EU-Taxonomie-Verordnung ist in Kraft: Heiliger Gral oder bürokratisches Monster?

Zum Jahreswechsel veröffentlichte die EU-Kommission einen Vorschlag, Kernenergie und Erdgas in die sog. EU-Taxonomie aufzunehmen, und leitete damit offiziell einen Konsultationsprozess mit den EU-Mitgliedstaaten ein. Die Diskussion über die Energiequellen innerhalb der Taxonomie überlagert allerdings den Blick auf den eigentlichen Verordnungsrahmen: Seit dem 1.1.2022 gilt die europäische Taxonomie-Verordnung (VO 2020/852). Für die einen ist sie der heilige Gral für eine nachhaltigere europäische Wirtschaft, für die anderen ein bürokratisches Monster, das nur von den echten Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit, insbesondere um Klimaneutralität, ablenkt. Anlass genug für einen möglichst nüchternen Überblick.

Worum geht es?

Vereinfacht ausgedrückt verfolgt die Taxonomie-Verordnung zwei Zielrichtungen: Zum einen wird darin definiert, wann eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig gilt. Diese Definition soll ausdrücklich Greenwashing vermeiden. Zum anderen werden bestimmte Unternehmen dazu verpflichtet, öffentlich darüber Bericht zu erstatten, in welchem Umfang sie ihre Umsatzerlöse mit solchen ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten erzielen bzw. in welchem Umfang sie entsprechende Investitionsausgaben tätigen. Die Taxonomie-Verordnung enthält dagegen keine Pflicht, ökologisch nachhaltig zu wirtschaften.

Wann gilt eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig?

Ausgangspunkt für die Definition einer Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig sind die sechs Umweltziele der Taxonomie-Verordnung:

  • Klimaschutz,
  • Anpassung an den Klimawandel,
  • nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,
  • Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
  • Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und
  • Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Voraussetzung für die Annahme einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeit ist,

  • dass die konkrete Tätigkeit einen wesentlichen Beitrag zu einem dieser Umweltziele leistet,
  • dass die konkrete Tätigkeit keines dieser Umweltziele erheblich beeinträchtigt und schließlich,
  • dass ein bestimmter sozialer Mindestschutz gewährleistet ist.

Die Musik der Taxonomie-Verordnung spielt daher bei der genauen Definition der sechs Umweltziele. Hierzu soll es jeweils umfangreiche delegierte Rechtsakte der EU-Kommission geben. Für zwei der Umweltziele (Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) hat die EU-Kommission am 9.12.2021 die finalen delegierten Rechtsakte erlassen. Sie sind sehr ausführlich, gelten seit dem 1.1.2022 und sollen nach dem jüngsten Änderungsentwurf um Erdgas und Kernenergie ergänzt werden. Für die übrigen vier Umweltziele werden die delegierten Rechtsakte noch final erarbeitet und aller Voraussicht nach ähnlich ausführlich ausfallen. Sie sollen im Jahr 2022 erlassen werden und ab 1.1.2023 gelten.

Wen trifft die Berichterstattungspflicht?

Berichterstattungspflichtig sind in erster Linie Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern. Die Taxonomie-Verordnung verweist insoweit nämlich auf den Anwendungsbereich aus der seit langem geltenden CSR- bzw. Bilanzrichtlinie. Die Berichterstattung muss dabei in der „nichtfinanziellen Erklärung“ oder in der „konsolidierten nichtfinanziellen Erklärung“ erfolgen. Um eine Standardisierung und damit eine sinnvolle öffentliche Information zu gewährleisten, hat die EU-Kommission schon im Juni einen delegierten Rechtsakt zur Art und Weise der Berichterstattung erlassen. Neben diesen großen Unternehmen sind jedoch auch Anbieter bestimmter Finanzprodukte berichterstattungspflichtig.

Kleinere Unternehmen, die keine Finanzprodukte anbieten, adressiert die Taxonomie-Verordnung nicht ausdrücklich. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich diese Unternehmen entspannt zurücklehnen können. Denn die EU erwartet einen Domino-Effekt: Wenn große Unternehmen über die Taxonomiekonformität ihrer Umsätze und Ihrer Investitionsausgaben berichten müssen, dann werden auch kleinere Unternehmen, die mit den großen in Geschäftsbeziehung stehen, mittelbar berichterstattungspflichtig werden – zwar nicht öffentlich, aber zumindest im Rahmen der Geschäftsbeziehung. In der Praxis führt das bisweilen zu ungewohnt detaillierten und aufwendig zu beantwortenden Nachfragen. Immerhin: Wer taxonomiekonform ist, hat bei seinen (größeren) Geschäftspartnern häufig einen Stein im Brett und kann sich auch auf günstigere Finanzierungskonditionen freuen (sog. Green Supporting Factor).

Grüne Richtschnur

Wo die Taxonomie-Verordnung zwischen heiligem Gral und Bürokratiemonster genau zu verorten ist, wird letzten Endes die Praxis entscheiden müssen. Fest steht aber schon jetzt: Wer taxonomiekonform ist, hat Vorteile. Und: Die EU-Gesetzgebung wird sich zunehmend nach den Definitionen der Taxonomie-Verordnung richten, wie zuletzt die finale Fassung der Umwelt- und Energiebeihilfeleitlinien gezeigt hat.

Ansprechpartner*innen: Jens Vollprecht/Tobias Sengenberger/Christoph Lamy

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