Sozial-Taxonomie: Sinnvolle Ergänzung oder weitere bürokratische Belastung?
Die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen hat einen Vorschlag für eine Sozial-Taxonomie vorgelegt. Dieser Entwurf eines Rechtsaktes soll – in Anlehnung an die seit dem 1.1.2022 unmittelbar geltende Taxonomie-Verordnung (wir berichteten) – soziale Belange als Wettbewerbsfaktor im Wirtschaftsleben stärken.
Orientierung an der Taxonomie-Verordnung
Die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen ist eine ständige Expertengruppe der EU-Kommission, die ursprünglich für die Erarbeitung eines Vorschlags zur Taxonomie-Verordnung geschaffen wurde. Ihre Vorschläge binden die EU-Kommission nicht, sie hat aber eine beratende Funktion.
Der Vorschlag orientiert sich sowohl inhaltlich als auch mit Blick auf die innere Struktur an der Taxonomie-Verordnung (Verordnung (EU) 2020/852). Er definiert verschiedene Kernziele mit jeweils einigen Unterzielen und Kriterien für sozialverträgliches Wirtschaften und differenziert dabei zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen.
Für die Definitionen soll wie bei der Taxonomie-Verordnung auf delegierte Rechtsakte zurückgegriffen werden. Zur Umsetzung in geltendes Recht könnte entweder eine eigene Verordnung geschaffen oder die Taxonomie-Verordnung entsprechend angepasst werden. In beiden Fällen ist davon auszugehen, dass der Entwurf einen ähnlichen Anwendungsbereich haben wird wie die Taxonomie-Verordnung.
Das bedeutet im Wesentlichen, dass zunächst Unternehmen von öffentlichem Interesse ab 500 Mitarbeitern sowie Anbieter bestimmter Finanzprodukte betroffen sein dürften. Der Anwendungsbereich dürfte jedoch entsprechend der Entwürfe (wir berichteten) der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) schrittweise erheblich vergrößert werden.
Soziale Ziele
Die Ziele beziehen sich unter anderem auf die Beschäftigten der Unternehmen inklusive der Beschäftigten ihrer Zulieferer, aber auch auf Verbraucher und die Gemeinschaften, in denen sie leben. Kernziele sind menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Lebensstandards für die Beschäftigten, Schutz der Verbraucher und die Schaffung inklusiver und nachhaltiger Gemeinschaften.
Zu den Unterzielen gehören unter anderem der Schutz der Gesundheit, die Sicherheit am Arbeitsplatz, die Sicherstellung einer adäquaten Gesundheitsversorgung, die Schaffung von Wohnraum, die angemessene Entlohnung der Beschäftigten und die Bekämpfung von Diskriminierung.
Soziale Ziele, Mindeststandards und DNSH-Prinzip
Analog zur Taxonomie-Verordnung soll zunächst definiert werden, welche Aktivitäten „wesentliche Beiträge“ leisten, um die Ziele zu erreichen. Vorgaben und Leitlinien der Europäischen Menschenrechtskonvention, der EU-Grundrechtecharta und der Europäischen Sozialcharta sollen dabei handlungsleitend sein. Potenziell werden aber auch Aktivitäten definiert, die in jedem Fall als sozialschädlich gelten sollen, etwa die Herstellung bestimmter Waffen und von Tabak.
Der Vorschlag sieht außerdem gewisse Mindeststandards und das sogenannte „Do-No-Significant-Harm“-(DNSH) Prinzip vor. Danach können Aktivitäten grundsätzlich nicht als „sozial“ im Sinne des Vorschlages angesehen werden, wenn sie den Zielbestimmungen in erheblicher Weise entgegenlaufen bzw. diese beeinträchtigen. Diesen Mechanismus verwendet schon die Taxonomie-Verordnung und er stellt eine zentrale Regelung des neuen Vorschlags dar.
Einbeziehung von Nachhaltigkeitsaspekten
Bezüglich der Mindeststandards könnte einerseits als Ergänzung der Kriterien auf soziale Belange abgestellt werden, andererseits könnten auch Nachhaltigkeitsaspekte Berücksichtigung finden. Die Nachhaltigkeit hier einzubeziehen, erscheint auf den ersten Blick unsachgemäß, erklärt sich jedoch in einer Gesamtschau: Die Nachhaltigkeits-Taxonomie bezieht soziale Mindeststandards in die Bewertung der Nachhaltigkeit ein und die Sozial-Taxonomie könnte spiegelbildlich dazu gewisse Nachhaltigkeitsanforderungen für ihre Bewertung der Sozialverträglichkeit vorsehen. Durch das Zusammenspiel würden sich die beiden Ansätze gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken.
Den Mindeststandards kommt neben den bereits angesprochenen Kriterien auch eine eigene Bedeutung zu, denn sie haben unterschiedliche Zielrichtungen: Während sich die Kriterien auf Wirtschaftsaktivitäten beziehen, gelten die Mindeststandards für Wirtschaftsakteure als solche. Damit können auch Anforderungen normiert werden, die nicht unmittelbar an Handlungen anknüpfen.
Erfüllt eine Wirtschaftsaktivität oder Investition die Kriterien, darf sie als „sozial“ bezeichnet und vermarktet werden. Dadurch erhofft sich die Plattform für nachhaltiges Finanzwesen, dass soziale Belange als Wettbewerbsfaktor gestärkt werden und mehr Investitionen in Aktivitäten fließen, die als sozial angesehen werden.
Die betroffenen Unternehmen sind nicht verpflichtet, die Kriterien einzuhalten, vielmehr soll die Transparenz erhöht werden und so indirekt ein Anreiz gesetzt werden, soziale Belange verstärkt zu berücksichtigen. Dieses Vorgehen entspricht dem Kampf gegen das sogenannte Greenwashing im Rahmen der Nachhaltigkeits-Taxonomie.
Kritik an der Sozial-Taxonomie
Kritik am Vorschlag für eine Sozial-Taxonomie kommt vor allem von kleineren Unternehmen, die den Umsetzungsaufwand fürchten (die aber vorerst nicht von der Verordnung betroffen sein dürften), sowie von den Unternehmen, die nach der Verordnung nicht als sozial eingestuft werden sollen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Kritiker durchsetzen oder ob die Sozial-Taxonomie tatsächlich umgesetzt wird.
Ansprechpartner*innen: Jens Vollprecht/Tobias Sengenberger/Christoph Lamy
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