Klimaschutz vor Gericht
Es ist ja nicht so, dass der Klimaschutz nicht schon seit Längerem die politische Diskussion in Deutschland bestimmt. Und dass sich die Bundesregierung gar nicht um Fortschritte beim Klimaschutz bemüht, wie oft suggeriert wird, stimmt so auch nicht. Immerhin liegt seit Anfang des Jahres der erste Entwurf eines Klimaschutzgesetzes aus dem Hause des Bundesumweltministeriums (BMU) auf dem Tisch, und die Vorbereitungen für die entscheidende Sitzung des Klimakabinetts am 20.9.2019 laufen auf Hochtouren. Noch in diesem Jahr soll ein Klimaschutzpaket auf den Weg gebracht werden.
Richtig ist zugleich: Mehr Tempo beim Klimaschutz ist auch dringend nötig. Schließlich wird Deutschland es nicht schaffen, bis 2020 14 Prozent weniger Emissionen freizusetzen als noch 2005, wie es die Effort Sharing Decision eigentlich vorschreibt. Bis 2030 müssen 38 Prozent der Emissionen eingespart werden. Auch hier droht eine Zielverfehlung. In der Folge wird man sich Emissionsberechtigungen von anderen EU-Mitgliedstaaten zukaufen müssen. Bis zu 60 Mrd. Euro bis 2030 könnte das kosten, so die Schätzungen. Zum Vergleich: Diese Summe entspräche über 40 Prozent des Bundeshaushaltes 2019 (145,3 Mrd. Euro) oder zweimal dem Jahreshaushalt des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (29,3 Mrd. Euro). Der Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (rd. 6 Mrd. Euro pro Jahr) ließe sich hiermit bis 2030 sogar fast vollständig finanzieren. Auch die selbst gesteckten Klimaziele – 40 Prozent weniger Emissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 – sind aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu erreichen.
Je länger die Politik zögert und je dringlicher die Lösungen werden, desto mehr betreten andere Akteure die Bühne: auf der Straße die Bewegung Fridays for Future, vor den Gerichten die Kläger von sog. Klimaklagen.
Aktuell ist es die Bundesregierung selbst, die sich vor Gericht rechtfertigen muss. Im November 2018 hat ein Klagebündnis Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht, das sich aus zwei Umweltverbänden und elf Privatpersonen zusammensetzt, darunter der bekannte Schauspieler Hannes Jaenicke und der ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel. Verfassungsbeschwerden gegen die Bundesregierung müssen aber anspruchsvolle Voraussetzungen erfüllen und scheitern oftmals schon an der mangelnden Beschwerdebefugnis. Dieses Kriterium soll sicherstellen, nur derjenige Verfassungsbeschwerde einlegen kann, der belegen kann, dass er von dem beanstandeten staatlichen Handeln auch selbst unmittelbar und gegenwärtig betroffen ist. Gerade im Klimabereich, der in der Regel größere Bevölkerungsgruppen betrifft, ist das nicht einfach.
Die erste Hürde hat das Klagebündnis aber nun genommen: Das Gericht fordert Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat auf, bis Mitte November Stellung zu nehmen. Dies bedeutet möglicherweise, dass das Gericht den Fall zur Entscheidung annehmen könnte; jedenfalls möchten sich die Richter aber eingehender mit dem Sachverhalt auseinander setzen.
Der Vorwurf: die deutsche Klimapolitik sei unzureichend, um die Emissionsminderungsziele zu erreichen. Weder die europäischen Vorgaben und deren Konkretisierung im Klimaschutzplan 2050 noch die selbst gesteckten Ziele und die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Pariser Übereinkommen seien mit den bestehenden gesetzlichen Maßnahmen erreichbar. Das Klagebündnis sieht sich gerade durch das Unterlassen des Gesetzgebers teils in seinen Grundrechten verletzt, die den Staat zum Schutz des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und weiterer Rechtsgüter wie das Eigentum vor schädlichen Umweltenwirkungen verpflichten – und bezieht sich auch auf Art. 20a GG. Dieser besagt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Die beiden klagenden Verbände pochen auch auf die Erfüllung dieser Verpflichtung.
Tatsächlich haben „Klimaklagen“ in den letzten Jahren stark zugenommen; man denke an die Klage des peruanischen Bauern Lliuya gegen RWE, bei der anstelle des Staates ein Stromkonzern adressiert wurde. Aber auch Staaten sind bereits – zumindest vorläufig – erfolgreich gerichtlich in die Pflicht genommen worden, Beispiel Niederlande. Hier konnte die Umwelt-Stiftung Urgenda in 1. und 2. Instanz durchsetzen, dass die niederländische Regierung auf engagiertere Klimaziele verpflichtet wird. Rechtskräftig ist das Urteil allerdings nicht. Die niederländische Regierung hat Revision beim Obersten Gericht in Den Haag eingelegt.
Sobald die geforderten Stellungnahmen eingegangen sind, ist nun aber erst einmal Karlsruhe am Zug. Ein Ausgang wie in den Niederlanden wäre eine handfeste Überraschung, aber in diesen Tagen scheint nichts mehr undenkbar. Keine Überraschung wäre es, wenn das BVerfG es sich nicht nehmen ließe, zur Reichweite der staatlichen Schutzpflichten in Zeiten des sich beschleunigenden Klimawandels Position zu beziehen – zur Not auch in einem Nichtannahmebeschluss.
Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Carsten Telschow