Positive Kenntnis vorausgesetzt: BGH zu Insolvenzanfechtungsansprüchen

Bei der Geltendmachung von Insolvenzanfechtungsansprüchen begründen viele Insolvenzverwalter und Sachwalter die Kenntnis der anfechtungsbegründenden Tatsachen des Anfechtungsgegners allein durch die Vorlage einer Vielzahl von Medienberichten und meinen, dass allein aufgrund ihrer Existenz diese mediale Berichterstattung auch gelesen wurde. Dieser gängigen Praxis erteilt der Bundesgerichtshof (BGH) in einer aktuellen Entscheidung eine klare Absage (Urteil vom 8.2.2024, IX ZR 107/22).

Kenntnis durch mediale Berichterstattung

Der Leiter einer Behörde (im entschiedenen Fall: des Hauptzollamts) kann neben dem zuständigen Sachbearbeiter ein für die Wissenszurechnung geeigneter Kenntnisträger sein. Dabei bleibt ohne Bedeutung, ob der Behördenleiter an der angefochtenen Rechtshandlung beteiligt war oder nicht. Das hat mit der Frage der konkreten Kenntnis aber nichts zu tun. Das Berufungsgericht sah dies anders und ging aufgrund der vom Kläger dokumentierten medialen Präsenz des Insolvenzverfahrens, insbesondere unter Hinweis auf prominente Presseorgane (etwa das Handelsblatt) bis hin zu „deutlich ländlich geprägten Presseerzeugnissen“ davon aus, dass das Verfahren der Behördenleitung nicht entgangen sein könne.

Der BGH hingegen beurteilt einen solchen Erfahrungssatz, wonach der Leiter einer Behörde, wie der des Hauptzollamts, generell im üblichen Umfang mediale Berichterstattungen verfolge und diese zur Kenntnis nehme, als inhaltsleer. Es sei bereits unklar, was unter der medialen Berichterstattung „generell im üblichen Umfang“ zu verstehen ist. Zum „üblichen Umfang“ der Kenntnisnahme von der medialen Berichterstattung durch einen Behördenleiter gehöre es jedenfalls nicht, sich einen umfassenden Überblick über jede Art der überregionalen Berichterstattung zu machen. Für einen tragfähigen Rückschluss von der medialen Berichterstattung auf die Kenntnis von einem bestimmten Gegenstand der Berichterstattung muss es sich um einen solchen handeln, über den derart umfassend und hervorgehoben berichtet worden ist, dass dieser dem Kenntnisträger nicht verborgen geblieben sein kann.

Verstoß gegen Erkundigungspflichten

Auch stellt der BGH nochmals klar, dass selbst bei einer – von Verwalterseite oftmals behaupteten – Verletzung einer Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit nicht auf eine positive Kenntnis des Anfechtungsgegners geschlossen werden kann.

Schon 2009 hat der BGH die Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit auf institutionelle Gläubiger, etwa den Fiskus oder die Sozialversicherungsträger, begrenzt (vgl. BGH, Urteil vom 19.2.2009, IX ZR62/08) und später klargestellt, dass eine Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit an besondere Umstände anknüpfen muss (vgl. BGH, Urteil vom 30.6.2011, IX ZR 155/08; Urteil vom 6.5.2021, IX ZR 72/20). Ein solcher besonderer Umstand liege etwa in der Bildung einer behördenübergreifenden Handlungs- und Informationseinheit (vgl. BGH, Urteil vom 30.6.2011, IX ZR 155/08). Aber auch dieser begründe keine tatsächlich nicht vorhandene Kenntnis, sondern nur eine Zurechnung von Wissen, das innerhalb der gebildeten Handlungs- und Informationseinheit vorhanden war.

Was die Entscheidung bedeutet

Im Anfechtungsprozess genügt es also nach wie vor nicht, dass Verwalter eine Vielzahl von medialen Berichten vorlegen, ohne die konkrete Kenntnis des Anfechtungsgegners hiervon darzulegen. Die Rechtsprechung des BGH zur Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit ist also nicht dahingehend misszuverstehen, dass die (oftmals nur behauptete) Verletzung einer Obliegenheit zur Annahme einer tatsächlich nicht vorhandenen Kenntnis führe. Dies wäre bereits mit den Reglungen der Insolvenzordnung nicht vereinbar. Die Anfechtungstatbestände setzen die positive Kenntnis voraus. Eine grob fahrlässige Unkenntnis – auch infolge einer Verletzung der Beobachtungs- und Erkundigungsobliegenheit – reicht also nicht.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund gilt: Die rechtliche Prüfung insolvenzanfechtungsrechtlicher Rückforderungsansprüche ist sinnvoll und erhöht meist die Verteidigungschancen.

Ansprechpartner: Markus Ladenburger/Steffen Lux/Alexander Müller

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