Netzstabilität und Industrie, Teil 1: Was der Gesetzgeber sagt

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Im Markt kursiert seit einiger Zeit ein Gutachten der Universität Rostock, genauer des Steinbeis-Transferzentrum für Angewandte Forschung in der Elektrischen Energietechnik, das sich mit dem Thema „Bedeutung und Potenziale großer Bandlasten im elektrischen Energieversorgungssystem“ auseinandersetzt. Für so eine Untersuchung eignet sich das Beispiel Aluminiumhütten in besonderem Maße, da sie in der Praxis die größten Bandlasten benötigen. Daher lag es für die Studienautoren nahe, an diesem Beispiel zu prüfen, welchen Beitrag zur Systemsicherheit die Industrie für das Energieversorgungssystem leisten kann.

Das Gutachten ist spannend, weil es jenseits von gesetzlichen Instrumenten, Förder- oder Entlastungsmöglichkeiten nur die energiewirtschaftliche Seite betrachtet. Dabei kommt es zum Schluss, dass sowohl die Bandlastförmigkeit als auch die Flexibilisierbarkeit der entsprechenden industriellen Großverbraucher wichtig für unser heutiges und auch künftiges Stromversorgungssystem sind.

Wir möchten dies zum Anlass nehmen, in loser Folge Interviews mit Marktteilnehmern, Netzbetreibern oder auch Wissenschaftlern zu führen, um das Themenfeld ganzheitlich zu beleuchten. Zunächst – gewissermaßen als Einstieg – wollen wir aber noch die gesetzlich durchaus komplexe Lage auseinandersortieren. Denn als Großverbraucher sollte man in punkto Last ganz unterschiedliche Perspektiven im Blick behalten:

Im Bereich der Strombeschaffung müssen Großverbraucher andere Wege gehen als kleinere Verbraucher, die einfach nur einen Vollversorgungsvertrag abschließen. Sie beschaffen ihren Strom auf dem Großhandelsmarkt selbst oder über Dienstleister – und müssen deshalb Risiken, die sich aus Preis- und Verbrauchsschwankungen ergeben, selbst übernehmen (oder jemanden für das Abfedern bezahlen). Je gleichförmiger sie allerdings den Strom abnehmen, desto billiger kann die Beschaffung werden, weil weniger Toleranzen und Optionalitäten berücksichtigt werden müssen.

Auch im Bereich der Netzentgelte ist eine gleichmäßige Abnahme vorteilhaft. Denn mit Blick auf ihre netzstabilisierende Wirkung können die Abnehmer großer Bandlasten gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV nach der Fiktion einer eigenen Leitung zum nächstgelegenen Kraftwerk (Modell des physikalischen Pfades) individuelle (reduzierte) Netzentgelte vereinbaren.

Obendrein orientieren sich die Grundnetzentgelte großer Abnehmer mit Blick auf die vorzuhaltende Anschlusskapazität an der Lastspitze, so dass eine gleichmäßige Nutzung des Netzes ohne prominente Spitze netzentgelttechnisch eigentlich immer optimal ist.

Die durch das gleichförmige Abnahmeprofil gesicherte verfügbare Last zu flexibilisieren, eröffnet ebenfalls Möglichkeiten. Sie könnte den Übertragungsnetzbetreibern als sog. abschaltbare Last (siehe Verordnung zu abschaltbaren Lasten – AbLaV) zur Verfügung gestellt werden. Das Unternehmen würde dann einen Leistungspreis dafür erhalten, dass man für Notfälle bereitsteht, abgeworfen zu werden. Sehr vergleichbar ist das Bereitstellen von Regelenergie. Auch hier hält sich das Unternehmen bereit, seine Last zu senken oder ggf. zu erhöhen, wenn der Netzbetreiber dies anfordert. Je nach Art der Regelenergie (Primär-, Sekundärregelung oder Minutenreserve) können Arbeits- und Leistungspreise verdient werden.

Wenn eine Last nicht so groß ist, dass sie alleine dafür geeignet wäre, kommen die sog. Aggregatoren ins Spiel, die mehrere Lasten (ggf. zusammen mit Speichern oder Erzeugungsanlagen) zu Pools zusammenführen, die gemeinsam zum Beispiel als virtuelles Regelenergiekraftwerk die der Last immanente Flexibilität vermarkten.

Doch eines ist auch klar: In einem System, das mehrere Optimierungsmöglichkeiten kombiniert, gibt es Reibungsverluste und Risiken, dass etwas schief geht. Das beste Beispiel hatte die Bundesregierung schon im Grünbuch zur Energiewende selbst benannt (wir berichteten): § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV verträgt sich schlecht mit einem Einsatz der Bandlasten in der Regelenergie. Denn wenn die Lasten flexibel, zum Beispiel die volatile Wind- oder Solarenergieeinspeisung ausgleichen, weichen sie von ihrem Bandlastprofil ab, was höhere Netzentgelte und den Verlust der Reduktion gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV auslöst.

Dem eingangs erwähnten Gutachten ist zu entnehmen, dass das Stromversorgungssystem beide Ausprägungen industrieller Lasten braucht, also sowohl die Bandförmigkeit als auch die Flexibilität. Für eine Lösung braucht man das Gutachten aber nicht. Da reicht ein Blick in § 15 Abs. 4 AbLaV. Der legt nämlich einfach fest, dass Abschaltungen für die Bestimmung der individuellen Netzentgelte gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV nicht zählen sollen. Fast zu einfach, um wahr zu sein …

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Thies Christian Hartmann/Dr. Christian Dessau

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