mit seinem Schutzzweck zu vereinbaren ist. Rechtspolitisch ist eine Straffreiheit aber natürlich auch unbefriedrigend, wenn, wie vorliegend, ein Beratungsunternehmen eine erkennbare aktive Rolle bei der Kartellorganisation und auch -beratung gehabt hat. Dem Gerichtshof ist insofern Recht zu geben, dass die für solche Beratungsunternehmen tätigen Personen die Risiken ihrer Tätigkeit vielleicht sogar besser einschätzen können als manches Unternehmen, das an vermeintlichen Kartelltreffen als Kartelaußenseiter teilnimmt.

Fakt ist nun aber, dass künftig Beratungsunternehmen die eigenen Tätigkeiten daraufhin untersuchen müssen, ob sie möglicherweise zu Gehilfen kartellrechtswidriger Vereinbarungen oder abgestimmter Verhaltensweisen von Unternehmen werden. Nicht abschließend geklärt hat der Gerichtshof dabei die Frage, welchen Grad die Gehilfentätigkeit erreichen muss, um als aktive Unterstützung des Kartelles gewertet werden zu können. Spannend ist auch die Frage, ob Beratungsunternehmen insoweit auch kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen der vom Kartell betroffenen Unternehmen ausgesetzt sein können.

Ansprechpartner: Dr. Olaf Däuper/Anna Lesinska-Adamson

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