Sozialversicherungsrechtliche Risiken bei Scheinselbstständigkeit

Die Abgrenzung zwischen selbstständiger Tätigkeit und abhängiger, sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung ist unübersichtlich und von Einzelfallentscheidungen geprägt. Unternehmensinterne Kontrollmechanismen sind deshalb unerlässlich, um die Gefahr hoher Nachzahlungen zu vermeiden.

Wann liegt eine Scheinselbstständigkeit vor?

Scheinselbstständige treten im Erwerbsleben als selbstständige Unternehmer auf, obwohl sie infolge ihrer Tätigkeit versicherungspflichtige Arbeitnehmer sind, in der Regel also dann, wenn der Beschäftigte in eine fremde Arbeitsorganisation eingebunden ist und zu einem gewissen Grad dem Weisungsrecht seines Vertragspartners unterliegt. Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung der Beschäftigung, wobei nicht nur die vertragliche Vereinbarung, sondern insbesondere die tatsächliche Handhabung eine Rolle spielt. Beurteilungskriterien sind etwa Vorgaben bezüglich Ort, Zeit und Dauer der Tätigkeit, die Einbindung in Hierarchien und die eigene Infrastruktur sowie regelmäßige Kontrollen des Beschäftigten.

Eine Herausforderung in der Praxis stellt dabei die Bewertung innovativer Beschäftigungsmodelle dar, wie etwa Pflegedienstleistungen im stationären Bereich eines Krankenhauses als Leih- oder Zeitarbeit. Am 20.7.2023 hat der 12. Senat des Bundessozialgerichts in drei Revisionsverfahren entschieden, dass eine Scheinselbstständigkeit und damit eine Versicherungspflicht auch dann gegeben ist, wenn Verträge nur zwischen dem Auftraggeber und einer Kapitalgesellschaft bestehen, deren alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter die natürliche Person ist.

Die Vielzahl an Entscheidungen zu diesem Thema unterstreicht, wie komplex die Bewertung des Beschäftigtenstatus ist. Auch für die Betriebe kann eine Einstufung des Beschäftigungsstatus Schwierigkeiten bereiten. Häufig fällt eine Scheinselbstständigkeit erst im Rahmen der regelmäßigen Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV, im Zuge der Bearbeitung eines Antrags auf Statusfeststellung nach § 7a SGB IV, einem Gerichtsverfahren aus Anlass der Beendigung der Zusammenarbeit oder im Zusammenhang mit Prüfungen nach dem MiLoG auf.

Risiken auf Unternehmensseite – und wie man sie eindämmt

Eine festgestellte Scheinselbstständigkeit führt zu rückständigen, nicht abgeführten Beiträgen in der Sozialversicherung (§ 28e Abs. 1 SGB IV). Die Versicherungspflicht beginnt dabei mit dem Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis und ist rückwirkend zu leisten. Daher kommt es in der Regel zu kostenintensiven Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen im Rahmen einer Betriebsprüfung nach § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV. Gleichzeitig ist der Rückgriff des Arbeitgebers auf den Arbeitnehmer im Zuge eines Innenausgleichs nach § 28g SGB IV nur begrenzt möglich.

Für Beiträge, die nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt werden, ist gemäß § 24 Abs. 1 SGB IV für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag zu erheben. Die Fälligkeit der Beiträge beginnt ebenfalls mit dem Tag des Eintritts in das Beschäftigungsverhältnis. Dabei gilt für die Scheinselbstständigkeit, dass Säumniszuschläge ab Eintritt der Kenntnis oder verschuldeten Unkenntnis von der Beitragspflicht zu zahlen sind. Unverschuldet ist die fehlende Kenntnis von der Zahlungspflicht nur dann nicht, wenn dem Arbeitgeber zumindest bedingter Vorsatz vorzuwerfen ist.

Neben den hohen Nachzahlungen kann Arbeitgebern zudem eine Anklage infolge eines Verstoßes gegen § 266a Abs. 1 StGB (Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt) drohen.

Die qualifizierte Beratung und rechtskonforme Vertragsgestaltung sind geeignete Instrumente, um Risiken einzudämmen. Auch ein Verfahren zur Statusfeststellung nach § 7a SGB IV kann bei Unsicherheiten Abhilfe schaffen.

Ansprechpartner*innen: Dr. Jost Eder/Wolfram von Blumenthal/Julia Scheidt

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