Covid-19-Gesetz: Gesellschaftsvertrag sticht Vereinfachungsregel
Nach der Vereinfachungsregel des Art. 2 § 2 Covid-19-Gesetz können Gesellschafter Beschlüsse in Textform oder durch schriftliche Abgabe der Stimmen auch ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter fassen. Bisher war unklar, ob die gesetzliche Vereinfachungsregel auch einer gesellschaftsvertraglichen Regelung für eine präsenzlose Entscheidungsfindung vorgeht. Zwei Urteile schaffen jetzt Klarheit.
Die Urteile
Mit seinen zwei Urteilen entschied das Landgericht (LG) Stuttgart, dass die gesetzliche Vereinfachungsregel gesellschaftsvertraglichen Regelungen nicht vorgeht (Urt. v. 25.1.2021, Az. 44 O 52/20 KfH und Urt. v. 10.2.2021, Az. 40 O 46/20 KfH). Dies gilt auch dann, wenn der Gesellschaftsvertrag schlicht die gesetzliche Regelung wiederholt, dass die vereinfachte Beschlussfassung nur mit Einverständnis sämtlicher Gesellschafter möglich ist. Auch in diesem Fall handelt es sich um eine gesellschaftsvertragliche Regelung, die nicht von der Vereinfachungsregel verdrängt wird.
Die Richter argumentierten, der Gesetzgeber habe mit dem Covid-19-Gesetz nicht in die Vertragsautonomie oder in die vom Grundgesetz geschützten Minderheitsrechte der Gesellschafter eingreifen wollen. Der Vorrang der Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages vor den Regelungen im GmbHG werde damit nicht angetastet.
Nur dann, wenn der Gesellschaftsvertrag auf § 48 Abs. 2 GmbHG verweist, ohne den Gesetzeswortlaut zu wiederholen, gilt etwas anderes: Im Falle dieser dynamischen Verweisung greift die Vereinfachungsregel. Der Grund liegt darin, dass mit dem Verweis auf eine gesetzliche Norm jeweils auf die aktuellste Fassung dieser Norm verwiesen wird. Der Verweis wirkt „dynamisch“ auf die jeweils aktuelle Norm.
Keine ergänzende Vertragsauslegung
Ein anderes Ergebnis lässt sich auch nicht durch eine ergänzende Vertragsauslegung herbeiführen, wie das bereits vereinzelt in der Praxis diskutiert wurde. Diese kommt zum Zuge, wenn ein Vertrag Lücken aufweist, die sich durch das Gesetz nicht schließen lassen, so dass nach dem hypothetischen Parteiwillen gefragt werden muss.
Regelungen eines Gesellschaftsvertrages einer Kapitalgesellschaft sind jedoch grundsätzlich nur an ihrem Wortlaut zu messen. Eine ergänzende Vertragsauslegung findet nicht statt. Der Grund hierfür liegt insbesondere in der Schutzbedürftigkeit künftiger Gesellschafter, die bereits am Wortlaut erkennen müssen, welche – unter Umständen weitreichenden – Folgen einzelne Klauseln haben. Sie können nicht darauf verwiesen werden, den Willen der Gründer zunächst erforschen zu müssen.
Änderung des Gesellschaftsvertrags
Zwar mag es in Zeiten der Pandemie die Entscheidungsfindung erschweren, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Präsenzversammlung verlangt und die geforderte Mehrheit für einen Umlaufbeschluss nach dem Gesellschaftsvertrag nicht zustande kommt. Den Gesellschaftern bleibt in diesem Fall nur die Möglichkeit, aus Anlass der Pandemie den bestehenden Gesellschaftsvertrag zu ändern – es können nämlich auch andere Umstände als eine Pandemie eintreten, die eine schnelle präsenzlose Entscheidungsfindung erforderlich machen.
Ansprechpartner*innen: Wolfram von Blumenthal/Dr. Philipp Bacher