Unternehmensjuristen in der Zange

Jemanden in die Zange zu nehmen, ist nicht nett. Aber nichts Anderes tun die Gerichte derzeit – unbeabsichtigt, nicht abgestimmt, aber mit drastischen Konsequenzen in der Unternehmenspraxis. Leidtragende sind die Unternehmensjuristen, Innenrevisoren und Compliance-Verantwortlichen. Sie sehen sich Urteilen des Bundesgerichtshofs (BGH), Az. 5 StR 493/08, und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), Rs. C-550/07 P, ausgesetzt, die Unvereinbares von ihnen verlangen.

BGH: Juristen sollen Bedenkenträger sein – und diese äußern!

Bereits im letzten Jahr hat der BGH entschieden, dass Rechtsabteilungsleiter und Innenrevisoren, aber auch besonders Compliance-Verantwortliche dazu verpflichtet sind, nicht nur ihr Unternehmen, sondern auch dessen Kunden zu schützen. Der Strafrechtler spricht hier von einer „Garantenpflicht“. Im Klartext heißt das: Wenn der Rechtsabteilungsleiter, Innenrevisor oder der Compliance-Verantwortliche nicht alles Nötige unternimmt, um den Kunden vor schädigendem Verhalten des Unternehmens zu bewahren, dann wird er unter Umständen strafrechtlich belangt. Man kann sich vorstellen, dass dies bei den betroffenen Mitarbeitern das Bedürfnis auslöst, sich durch ausführliche Vermerke selbst abzusichern.

EuGH: Jurist ist nicht gleich Jurist

Auf der anderen Seite gibt es eine aktuelle Entscheidung des EuGH, die genau dies zu einem unkalkulierbaren Risiko für das Unternehmen macht. Nach dem EuGH-Urteil sind bei strafrechtlichen Ermittlungen gegen ein Unternehmen so genannte Syndikusanwälte – also Juristen, die für ein Unternehmen exklusiv arbeiten und dort auch angestellt sind, aber dennoch als Rechtsanwalt zugelassen sind – nicht wie externe Rechtsanwälte privilegiert: Sie haben kein Zeugnisverweigerungsrecht und müssen sich gefallen lassen, dass ihr Büro durchsucht und ihre Akten beschlagnahmt werden.

Spricht ein Verdächtiger mit seinem Anwalt über irgendetwas (mit potenziellen straf- oder kartellrechtlichen Konsequenzen) und macht sich der Anwalt darüber Notizen, so sollten diese Notizen (ebenso wie überlassene Unterlagen) sicher sein. Die Staatsanwaltschaft sollte nicht kommen und diese Unterlagen beschlagnahmen können, um Beweise gegen den Verdächtigen zu finden. Ein Syndikusanwalt kann dies künftig nicht mehr garantieren.

Ein kurzer Exkurs hierzu: Zwischenzeitig gewährte die Strafprozessordnung (StPO) diesen Schutz nur den Strafverteidigern, nicht jedoch den „sonstigen“ Rechtsanwälten. Diese künstliche Trennung hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.2.2011 wieder aufgehoben. Während damit also der Schutz im Strafverfahren wiederhergestellt ist, bleibt die Lücke in den Polizeigesetzen – wie z.B. im BKA-Gesetz (BKAG) – (noch?) bestehen. Das absurde Ergebnis: Bei Anwälten darf zwar ermittelt, im Prozess dürfte das Gefundene aber nicht verwertet werden.

In der Mitte der Zangenbewegung

Betrachtet man diese beiden Entscheidungen zusammen, ergibt sich eine fatale Konsequenz: Wenn jetzt ein Vorstand zu seinem Syndikusanwalt geht, um sich in einer potenziell strafrechtlich relevanten Angelegenheit beraten zu lassen, wäre der Vorstand tunlichst gehalten, darüber keine schriftlichen Aufzeichnungen zu hinterlassen. Der Syndikusanwalt hingegen wird ein dringendes Interesse daran haben, entsprechende Aufzeichnungen gerade anzufertigen, um später nachweisen zu können, dass er rechtzeitig auf bestimmte Probleme hingewiesen hat und damit seinen Aufgaben und Pflichten nachgekommen ist. Beide Parteien werden in eine Situation gebracht, in der der Angestellte wahrscheinlich die schlechteren Karten hat …

Je größer der Druck …

Das Ergebnis könnte eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für unternehmensexterne Rechtsanwälte sein. Wie schon erwähnt, bleibt die Akte des externen Rechtsanwalts von der Staatsanwaltschaft verschont. Der externe Anwalt kann also zum Hort des schlechten Gewissens werden. Wird dies dazu führen, dass Vorstände nur noch mit externen Anwälten reden, und Syndikusanwälte auf Vertragsverhandlungen beschränkt werden? Oder werden bei externen Rechtsanwälten „Unterlagenschließfächer“ eingeführt, in denen Syndikusanwälte potenziell belastendes Material des Unternehmens auslagern (und auch wieder einsehen) können.

Entgegen der landläufigen Meinung ist die Anwaltschaft sicher nicht glücklich über diese Entwicklung. Mehr und mehr beginnt sich eine Kultur der Vorsicht und des Misstrauens Bahn zu brechen, die geeignet ist, die unternehmerische Entschlussfreudigkeit zu senken. Und während natürlich keine Straftaten gebilligt werden können, muss es möglich bleiben, zumindest im Gespräch mit seinen eigenen Juristen die Grenzen des Erlaubten zu ertasten. Denn die Gedanken müssen frei bleiben – sie dürfen anscheinend nur nicht zu Papier gebracht werden.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

PS: Erfahren Sie zum Thema Compliance mehr in dem gerade erschienenen Werk Zenke/Schaefer/Brocke, Compliance in Energieversorgungsunternehmen, Frankfurt/M. 2011– Haftungsrisiken in der Versorgungswirtschaft sicher managen, Frankfurt 2011.

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