BGH legt nach: Zur Relevanz der insolvenzrechtlichen Überschuldung im Rahmen der Vorsatzanfechtung

Der Bundesgerichtshof (BGH)  hat in mehreren Entscheidungen die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung gemäß § 133 InsO konkretisiert und die Anforderungen an den Insolvenzverwalter für den Nachweis der subjektiven Merkmale erhöht (wir berichteten hier und hier). Seine neue Linie führt der BGH nun in der Entscheidung vom 3.3.2022 (Az. IX ZR 53/19) fort.

Bedeutung der insolvenzrechtlichen Überschuldung

In dem Fall ging es um die Frage, welche Bedeutung der insolvenzrechtlichen Überschuldung für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners von diesem Vorsatz zukommt.

Der BGH stellt zunächst klar, dass die insolvenzrechtliche Überschuldung insoweit ein eigenständiges Beweisanzeichen darstellt. Seine Stärke hängt davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Überschuldung den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners erwarten lässt und wann der Eintritt bevorsteht. Insolvenzrechtlich überschuldet ist ein Rechtsträger, der nicht über ausreichend Vermögen verfügt, um seine bestehenden Verbindlichkeiten zu decken. Hinzutreten muss, dass die Fortführung des Unternehmens bis zum Ende eines zwölfmonatigen Prognosezeitraums nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Eine negative Fortführungsprognose macht den späteren Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlich. Die Zahlungsunfähigkeit kann unmittelbar bevorstehen, sie kann aber auch erst am Ende des Prognosezeitraums eintreten. Es bedarf daher zusätzlicher, in der Art und Weise der Rechtshandlung liegender Umstände, um den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners zu begründen.

Bemerkenswert ist, dass der BGH das Beweisanzeichen der erkannten insolvenzrechtlichen Überschuldung nicht deshalb stärker qualifiziert, weil die Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 InsO gemäß § 15a InsO neben der Zahlungsunfähigkeit selbst eine Pflicht zum Insolvenzantrag begründet. Weder die Insolvenzantragspflicht noch insolvenzrechtliche Zahlungsverbote würden darüber bestimmen, ob der Schuldner im Falle der erkannten Zahlungsunfähigkeit mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz gehandelt hat (vgl. BGH, Urt. v. 3.3.2022, Az. IX ZR 78/20). Für die erkannte insolvenzrechtliche Überschuldung gelte dies entsprechend.

Mit Blick auf die Kenntnis des Anfechtungsgegners genügt es folglich auch nicht, dass der Gläubiger – im entschiedenen Fall das Finanzamt – weiß, dass der Schuldner bilanziell überschuldet ist. Für die Annahme einer Überschuldung fehlt es nämlich an einer gesetzlichen Vermutung, weshalb der nach § 133 Abs. 1 InsO anfechtende Insolvenzverwalter den Eintritt der insolvenzrechtlichen Überschuldung voll beweisen muss. Dies gilt auch für die negative Fortführungsprognose. Kumulativ ist erforderlich, dass die insolvenzrechtliche Überschuldung dem Anfechtungsgegner bekannt geworden ist. Auch dies muss im Grundsatz der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen. Übrigens: Der Nachweis der insolvenzrechtlichen Überschuldung wird im Anfechtungsprozess grundsätzlich nicht durch eine Handelsbilanz erleichtert, die einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausweist.

Im Anfechtungsprozess genügt es daher nicht, dass der Verwalter (nur) eine rechnerische Überschuldung darlegt, da daneben eine negative Fortführungsprognose und die Kenntnis des Anfechtungsgegners von dieser erforderlich sind. Vom außenstehenden Gläubiger kann nämlich nicht erwartet werden, dass er Umstände darlegt, die es aus damaliger Sicht rechtfertigten, das schuldnerische Unternehmen fortzuführen. Vielmehr ist grundsätzlich der Verwalter gehalten, zur negativen Fortführungsprognose vorzutragen. Dies gilt gleichermaßen für den Nachweis der Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Überschuldung, selbst wenn diesem eine solche Handelsbilanz bekannt geworden ist.

Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheiten

Erfreulich ist zudem, dass sich der BGH abermals der in der Praxis rege diskutierten Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheiten von Gläubigern annimmt. Bereits 2009 hatte der BGH eine Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit auf institutionelle Gläubiger begrenzt, etwa den Fiskus oder Sozialversicherungsträger, und in einer weiteren Entscheidung klargestellt, dass diese an besondere Umstände anknüpfe (vgl. BGH, Urt. v. 30.6.2011, Az. IX ZR 155/08). Im jetzt entschiedenen Fall durfte die Finanzverwaltung daher davon ausgehen, dass sich die auf Seiten des Steuerpflichtigen verantwortlichen Personen die Bedeutung eines nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags in der Handelsbilanz bewusst gemacht und die notwendigen Konsequenzen gezogen haben. (Selbst) die Finanzverwaltung muss daher weder die Nachfrage stellen, ob es stille Reserven oder sonstige Vermögenswerte gibt, die in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind, noch das Ergebnis einer etwaigen Fortführungsprognose erfragen und erst recht keine eigenen Ermittlungen anstellen.

Der BGH schärft also die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung weiter und erteilt der Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit, die Verwalter in der Praxis oft sehen bzw. unterstellen, eine grundsätzliche Absage. Eine rechtliche Prüfung insolvenzanfechtungsrechtlicher Rückforderungsansprüche dürfte die Verteidigungschancen künftig weiter erhöhen.

Ansprechpartner*innen: Markus Ladenburger/Steffen Lux

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